Warum der Triesdorfer Tiger nicht faucht …
… aber Äpfel hinter Gitter mußten
Text + Fotos: Elke Herbst
Was vor 175 Jahren begann, war schon damals weit mehr als ein „Kuhstall mit Klassenzimmer“. König Ludwig I. kann man sicherlich Weitblick zuschreiben, daß er 1848 die königlich bayerische Kreisackerbauschule in Triesdorf gründete und damit heimischen Bauernburschen eine praxisnahe Ausbildung bot. Der König wäre stolz, wenn er wüßte, daß aus anfänglich 13 Schülern im Laufe der Jahre 3 200 Schüler und Studenten wurde, die heute nicht nur aus ganz Deutschland, sondern sogar aus der ganzen Welt zum Studium an Deutschlands kleinsten Hochschulstandort kommen. Längst sind es nicht nur Männer. Laut Sabine Künzel, der Leiterin des Büros für Öffentlichkeitsarbeit, gibt es wohl kaum einen landwirtschaftlichen Betrieb in Kasachstan, den nicht ein Absolvent des Berufsbildungszentrums Triesdorf leitet. Neben osteuropäischen und westasiatischen Ländern kommen Schüler und Studenten auch aus Afrika, um hier ihren Bachelor oder Master an der Fachhochschule zu erlangen. Dabei geht es nicht nur um Landwirtschaft. Die Fakultäten Lebensmittel- und Ernährung, Umwelt und Ingenieurswesen mit ihren Teilgebieten Umweltsicherung, erneuerbare Energien und Wasserwirtschaft bieten Studierenden ein breitgefächertes Studienfeld. Absolventen der Technikerschule sind sogar so begehrt, daß sie bereits mit ihrem Abschluß einen Arbeitsplatz sicher in der Tasche haben. Headhunter holen sie direkt hier ab.
Neben der Technikerschule, für die man sich mit Mittlerer Reife qualifiziert, gibt es eine Berufsschule, eine höhere Landbauschule, die Fachhochschule Weihenstephan-Triesdorf mit einem internationalen Zweig (University of Applied Sciences), eine Fachakademie für Ernährungs- und Versorgungsmanagement, eine Landmaschinenschule, eine Tierhaltungsschule und ein Lehr-, Versuchs-, und Fachzentrum für Milchanalytik, wo milchwirtschaftliche Labormeister ausgebildet werden. Die in Triesdorf vorherrschenden Lehrthemen sind daher Landwirtschaft, Lebensmittel, Ernährung, Umwelt und Energie. Diese Vielfalt weist den Standort Triesdorf als top modernes Bildungszentrum aus mit der Kombination aus Landwirtschaft und Umweltsicherung als Alleinstellungsmerkmal.
Eis, Pasta, Espresso und Agrartourismus
Auch wenn das parkähnliche und mit 250 Hektar weitläufige Gelände zum Verweilen einlädt, treibt es Studierende des Studiengangs Ernährungs- und Versorgungsmanagement sogar bis nach Italien, um ihre Studien zu vertiefen. Jährlich führt dieser Studiengang seine Teilnehmer auf eine einwöchige Exkursion in das sonnige Urlaubsland, um vor Ort in befreundeten Fertigungsbetrieben etwas über die Herstellung von Eis, Pasta und Espresso zu erfahren sowie sich dem Thema Agrartourismus anzunähern.
Den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1600 – 1791) ist es zu verdanken, daß zum Teil in den noch bestehenden markgräflichen Gebäuden gelehrt wird. Die Markgrafen hatten hier ihre Sommerresidenz und erwarben den Besitz von dem mittelfränkischen Adelsgeschlecht derer zu Seckendorff. Die verbliebenen Bauten der Markgrafen wurden über die Jahre nicht nur zu eng, sondern entsprachen auch technisch nicht mehr den Anforderungen einer modernen Bildungsanstalt und wurden durch moderne Gebäude erweitert, die sich architektonisch gut in das Gesamtobjekt einfügen. Dennoch bieten die renovierten markgräflichen Bauten auch weiterhin Raum für öffentliches wie studentisches Leben. Die Gaston-Scheune wird heute für Tagungen genutzt, in der Villa Sandrina ist das Standesamt der Gemeinde Weidenbach untergebracht, im ehemaligen Stallmeisterhaus befindet sich die Verwaltung des Fachzentrums für Energie und Landtechnik, im roten Schloß die Tierhaltungsschule und im weißen Schloß die Fachakademie für Ernährung und Versorgungsmangement.
Die 3 200 Studenten prägen das örtliche Leben in Triesdorf und Weidenbach. Dank ihrer florieren die Gasthäuser, haben sich Ärzte und Apotheken niedergelassen und alten Häusern droht kein Leerstand. Selbst Sportanlagen und Vereine profitieren vom regen Studentenleben. Verwaltet wird das Bildungszentrum von verschiedenen Trägern. So wird die Unterbringung der Studierenden, die Mensa und die Aula, das Fachzentrum Energie und Landtechnik sowie die Tierhaltungsschule vom Bezirk Mittelfranken verwaltet, während die Hochschule dem Wissenschaftsministerium untersteht. Die Technikerschule untersteht dem Landwirtschaftsministerium und die Fachoberschule dem Landkreis und dem Kultusministerium. Durch vergleichsweise kurze Wege über den Campus gelingt dennoch ein reibungsloser Verwaltungsablauf.
Die nur genußsuchende Kuh wird vom Melkroboter abgewiesen
Das Besondere an einem Studium am landwirtschaftlichen Bildungszentrum Triesdorf ist nicht zuletzt die Verbindung von Lehre und Praxis. Ob Ackerbau, Bienenzucht oder Lupinenforschung, Rinder-, Schweine- oder Hühnerhaltung, Schafweide oder Obstplantage, alles ist nur Gehminuten von einander entfernt, erleb- und erforschbar. 2010 wurde der Ausstellungsstall für Rinder als Außenklimastall mit Besuchertribüne gebaut. Dort können Schüler und Studenten mit deutschem Fleckvieh, Gelb- und Braunvieh sowie Holsteinischen Kühen ihre Forschungen betreiben. Der hochmoderne Stall bietet den frei laufenden Tieren mit Ventilatoren, Duschen und Massagebürsten ein fast schon paradiesisches Leben. In eigens abgegrenzten Abkalbeboxen lagern werdende Mutterkühe auf weichem Stroh bis zu ihrer Entbindung. Der wißbegierige Besucher bekommt eine Demonstration des Melkroboters, der die Kühe weit effizienter melken kann als herkömmliche Melkmaschinen. Die Kühe werden mit Futter angereizt, sich dem Roboter zur Verfügung zu stellen, und ein Chip an der Fessel oder am Halsband zeigt der Maschine an, ob das Tier gemolken werden muß oder nur zum Fressen kommt. Ist Letzeres der Fall, geht eine Türe auf und die genußsuchende Kuh wird wieder hinauskomplimentiert. Die Milch wird zum Teil zum Triesdorfer Käse der Sorten „Wilder Markgraf“ und „Markgraf Alexander“ verwertet, die man im eigenen Käseladen vor Ort kaufen kann. Ein Großteil der Milch wird täglich von der Molkerei in Crailsheim abgeholt.
Das wohl berühmteste Rind im Bildungszentrum ist der sogenannte Ansbach-Triesdorfer Tiger, ein bulliges Zweinutzungstier mit großem Kopf und kräftigen Hufen, das speziell für die schwere Arbeit des Pflugziehens im 19. Jh. gezüchtet und bis nach Frankreich und England exportiert wurde. Der Name „Tiger“ stammt aus einer zum Teil getigerten Fleckung. 2012 haben Mitarbeiter der Zeitung „Die Zeit“ erforscht, daß nur noch 35 Tiere dieser Rasse existierten. Mittlerweile hat sich der Bestand wieder vergrößert. Dennoch steht die Rasse auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten und wird in Triesdorf nachhaltig gezüchtet.
Unterschiedliche Tagesrhythmen von Junghähnen und den Schülern
Eine weitere, berühmte Tierrasse ist das Triesdorfer Landhuhn, ein Zweinutzungshuhn, das sich großer Beliebtheit erfreut. Tiere beiderlei Geschlechts dürfen ausreifen. Die Hennen kommen in die Lege und die Hähne zum Verzehr in den Verkauf. Die Bruteier sind so beliebt, dass man die Nachfrage kaum decken kann. Die Junghahnzucht lag vor einigen Jahren direkt hinter dem ehemaligen Jägerhaus der Markgrafen, das zuletzt als Wohnheim für Berufsschüler im Blockunterricht fungierte. Länger als ein paar Wochen konnte man dort allerdings niemanden unterbringen, denn die Junghähne und die Schüler hatten deutlich unterschiedliche Tagesrhythmen.
Das ehemalige Jägerhaus der Markgrafen ist noch immer ein beeindruckendes Gebäude von ungewöhnlicher Größe. Was besonders hervorsticht, ist der angrenzende, langgestreckte Bau, in dem die sogenannte Hundeküche untergebracht war. Die Markgrafen frönten der Reiterei und der Jagd während der Sommermonate und die Hundemeute mußte versorgt werden.
In der eigens dafür gebauten Hundeküche wurden die Mahlzeiten für die Vierbeiner zubereitet. Heute ist der Bau renovierungsbedürftig und träumt einer neuen Nutzung entgegen.
Neben den Ställen für Rinder, Schweine und Hühner fallen diverse Fischweiher ins Auge. Die Fischzucht ist allerdings nicht an die landwirtschaftliche Lehranstalt angegliedert, sondern wird vom Fischereiverband Mittelfranken betrieben. In den Teichen finden sich Weißfische und Wildkarpfen sowie Edelkrebse. Letztere sind vom Aussterben bedroht, werden hier gezüchtet und später ausgewildert. Auch zu Markgrafenzeiten waren Weiher angelegt. Das Eis der im Winter zugefrorenen Weiher lagerten die klugen Markgrafen im Wald im sogenannten Eishaus unter der Erde, um damit im Sommer ihre Getränke zu kühlen.
Biodiversitätstaxis und Pomoretum
Beim Streifzug über die Streuobstwiesen kommt man an einer Schafherde vorbei. Schafe sind wegen ihrer Bedeutung als „Biodiversitätstaxis“ wieder hoch im Kurs und die Triesdorfer Merinoschafe haben zudem noch eine besondere Geschichte. Auch hier begann alles mit den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. Die kauften 200 spanische Merinoschafe und ließen sie übers Gebirge nach Triesdorf treiben, was über zwei Jahre dauerte und die Herde deutlich dezimierte. Dennoch konnte man aus den verbliebenen Tieren eine für die bayerische Schaflandschaft bedeutende Züchtung starten. Leider fehlt es in Deutschland an der nötigen Wollverarbeitungsindustrie. So muß die hier geschorene Wolle zur Reinigung und Weiterverarbeitung nach Belgien transportiert werden. Nur die Schmutzwolle wird direkt vor Ort verwertet und als Düngepellets für die Obstbäume verwendet. Bei einem Kilopreis von 0,25€ auf dem Weltmarkt tut man sich in Europa schwer mit der Wollverarbeitung. Von den Streuobstwiesen führt der Weg direkt zum Pomoretum, der beeindruckenden Sammlung von 1 200 fränkischen Apfelsorten.
Während der großen ökologischen Flurbereinigung der 1980er Jahre wurde der damalige Baumwart damit betraut, alle Obstsorten der Region zu sichten und zu sammeln. Sogar aus Israel brachte man fränkische Obstsorten zurück nach Hause. Als er in Rente ging, mußte sich sein Nachfolger zunächst ein Bild vom Bestand machen und zählte 1 200 Apfelsorten, 360 Birnensorten und diverse Zwetschgen- und Kirschsorten. Im eingezäunten Pomoretum (pomum = lat. die Baumfrucht/ arboretum = lat. die Sammlung von Gehölzen) stehen nun je zwei der 1 200 Apfelsorten, Satelitten erfaßt und nicht beschriftet, damit sie nicht unberechtigt entwendet werden können. Triesdorf trat der Genbank Obst in Dresden-Pillnitz bei, die die Sorten in Deutschland verwaltet und darauf schaut, daß jede Sorte an zwei Standorten steht, um den Bestand zu sichern. Nicht alle der 1 200 Apfelsorten sind zum Verzehr geeignet, aber aus allen entsteht der Triesdorfer 1 000 Sorten-Apfelsaft, den man auch im Käseladen erwerben kann. Neben der Mosterei gibt es eine Brennerei, die Brände und Liköre herstellt. Das Hofgartenschloß der Markgrafen direkt am Pomoretum bot den damaligen Gärtnern eine erstaunlich herrschaftliche Bleibe mit seiner von einem anderen Schloßbau geborgten Fassade. Zuletzt war hier die Studentenverbindung Frankonia beheimatet, die das Gebäude aber aus Brandschutz- und Sicherheitsgründen räumen mußte. Der Weg zurück zum Campus führt vorbei an der Via Mali, einem interaktiven Lehrpfad mit Apfelirrgarten für Familien mit Kindern. Übers Jahr kommen mehrere Tausend Besucher ans Bildungszentrum Triesdorf, um eine Führung mitzumachen und sich über moderne Landwirtschaft zu informieren. Am 25. Juni, dem Johannitag und zugleich Festtag zum 175. Jubiläum des landwirtschaftlichen Bildungszentrums besuchten einige Zehntausend Menschen Triesdorf. Nicht zuletzt wohl wegen der großen Landmaschinenausstellung und weiterer kleiner und großer Attraktionen auf dem gesamten Gelände. Darüber hinaus kann sich jeder Besucher in einer Festschrift über die beeindruckende Geschichte des Zentrums informieren.