Ausgabe Juli / August 2023 | Stadt-Land-Fluß

Verantwortung vor der Geschichte

Erlangens Solidarpartnerschaft mit Browary in der Ukraine

Text: Peter Steger | Fotos: Borys Korpusenko
Kinder- und Jugendzimmer im Wohncontainer-Dorf für ­Binnenflüchtlinge, ausgestattet mit Spendenmitteln aus Erlangen
Kinder- und Jugendzimmer im Wohncontainer-Dorf für ­Binnenflüchtlinge, ausgestattet mit Spendenmitteln aus Erlangen

Bis zum 24. Februar 2022 konnte sich Browary mit Fug und Recht „Stadt der glücklichen Menschen“ nennen. Doch dann brach der russische Vernichtungskrieg über die Ukraine herein, und schon kurz darauf verlief die Front in den Außenbezirken von Browary. Der Feind wurde hier zwar zurückgeschlagen, aber der Überfall der russischen Armee mit all seinen Folgen für das Land und die ganze Welt bleibt im Zentrum unserer Aufmerksamkeit und Sorge. In seiner Sitzung am 28. Juli 2022 hat der Stadtrat von Erlangen einstimmig beschlossen, eine „Solidarpartnerschaft“ mit einer ukrainischen Kommune im Großraum Kiew anzustreben. Auch die Partnerstadt Jena in Thüringen hatte eine Entscheidung dieser Art gefaßt. Der Stadtrat entschied dann in seiner Septembersitzung, diese Solidaritätspartnerschaft mit Browary einzugehen. Dazwischen hatte eine Zeit der intensiven Suche nach einer Kommune gelegen, die hinsichtlich Größe, Bevölkerungsstruktur, Erreichbarkeit und internationaler Erfahrung zu Erlangen passen würde. Bereits eigene Recherchen legten eine Spur nach Browary. Als dann aber auch Engagement Global, die von der Bundesregierung finanzierte, zentrale Anlaufstelle für weltweite Entwicklungsprojekte, Erlangen vorschlug, mit der 100 000-Einwohner-Stadt bei Kiew für eine Zusammenarbeit Kontakt aufzunehmen, fiel die Entscheidung nicht mehr schwer.

Urkundlich erstmals 1628 als – wie der Name relativ leicht verständlich macht – Dorf der Brauereien erwähnt, entwickelte sich der Ort nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Industrie- und Handelszen­trum in der Metropolregion Kiew, wo Sport übrigens auch eine große Rolle spielt. Die Klitschko-Brüder genossen ihre Ausbildung an der hiesigen Kaderschmiede. Dank der Nähe zu Kiew ist die Stadt – in Friedenszeiten – leicht erreichbar und bietet natürlich alle Kultur- und Freizeitangebote der Hauptstadt in Reichweite. Leider hinterließen die Deutschen in Browary aber schreckliche Spuren mit einem Konzentrationslager während der Besatzung durch die Wehrmacht; außerdem wurden viele „Ostarbeiter“ von hier auch nach Erlangen verschleppt. Auch dies sind Gründe für eine enge Zusammenarbeit in der Verantwortung vor der Geschichte.

Erlangen und Jena helfen gemeinsam

Unterdessen hatten Engagement Global und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit – eine Organisation der Entwicklungskooperation, im Auftrag verschiedener Ministerien inter-national tätig – Programme aufgelegt, die deutsche Kommunen ermuntern und dabei unterstützen sollten, mit ukrainischen Städten Verbindungen aufzunehmen und dorthin Hilfsgüter zu liefern bzw. Mittel zu überweisen, mit denen vor Ort Projekte unterstützt werden können. Erlangen und Jena, durch ihre Partnerschaft seit 1987 engstens verbunden, zögerten nicht lange und gehörten zu der ersten, etwa 30 Kommunen umfassenden Gruppe, die ab dem Herbst 2022 diese Angebote annehmen konnten. Mit doppelter Kraft halfen so Erlangen und Jena vereint, zunächst mit insgesamt 200 000 Euro für das städtische Krankenhaus in Browary – bei einem Eigenanteil von je 5 000 Euro, dann vor allem mit Generatoren, die wegen der ständigen Angriffe der russischen Armee auf die kritische Infrastruktur als Notstromaggregate eingesetzt werden. Parallel dazu riefen wir die Aktion „LichtER für die Ukraine, Solidarität mit Browary“ ins Leben, die mit etwa 20 000 Euro ein Wohncontainer-Dorf für Binnenflüchtlinge unterstützte, von denen aktuell etwa 15 000 in Browary leben.

Möglich ist dies alles – und vieles mehr – nur dank einer reichen Erfahrung der Stadtverwaltung Browary im internationalen Austausch. Schon seit Jahren unterhält die Kommune Kontakte zu Städten in Frankreich, Polen, im Baltikum und sogar in den USA. Und auch mit Erlangen und Jena sollen die Verbindungen möglichst bald alle denkbaren Bereiche umfassen. So war zum Winterwaldlauf bereits eine kleine Gruppe aus Browary zu Gast in Erlangen, Mitte Juni besuchte eine erste offizielle Delegation Erlangen, im Juli wird eine Mannschaft zu einem internationalen Jugendfußballturnier erwartet und im August kommen zwei Jugendgruppen zu Kontakten mit Pfadfindern. Hier wie dort hat sich mittlerweile ein Freundeskreis gebildet, um auch die bürgerschaftlichen Kontakte voranzubringen und neue Ideen zu entwickeln.

Städtisches Krankenhaus mit medizinischem Gerät, angeschafft mit Spendenmitteln aus Erlangen und dank der Unterstützung durch Engagement Global
Städtisches Krankenhaus mit medizinischem Gerät, angeschafft mit Spendenmitteln aus Erlangen und dank der Unterstützung durch Engagement Global

Möglichst breite Einbindung

Natürlich stehen angesichts des Vernichtungskrieges, den die russische Armee gegen die Ukraine führt, die Hilfsmaßnahmen im Vordergrund. Deshalb freut man sich in Browary auch riesig über das Löschfahrzeug der Feuerwehr Erlangen und die Einsatzwägen aus Jena, die im März dort eintrafen. Aber auch die „kleinen“ Aktionen, wie das Benefizkonzert der Chorvereinigung 1864 Frauenaurach oder der Pausenverkauf der Heinrich-Kirchner-Schule, ganz zu
schweigen vom „Ukrainischen Abend“ an der Volkshochschule oder vom Gedenktag am 22. Februar 2023 im Erlanger Musikinstitut. Doch auch damit nicht genug: So veranstaltet Anfang Juni der Lehrstuhl für Neue und Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt Osteuropa an der FAU ein Seminar zu Fragen von Gemeinsamkeiten in Vergangenheit und Gegenwart der Partnerstädte, demnächst soll ein Stadtbus „Browary“ den Linienverkehr in Erlangen bedienen, ein „Browary-Boot“ des Wanderrudervereins wurde zu Wasser gelassen, und der Verein der Ukrainer in Franken unterhält bereits eigene Kontakte, während eine nach Erlangen geflohene Journalistin aus Kiew regelmäßig aus Browary für die Erlanger Nachrichten Reportagen schreibt. Erlangen ging und geht es bei seinen internationalen Kontakten immer darum, die be­sten Bedingungen für Bürgerpartnerschaften zu schaffen. Ganz im Sinne von Browary, wo man jetzt schon über den Krieg hinausdenkt, entstehen deshalb auch bereits Projekte etwa im Bereich Wirtschaft und Wissenschaft. Doch weitere Anregungen aus der Stadtgesellschaft sind willkommen – in der Kultur, im Sport, im kirchlichen Bereich, in der Bildung, wo auch immer. Jede Idee ist es wert, auf ihre Umsetzung hin geprüft zu werden. Im Büro für Chancengleichheit und Vielfalt / Internationale Kontakte und Städtepartnerschaften wartet man nur auf solche Anregungen. Und wenn etwas nicht mit städtischen Mitteln finanziert werden kann, findet sich bestimmt eine Stiftung oder ein Programm von Engagement Global bzw. der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, um die Lücke zu schließen. Schließlich ist dann immer auch noch die Möglichkeit gegeben, Jena einzubinden. Denn aller guten Dinge in einer solchen Solidarpartnerschaft sind drei: Erlangen-Jena-Browary. – Besonders erfreulich dabei: Das Beispiel macht Schule. Weitere Städte in Franken – hier seien stellvertretend nur Fürth und Bamberg genannt – bauen Kontakte in die Ukraine auf.

Löschfahrzeug aus Erlangen, bereitgestellt von der Berufsfeuerwehr Erlangen
Löschfahrzeug aus Erlangen, bereitgestellt von der Berufsfeuerwehr Erlangen

Wenn auch Sie oder Ihre Kommune sich beteiligen wollen, wenden Sie sich gern an www.erlangen.de/browary. Helfen Sie uns dabei, der Ukraine zu helfen und Browary wieder zu einer Stadt der glücklichen Menschen zu machen!

Stadtpark mit dem Motto: Browary, Stadt der glücklichen Menschen 2022 (noch vor Ausbruch des Krieges installiert)
Stadtpark mit dem Motto: Browary, Stadt der glücklichen Menschen 2022 (noch vor Ausbruch des Krieges installiert)

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