Tierisch menschlich
Das Künstler-Ehepaar Krystyna Hurec-Diaczyszyn und Karol Hurec hat sich den Traum vom Leben auf dem Land erfüllt. Der Katharinen-Hof in Stockheim ist ein Ort, an dem Mensch, Tier, Natur und Kreativität bestens gedeihen.
Text: Sabine Raithel | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Sie ist größer als erwartet, die Nase von Sir Reginald, vor allem, wenn man sie ganz dicht vor sich sieht. Und er kann sie offenkundig in alle Himmelsrichtungen drehen. Dafür hat er den besten Grund der Welt, denn auf dem schön gedeckten Tisch im Garten steht frisch gebackener Apfelkuchen. Neben dem fränkischen Klassiker „Kloß mit Soß‘ “ ist Gebäck eine der kulinarischen Leidenschaften von Sir Reginald, der er einfach nicht widerstehen kann. Er folgt seinem markanten Riechorgan, will sich geradewegs ein kleines Stückchen vom Kaffeetisch mopsen, als er plötzlich die Stimme seines weiblichen Lieblingsmenschens hört: „Schwein, Schwein!“. Und jetzt geht es mit dem betagten Herrn durch. Blitzschnell wendet er sich vom Kuchenteller ab, macht eine, für seine Körperfülle beachtlich grazile Kehrtwende und rennt mit seinen kurzen, stämmigen Beinen in Richtung Haus.
Wenn Krystyna Hurec-Diaczyszyn zu Hause auf dem Stockheimer Katharinen-Hof „Schwein, Schwein!“ ruft, dann kommen nicht nur Sir Reginald und dessen Schwester Lady Doreena, die beiden siebenjährigen, hängebauchigen Mini-Pigs, freudig im Schweinsgalopp angerannt, sondern auch zwei Hunde und eine ganze Schar Hühner, denn dann gibt‘s ein Leckerli und Streicheleinheiten für alle. Die beiden Mini-Schweine wackeln mit ihren kleinen Schwänzen, schmusen mit ihrem Lieblingsmenschen und verschwinden dann zufrieden im Heu.
… tief in die Seele
Auf dem Katharinen-Hof haben sich das aus München stammende Künstlerehepaar Krystyna Hurec-Diaczyszyn und Karol Hurec gemeinsam mit ihrer Tochter Katharina und deren Familie den Traum vom Leben auf dem Land erfüllt: mit sieben Pferden, einem Esel, Hühnern, Katzen, Hunden und – natürlich – den beiden Schweinchen. Doch im Unterschied zu vielen anderen Höfen darf im Biosystem der Familie Hurec jeder solange leben wie er kann. Kein Tier landet hier jemals im Wurstkessel. Die Familie lebt vegetarisch und ermöglicht ihren Tieren auf mehr als 6 000 Quadratmetern Fläche mit Stallungen, Freiflächen, Unterständen, Reitplatz und einem kleinen Badesee ein artgerechtes Leben in Frieden und Harmonie. Manche Pferde sind hier über 30 Jahre alt. Und über die Jahre sind Mensch und Tier zu einer Großfamilie zusammengewachsen. Man kennt sich und weiß um die Vorlieben, aber auch um die kleinen „Macken“ des anderen. Krystyna Hurec-Diaczyszyn, ausgebildete Psychotherapeutin sowie passionierte Schriftstellerin und Malerin, schaut ihren Tieren dabei tief in die Seele und erkennt so manche Parallele zu den Freuden, aber auch Sorgen und Nöten von Menschen. „Wenn man lange genug mit einem Tier zusammenlebt, dann weiß man, daß wir uns in unserer Gefühlswelt gar nicht so sehr unterscheiden“, gibt sie zu bedenken.
Und während sich Sir Reginald und Lady Doreena über einen Kloß mit Soß’ hermachen, der noch vom Mittagessen übriggeblieben ist, sagt sie: „Die beiden sind uns Menschen sehr ähnlich. Sie genießen wohlschmeckende Speisen, bauen sich Nester zum Schlafen, mögen es, sich auszuruhen und einfach herumzuflezen. Sie sind neugierig und lieben es, Neues zu erlernen – und sie sind ausgesprochen kommunikativ. Wenn sie angesprochen werden, dann grunzen sie mit verschiedenen Lauten. Und sie schmusen für ihr Leben gern. Wenn ihnen etwas gar nicht gefällt, wie z. B. das Schneiden der Klauen, dann plärren sie so ohrenbetäubend, daß es das menschliche Trommelfell kaum aushält und jedwede ‚Untat‘ sofort beendet wird. Mit diesem Verhalten sind sie uns ‚wohl erzogenen‘ Menschen einen ganzen Schritt voraus.“ Nur wenn es ums Futter geht, dann greifen die beiden Schweinchen schon mal zu unflätigen Methoden. Und so kann es vor der Futterschüssel durchaus auch mal zu Rangeleien und Rüsselschubsern kommen.
Bilderbuch und Pferdekunst
Ihre Erlebnisse aus der Tierwelt vom „Katharinen-Hof“, aber durchaus auch eigene Befindlichkeiten hat Krystyna Hurec-Diaczyszyn in einem ausgesprochen unterhaltsamen „Bilderbuch“ für Erwachsene festgehalten. „Schwein, Schwein!“ ist eine Sammlung fabelhafter Episoden aus der Welt der Schweine. Da geht es um Liebe und Freundschaft, um die Freude am Genuß, um männliche und weibliche Eitelkeiten, um große und kleine Abenteuer – einfach um alles, was das Leben prall und bunt macht. Das Buch besticht nicht nur durch die Farbigkeit der Sprache, sondern auch durch die phantasievollen Illustrationen. So präsentiert sich eine Ratte mit einem schicken Höschen in Rosé sowie passender Perlenkette und Haarschleife; der „Schwerenöter“ ist mit seinem aufwendig drappierten Gewand, den Verzierungen und bunten Federn ein echter Hingucker, und auch das Schweinefräulein Anke sieht mit ihren roten Pumps und der gelegten Frisur ausgesprochen entzückend aus. „En passant“ verpackt Krystyna Hurec-Diaczyszyn in ihre Geschichten auch eine ernste Botschaft. In der geht es um eine neue Ethik des Essens und den Respekt vor jedwedem Leben.
Darum geht es auch Tochter Katharina Spindler-Hurec, Sozialpädagogin, Reitpädagogin und Pferdewartin. Sie kümmert sich vor allem um die Pferde auf dem Katharinen-Hof, bei denen auch ein kleiner Esel Anschluß gefunden hat. Seit einiger Zeit sorgt Katharina Spindler-Hurec gemeinsam mit ihrer Freundin Julia Stahl auf Instagram für Furore – und zwar mit „Pferdekunst“. Gemeinsam haben sie u.a. die „Corona-Version“ des berühmten Gemäldes „Studie eines Pferdes mit Reiter“ von Peter Paul Rubens und auch das Porträt der „Isabella von Bourbon zu Pferde“ von Diego Rodriguez de Silva y Velázquez neu interpretiert. „Weil Humor am besten hilft in Zeiten wie diesen“, sagen die beiden. Zu sehen sind die Bilder u. a. auf dem Blog unter www.pferde-lehren.com und auch auf der Instagram-Seite, pferde_lehren, die die beiden jungen Frauen mit Fotos, Beiträgen, Anekdoten und Reportagen rund um das Pferd, um Tierwohl und die Reitkunst befüllen. Überhaupt die Kunst. Die ist auf dem Katharinen-Hof allgegenwärtig. Die farbenprächtige Malerei von Krystyna Hurec-Diaczyszyn, aber auch die Arbeiten von Karol Hurec. Seine Malerei, seine Objekte und Installationen haben eine tiefegründige Botschaft. Mal sind es gesellschaftskritische Statements gegen Militarismus, Ausbeutung und Atomwirtschaft, mal erläutert er Naturwissenschaft und Spiritualität. Es geht ihm um Quantenphysik und Taoismus, um den Ursprung der Welt und auch um starke Frauen hinter berühmten Männern, um Licht und um Schatten, um das Alles und das Nichts. Vor 36 Jahren, als Absolvent der Akademie der Bildenden Künste in München, malte er das „Nichts“ mit weißer Farbe auf weißem Papier. Heute beschäftigt er sich mit dem „Alles“, dem großen Ganzen, das er in seinen quadratischen LED-Objekten chiffriert. Hurec hat sich als Lichtkünstler einen Namen gemacht. Seine Arbeiten sind in renommierten Galerien und Ausstellungen zwischen München, Berlin und London zu sehen. Vertreten wird er u.a. von Dr. Lily Fürstenow in ihrer Online-Galerie „X-treme“. „1/1000 Sek. vor der Entstehung von Zeit und Raum” lautet der paradoxe Titel einer Arbeit aus der „big bang“- Serie, die nicht mehr und nicht weniger als den Ursprung des Universums und der Endlichkeit fokussiert – den Urknall: Ein winziger Punkt, aus dem gleißendes Licht strahlt, das alles erhellt und zugleich seine Herkunft verbirgt; ein faszinierendes Lichtspektakel! Ästhetischer Minimalismus pur, den Hurec auch schon mal abseits schicker Galerien und cooler Interieurs, auf den grob verputzten Wänden in einer der weitläufigen Stallungen auf dem Katharinen-Hof Probe hängt. Und es sind wohl gerade Kontraste wie diese, die nicht nur die Kunst, sondern auch das Leben der Künstlerfamilie auf dem Hof so spannend und inspirierend machen.