Ausgabe März / April 2019 | Fränkische Profile

Wärme im Gesicht und ein Prickeln im Blut

Fränkischer Humboldt, Frankens Karl May, Drogenbaron, Schriftsteller, Forscher – Schwebheims berühmtester Sohn hat viele Bei­namen. Dabei war Ernst von Bibra eine durch und durch schillernde Persönlichkeit, die sich so schnell in kein Raster pressen läßt.

Text: Ursula Lux

Geboren wurde Ernst von Bibra am 9. Juni 1806 im Schloß von Schwebheim, einer kleinen Gemeinde ca. sechs Kilometer südlich von Schweinfurt. Er war gerade einmal 18 Monate alt, als sein Vater starb. Der Junge kam in die Obhut des Würzburger Kammerherrn Christoph Franz Freiherr von Hutten, in dessen Haus er aufwuchs. Trotz landadeliger Geburt war Ernst von Bibra alles andere als ein Krautjunker. Er sollte zu einem modernen und zivilen Adeligen, einem freisinnigen, mitmenschlichen, gelehrten und überhaupt nicht adelsstolzen Freiherrn heranwachsen.

Hutten sorgte dafür, daß der junge Freiherr in Neunburg an der Donau seine gymnasiale Ausbildung bekam. 1825 begann „Ernst Baron von Bibra aus Schwebheim“ sein Studium an der Würzburger Universität. Schon bald nach Studienbeginn gab er die Rechtswissenschaften zu Gunsten der Naturwissenschaften auf, besonders die Chemie hatte es ihm angetan. Früh schon schloß er sich auch dem „Corps Frankonia“ an. Das Leben in einer Studentenverbindung gehörte wohl damals zum Studium einfach dazu und Bibra war „das ideale Bild eines Burschen, ein flotter Student, mit Mitteln reich ausgestattet und mit eiserner Gesundheit“, wie es in der Chronik des Corps zu lesen steht. Dennoch läßt die Mitgliedschaft des „Biertrinkers“, wie sein Kneipenname lautete, auch Rückschlüsse auf die Gesinnung des Freiherrn zu. Hier schlossen junge Männer eine lebenslange Freundschaft ohne Rücksicht auf ihre Herkunft, politische oder religiöse Überzeugung. Ernst war ein kecker Student, eine Frohnatur und beliebt.

Opium führt zu Verstopfung

Als Dr. med. et phil. übersiedelte Bibra 1833 auf den Schwebheimer Familiensitz. Ein Beweis dafür, daß der Freiherr keineswegs ein von Dünkel und Doppelmoral durchdrungener Junker war, war seine Liaison mit einer Tagelöhnerin. Mit ihr hatte er ein uneheliches Kind, das er entgegen den Gepflogenheiten der Zeit aber versorgte. Der Mutter und dem illegitimen Nachwuchs ging es gut und er verheimlichte auch seiner späteren Frau nicht, daß er einen unehelichen Sohn hatte. Als Bibra 1836 die Lehrerstochter Josephine Pickel heiratete, setzte er ein weiteres Zeichen. Der Reichritter heiratete eine Bürgerliche und das in Gaibach, dem Ort der Konstitutionssäule, dem Symbol des deutschen Liberalismus. Seinen Sinn für Recht und Gerechtigkeit bewies er, indem er der Schwebheimer Kirchenstiftung das Recht der „Handlohnerhebung“ zurückgab, das seine Vorfahren kassiert hatten.

Auf seinem Familiensitz in Schwebheim richtete sich von Bibra im ehemaligen Gesindehaus, dem Hirschkopf, ein für die damaligen Verhältnisse sehr modernes Laboratorium ein und experimentierte fröhlich vor sich hin. Er untersuchte „verschiedene Eiterarten“ und „die chemische Zusammensetzung von Knochen und Zähnen des Menschen“, um nur einiges zu nennen. Und er experimentierte mit Drogen aller Art. In seinem für die damalige Zeit bahnbrechenden Werk „Die narkotischen Genußmittel und der Mensch“, das 1855 erschien, beschrieb er alle Formen von Drogen: vom Kaffee über den Tabak bis hin zum Opium. Und dabei blieb von Bibra nicht in theoretischen Betrachtungen stecken, sondern beschrieb seine eigenen Erfahrungen. „Tee steigert das geistige Wohlbehagen, bewirkt aber nicht das Entzükken, das man beim Opium hat“, stellte der Freiherr fest. Drei Wochen lang habe er täglich Opium genommen und davon Verstopfung bekommen, der Genuß von Haschisch habe ihm eine Wärme im Gesicht, später ein Prickeln im Blut, Unruhe und Leichtigkeit in den Gliedern gebracht. Das Fazit des passionierten Naturwissenschaftlers: „…daß die Natur den Menschen gewiesen, ab und zu ein sorgenminderndes Mittel zu nutzen“. Der Freiherr ist seiner Zeit weit voraus, wenn er meint: „Ohne Narkotika, ohne Spirituosen kann der Mensch, wie die Erfahrung gezeigt hat, leben. Durch ihren Genuß aber wird die Existenz eine glücklichere und er ist deshalb zu billigen.“

Entsündigung und Sklaverei

1946 zieht Ernst von Bibra mit seiner Familie nach Nürnberg um. Es war wohl die Sorge um die Erziehung seiner drei Kinder und der Wunsch, hier mehr akademischen Austausch zu finden, der den Freiherrn in die Stadt zog. Hier entwickelt er sich zu einem ersten „Arbeitsmediziner“. Er beobachtet die Arbeiter in den Zündholzfabriken und veröffentlicht „Untersuchungen über die Krankheiten der Arbeiter in den Phosphorzündholzfabriken, insbesondere das Leiden der Kieferknochen durch Phosphordämpfe“ und später Ergebnisse über „Versuche über die Wirkung des Schwefeläthers“. Seine Arbeit über die Phosphornekrose, die „weiße Krankheit“ der Spiegelarbeiter, die mit Quecksilber hantierten, rüttelte sogar das soziale Gewissen der Unternehmer wach und sorgte für menschlichere Arbeitsbedingungen. Für diese Arbeiten wurde er von der französischen Akademie der Wissenschaften mit dem Prix Montyon Preis ausgezeichnet.

Nicht zuletzt wegen der politischen Unruhen in Deutschland brach von Bibra 1849 zu einer Südamerikareise auf. Es gibt auch Vermutungen, daß er in die Revolution von 1848 verstrickt gewesen sei und Deutschland deshalb für eine Zeit verlassen mußte. Seine Reiseberichte verstärken das Bild eines sozial interessierten, vielseitigen Forschers mit Mitgefühl und Humor. Im April startete er auf der Brigg mit dem wegweisenden Namen „Reform“ von Bremen aus und zeigte dem Kapitän gleich, was so alles in ihm steckte. „Man bewunderte meine Gelehrsamkeit und einige Stunden darauf ebenso die Virtuosität, welche ich in der Konsumtion von Portwein an den Tag legte“, schrieb er in seinem Reisebericht. Augenscheinlich hatte er den Kapitän unter den Tisch getrunken.

Schon auf seiner ersten Station in Rio de Janeiro erlebt er, daß man sich hier auch für kürzere Zeit Sklaven mieten kann.  Der Freiherr verurteilte die Sklaverei als etwas Schändliches und Barbarisches. „Wenn aber ein Individuum der Willkür eines anderen, und wie hier, kaum mit dem Schatten eines Gesetzes geschützt, überlassen ist, kann man die Folgen wohl erraten“, schrieb er in seinen Reiseerinnerungen. Besonders empörte ihn „das Mißhandeln von Müttern in Gegenwart ihrer Kinder und umgekehrt“. Er fragte, was „frommen und gläubigen Christen oder den aufgeklärten freien ­Republikanern ein Recht gibt, ­solche heidnischen und barbarischen Gebräuche beizubehalten“. Die „Entsündigungsanstalten“, natürlich nur für Frauen, überzog er mit seinem Spott. „Glauben bisweilen eingenthümliche Ehemänner, daß die Senorita irgendeinem Caballero mehr Aufmerksamkeit schenkt als eben nöthig oder zuträglich ist, für den künftigen Frieden des Hauses“, dann schicken sie diese Senorita in ein Bußkloster wo sie sich drei Wochen lang von ihrer Verfehlung reinbüßen kann.

Ein Buch, das nur mäßig langweilt

Eine gewisse Bewunderung konnte er aber auch den Arauka-nern, „unbezwungenen, freien Indianern“ nicht verwehren. Sie hätten nie ihre Selbständigkeit verloren, weil sie „von fremder Sitte und Cultur nur so viel annehmen, als ihnen eben zweckmäßig erscheint“. So ließen die sich auch des öfteren taufen, wenn ein neuer Priester vorbei kam. „Man müsse den Europäern ihre Freude nicht verderben, sollen dann solche perfide neue Christen gesagt haben“, berichtete der Freiherr.

Neben vielen Forschungsarbeiten verarbeitete von Bibra seine Südamerikareise in mehreren Büchern, die bestimmt sind von romantischen Naturschilderungen: „tändelnde Wellen, flüsternde Flüsse und erleuchtete Fenster, die sich gegenseitig begrüßen“, strahlen ähnliche Stimmungen aus, wie die Bilder von Kaspar David Friedrich. Dabei können sich seine Naturschilderungen durchaus mit denen seines Zeitgenossen von Humboldt messen lassen. Außerdem beflügelte die Reise von Bibras Phantasie wohl so sehr, daß er sich nach ­seiner Rückkehr vermehrt der Belletristik zuwandte. Er schrieb unter anderem Liebesromane und Abenteuergeschichten. Er entwickelte sich zu einem begnadeten Erzähler, der über sich selbst sagte, er sei „bemüht ein modernes und zeitgemäßes Deutsch zu schreiben, weil uns selbst eine Durchführung des Stils von 1621 so langweilig wie unmöglich erschien.“

Auszüge aus seiner belletristischen Literatur zeigen auch wieder seine humorvolle Seite. So widmete er seiner Tochter Lucretia den Roman „Die ersten Glieder einer langen Kette“ und schrieb: „Ich hoffe, bescheiden wie ich bin, daß dich mein Buch nur mäßig langweilt.“ Die Kapitelüberschriften des Buches werfen ein Licht auf die Art der Bibra’schen Fabulierkunst. Das er­ste Kapitel „handelt, wie der Autor es nicht lassen kann von Spitzbuben“. Über einem anderen Artikel steht: „Der geplagte Leser erfährt eine Menge Dinge, die er sich zweifellos vorher schon gedacht hat.“

Am 5. Juni, vier Tage vor seinem 72. Geburtstag, stirbt Dr. Ernst von Bibra im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, wie ausdrücklich vermerkt wurde. Er war wohl einer der letzten Universalgelehrten. Er hinterließ rund 20 wissenschaftliche Abhandlungen und 32 Romane und Reisebeschreibungen. Und er sammelte Kunstschätze. Seinen Humor bewies er an vielen Stellen und in vielen seiner Werke. Unter anderem soll an seinem Haus in Nürnberg ein Schild angebracht gewesen sein, auf dem zu lesen stand: „Um 12 Uhr esse ich.“

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