Moorschutz mit Mehrwert
Lange Zeit stockte die Wiedervernässung des von der Klimakrise bedrohten Schwarzen Moores in der Bayerischen Rhön aufgrund unterschiedlicher Ansichten der zuständigen Behörden. Ein Kompromiß brachte im Herbst ein Maßnahmenset auf den Weg, an dem Freiwillige des Bergwaldprojekts beteiligt sind: Sie schuften für mehr Wasser im Moor und sind dabei glücklich.
Text: Sabine Haubner | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Es nieselt und ist mit 14 Grad so frisch, daß man mit dem ersten Frösteln seit Monaten klarkommen muß. In diesem Jahr Mitte Oktober fast schon ein meteorologisches Ausnahmeerlebnis: Der Sommer würde danach noch in die Verlängerung gehen. Doch jetzt paßt das Wetter zum Einsatzort. Bevor wir mit Torsten Kirchner, Gebietsbetreuer des NSG Lange Rhön, zur Kernzone des Schwarzen Moores nördlich von Fladungen (Lkr. Rhön-Grabfeld) gelangen, queren wir eine Wiese, die linker Hand von dichten Fichtenreihen begrenzt wird. Dunst entzieht den Bäumen die Farbe und webt an der idealen Moorstimmung, die uns bald umfangen wird: düster, ein wenig trostlos und wasserdurchtränkt.
Lähmendes Gerangel
Wir kommen an Stapeln mächtiger, frisch gefällter Fichtenstämme vorbei, betreten den eingezäunten Moorbereich und queren einen Borstgrasrasen Richtung Nordgraben. Hier arbeiten gerade Freiwillige der Umweltschutzorganisation Bergwaldprojekt e. V. an der Rettung des Hochmoores. „Man versucht, das bißchen Wasser, das noch da ist, im Moor zu halten“, lautet Kirchners lapidarere Beschreibung der Maßnahmen, die er vor Ort koordiniert. Nach einem jahrelangen Streit zwischen dem für den Moorschutz zuständigen Umweltministerium und dem Forstministerium gibt es endlich eine konzertierte Aktion, die das Ausbluten des Naturjuwels stoppen soll. Das Schwarze Moor in der Bayerischen Rhön ist eines der wenigen noch weitgehend intakten Hochmoore Deutschlands. „Einzigartig in seiner Form (ein konvex gewölbtes Kermimoor, Anm. d. Red.) in Deutschland und auch europaweit von besonderer Bedeutung“, erklärt Klaus Spitzl, Geschäftsführer von Naturpark & Biosphärenreservat Bayerische Rhön. Die lähmende Diskussion um die Bewahrung des Biotops hing absurderweise mit seinem Schutzstatus zusammen. „Es trägt alle Adelstitel der bayerischen und europäischen Naturschutzkategorien, die es gibt“, so Kirchner, von Kernzone des Biosphärenreservats bis Naturwaldreservat. Das Dilemma entstand, weil das Umweltministerium die Entnahme von Gehölzen, die sich mit zunehmender Austrocknung ausbreiten, für den richtigen Ansatz hielt, Bäume entziehen zusätzlich Wasser. Die Forstseite jedoch verteidigte den Naturwaldstatus, der Holzentnahmen verbietet. Um das aufzulösen, wurde ein Gutachten bei den Moorautoritäten Prof. Michael Succow und Dr. Giselher Kaule in Auftrag gegeben. Diese bestätigten Anfang 2022 die akute Gefährdung und dringenden Handlungsbedarf. Die beiden Parteien fanden einen Konsens und ergriffen Sofortmaßnahmen. Dazu haben die Forstbehörden im Oktober den Fichtenbewuchs am nördlichen Rand aus dem Naturwaldschutzstatus herausgenommen und gefällt. „Auch im Bereich des Bohlenwegs haben wir 70 bis 80 Prozent der Birken und Kiefern entnommen, um die Sichtachse auf das offene Kernmoor wiederherzustellen“, erklärt Oliver Kröner, Leiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bad Neustadt a. d. Saale.
Schwamm auf dem Trockenen
An und in alten Entwässerungsgräben malochen nun 17 Umweltschützer im Alter von 22 bis 70 Jahren eine Woche lang, um bestehende Stauwerke abzudichten beziehungsweise zu erneuern. Diese wurden in den 90er Jahren gebaut, um die Entwässerung einzudämmen, erfüllen aber ihre Funktion nicht mehr. Die Freiwilligen müssen sich mit einer Altlast der Nazizeit herumplagen. Das in rund 12 000 Jahren gewachsene Hochmoor blieb Jahrtausende lang unangetastet, bis es im 18. Jahrhundert mit dem Torfabbau losging. So richtig systematisch packte 1936 der Reichsarbeitsdienst die Nutzung an. Im Rahmen des Rhönaufbauplans wurden Entwässerungsgräben gezogen und auf rund 500 Hektar Fichten angepflanzt. Der Kriegsbeginn bedeutete eine Zäsur: Die Arbeiten wurden eingestellt und das Moor unter Naturschutz gestellt. „Das hat wahrscheinlich seine Zerstörung verhindert“, so Kirchner, der seit 20 Jahren als Gebietsbetreuer das Moor im Blick hat und seine faszinierende Schönheit bei Führungen erschließt.
Entstanden ist der gut 66 Hektar große Lebensraum in einer Mulde auf der Hochebene der Langen Rhön über einer wasserundurchlässigen Tonschicht. Der Moorkörper wird allein durch Regenwasser gespeist. 2018 setzte die Reihe der Rekordsommer ein. Monatelang kein Niederschlag. Wie sich die langen Durststrecken auswirken, erklärt Kirchner mit einem Bild: „Das Schwarze Moor ist wie ein großer Schwamm, und der sitzt im Moment auf trockenem Untergrund.“ Es brauche eine gewisse Menge Niederschlag und könne nicht existieren, „wenn es nicht mal mehr Tau gibt“. Der Verlust des Biotops wäre dramatisch. Zum einen würde er auch den Niedergang seltener, hochspezialisierter Arten wie die Torf-Mosaikjungfer oder des Sonnentaus bedeuten. Zum anderen ist ein intaktes Moor auch für das Klima wichtig. Stimmt sein Wasserhaushalt, speichert es enorme Mengen CO2 – pro Quadratmeter fünfmal mehr als Wälder. Fällt es trocken, setzt es diese Treibhausgase wieder frei.
Heute herrscht richtiges Moorwetter, und es muß sehr unangenehm sein, in den morastigen Gründen zu agieren. Schlechte Stimmung kommt deswegen nicht auf. An den zwei Stauwerken in unterschiedlichen Stadien wird konzentriert und mit zufriedenen Gesichtern gearbeitet. Erik aus Bremen formt gerade knödelgroße Kugeln aus Ton und plaziert sie auf einem langen Holzbrett, das schon 35 Stück trägt. Sie sind zum Abdichten der untersten Bohle des neuen Stauwerks bestimmt, ist von Philipp Fritz zu erfahren. Der Projektleiter des Bergwaldprojekts führt die Maßnahme in Kooperation mit den Projektpartnern, dem Landschaftspflegeverband Rhön-Grabfeld und der Wildland-Stiftung Bayern, durch. Er liefert die praktische Expertise und leitet die Freiwilligen an. Offensichtlich steigt auch er in die Schächte hinab: Seine wasserdichte, orangefarbene Arbeitskleidung hat schon ordentlich Schlamm abbekommen. „Wir haben den kompletten Graben ausgehoben, etwa 1,5 Meter tief, bis wir auf die untere Tonschicht stießen. Da paßten wir die erste Bohle zwischen drei Pflöcken ein und haben das Stauwerk mit weiteren Bohlen hochgezogen.“ Der Schacht wird gerade mit einer Hackschnitzelmischung verfüllt, die sich mit Wasser vollsaugt und es in den Flächen speichert. „Das hat den Effekt, daß die Bohlen ständig feucht bleiben und kein Sauerstoff rankommt. Dadurch werden sie konserviert“, erklärt Fritz das Verfahren. Ein bewährtes Grundprinzip wurde vom Bergwaldprojekt – seit 17 Jahren arbeiten sie am Schwarzen Moor mit – immer weiter verfeinert. Etwa durch die Hackschnitzelverfüllung und abschließende Bepflanzung der Dammkrone mit stabilisierenden Binsen. „Die war früher offen und weniger haltbar.“
Morastmaloche und Glücksgefühle
Stefan stampft mit kleinen, parallel gesetzten Trippelschritten. Anstrengend? Er lacht: „Kommt drauf an, wie lange man es macht. Außerdem macht es einen schönen Po.“ Der Fachleiter für Design an der Internationalen Schule in Bonn hat schon viele Aktionen im Umweltschutz gemacht. „Im Team arbeiten, das macht Spaß und Laune – und es gibt einem das Gefühl, daß die Welt nicht ganz verloren ist, wenn man was tut.“ Die Wiedervernässung des Schwarzen Moores erfordert die Zusammenarbeit vieler Akteure. Sieglinde steht am Hackschnitzelberg mit Schubkarre bereit und fragt Stefan: „Brauchst du noch Material?“ – „Ne, erst Wasser, muß noch verdichtet werden.“ Ob sich hier ein Spezialistentum entwickelt hat? „Wir machen alles“, erklärt Erik. „Jetzt kümmere ich mich darum, dann mach ich was anderes. So werden nicht immer die gleichen Muskeln beansprucht, und es soll ja noch Spaß machen.“ Er hat sich extra eine Woche Urlaub genommen und war schon einmal mit dem Bergwaldprojekt im Einsatz. „Als die Klimakrise in den Medien präsent wurde, kam bei mir der Wunsch auf, mich selbst einzubringen. Wir haben hier eine sehr positive Arbeitsatmosphäre. Alle haben Lust. Kann ich nur empfehlen.“ Christiane, Deutschlehrerin aus Stuttgart, steht im Schlammloch und findet es trotzdem gut: „Auch mal nett, so’n bißchen rumzusuhlen“.
Eine Zulieferin ist auch Susanne Wüst vom Landschaftspflegeverband Rhön-Grabfeld, der seit 2011 an den Rettungsmaßnahmen beteiligt ist. Sie hat die Bohlen und Hackschnitzel von Sägewerken aus der Umgebung organisiert. Außerdem kümmert sie sich um den Fluß der Gelder: Sie beantragt Fördermittel beim Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz. Mit der Umsetzung des Sofortmaßnahmenpakets ist sie sehr zufrieden. „Die Gehölzentfernung lief völlig reibungslos ab.“ Auch die Befreiung der Sichtachsen von Karpatenbirken und Krüppelkiefern überzeugt: „An den Stellen sieht man, wie offen das Moor eigentlich sein sollte. Alle Beteiligten waren ganz angetan von dem Ergebnis.“
Und es geht weiter. Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat ein großes hydrologisches Gutachten beauftragt, „das auf die Nuancen schaut und auch die Umgebung des Moores jenseits der Hochrhönstraße im Blick hat“, ist von Dr. Thomas Keller, Leiter der Oberen Naturschutzbehörde an der Regierung von Unterfranken, zu erfahren. Ende nächsten Jahres soll es vorliegen, dann sind größere Aktionen gemeinsam mit den Forstbehörden geplant. Die Hoffnung keimt, daß die besondere Beziehung von Menschen zu Mooren auch in Franken eine Zukunft hat.