Zwischen den Stühlen
Cranach, Luther und der Kardinal – Stiftsmuseum Aschaffenburg mit Stiftskirche und Beginen-Kirchenruine zum Schöntal-Park
Text: Vera Höfer | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Herr Dr. Schauerte, Sie kuratieren die Ausstellung „Zwischen den Stühlen“, die noch bis Anfang nächsten Jahres zu sehen ist. Was zeichnet die Kunst der frühen Reformationszeit, also der Schaffenszeit von Lucas Cranach dem Älteren, aus?
Dr. Schauerte: Sie befindet sich in einem gewaltigen Umbruch – sogar dem größten, den die europäische Kunstgeschichte seit dem Mittelalter kennt: Die alten, vorwiegend geistlichen Aufträge brachen schlagartig weg, und nun mußte man als Künstler eben sehen, wie man über die Runden kam. Cranach schaffte das mit den neuen lutherischen Bildinhalten, aber auch mit den Gattungen Portrait und antike Mythologie.
Cranach gilt als der Maler der Reformation. Wie konnte er es vereinbaren, gleichzeitig für die katholische Kirche, hier in Person von Albrecht von Brandenburg, tätig zu sein?
Dr. Schauerte: Wer überblickt schon die schwierigen Zeitumstände, in denen er selbst lebt und gefangen ist? 1520/25 wußte noch niemand so genau, wohin die Reise der Kirche eigentlich ging: ob es die geforderte, grundlegende Reform geben würde, ob sich der Papst und seine Kardinäle halten würden, oder ob Luther nicht doch irgendwann zermürbt aufgeben würde. Am besten also, man
sicherte sich nach allen Seiten ab.
Der Magdalenenaltar von 1520/25 gehört zu den Höhepunkten des Stiftsmuseums und auch dieser Ausstellung. Was macht ihn so besonders?
Dr. Schauerte: Zunächst mal die Tatsache, daß er sich angesichts all der Umwälzungen seiner Entstehungszeit und all der Kriege der deutschen Geschichte überhaupt fast vollständig erhalten hat. Aber er liefert in all seiner Buntheit, Prachtentfaltung und Detailversessenheit auch eine nonverbale Begründung dafür, war-um Cranach und seine Werkstatt so über alle Maßen beliebt war (und ist).
Gleichzeitig war der Magdalenenaltar Teil einer der größten Gemälde-Aufträge, den die ältere deutsche Kunstgeschichte kennt, beauftragt durch Albrecht von Brandenburg. Können Sie uns einige Details zu diesem spektakulären Projekt berichten?
Dr. Schauerte: Die meisten Kirchenausstattungen waren (und sind!) über Jahrhunderte gewachsen, aber bei der Stiftskirche in Halle, dem heutigen „Dom“, lagen die Dinge anders: Aus einer Mönchskirche wurde eine Bischofskirche, für die auf einen Schlag eine weitgehende Neuausstattung fällig war. So gab Albrecht insgesamt 16 neue Altäre, die meisten davon als verschließbare Flügelretabel, in Auftrag, was mehr als 150 einzelne Tafeln erforderte – das konnte in Deutschland damals nur einer: Cranach mit seinem riesigen Werkstattbetrieb.
Neben dem Stiftsmuseum gibt es in Aschaffenburg noch andere Orte, die ebenfalls die umbruchsreichen Zeiten der frühen Reformationsjahre lebendig werden lassen. Wo kann man diese finden?
Dr. Schauerte: Zunächst mal gleich nebenan, in unserer Stiftskirche St. Peter und Alexander, deren Stiftspropst Albrecht als Mainzer Erzbischof ja in Personalunion war. Hier steht im Nordquerhaus sein Bronzegrabmal, ein vielteiliges Hauptwerk der berühmten Nürnberger Vischer-Werkstatt, das eigentlich für die Stiftskirche in Halle bestimmt war. Aber auch die Ruine der Beginenkirche im nahen Schöntal-Park hat eine spannende Geschichte zu erzählen, denn hier hat der Kardinal für seine Mätresse Agnes Pless eine Art „Altersruhesitz“ geschaffen – anstatt sie zu heiraten, wie Luther gefordert hatte.
Abschließend – was ist Ihr ganz persönliches „Lieblingsstück“ dieser Ausstellung?
Dr. Schauerte: Das ist kunsthistorisch gar kein Spitzen-stück, aber im Südseitenschiff der Stiftskirche hängt das Epitaph von Albrechts unehelichem Enkel, der nach seinem Großvater benannt war und außergewöhnlich begabt gewesen zu sein scheint, dann aber schon mit drei Jahren gestorben ist. Als ich die Inschrift übersetzt hatte, hat mich das doch sehr berührt.