Ausgabe Mai / Juni 2022 | Blende 8

Man kann sich auch aus kalter Vernunft zurückhalten, nicht nur aus Schwäche.

Text: Ralf

Eigentlich hatte sich der Nürnberger Ex-OB Ulrich Maly im Rahmen der Reihe „Ansichten und Kommentare“ des Bildungszentrums Nürnberg auf einen ganz anderen Gesprächspartner zum Thema fränkischer Dialekt eingestellt. Aber angesichts einer weiteren Woche des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gab es politischen Redebedarf. Eingeladen wurde Günter Gloser, ehemaliges MdB und Staatsminister im Auswärtigen Amt von 2005 bis 2009.

Ausgestattet mit jeder Menge Zeitungskommentaren aus ZEIT, SZ und FAZ gingen die zwei SPD-Granden der Frage nach, wie es zu dieser furchtbaren Katastrophe mitten in Europa kommen konnte. Was hatte man übersehen? Waren wir Deutschen zu weich gegenüber Putin? All die Jahre zu friedensbewegt? 

Ulrich Maly erzählt von der eigenen Wehrdienstverweigerung, vom Protest seiner Generation gegen den Nato-Doppelbeschluß. Gab es im Laufe der letzten Jahrzehnte zu viele Russlandversteher in der deutschen Regierung, allen voran Angela Merkel und Frank Walter Steinmeier in seiner Rolle als Außenminister? Oder war man zu sehr auf den eigenen wirtschaftlichen Wohlstand bedacht? Nordstream 1 und 2? – Aber das waren doch nur Wirtschaftsprojekte, streng zu trennen von der Politik. Sogar in Zeiten des Kalten Krieges hatten solche Verträge immer funktioniert. Und vielleicht hätte man dem Wunsch der -Ukraine auf Aufnahme in die NATO 2008 doch stattgeben sollen? 

Günter Gloser gibt Einblick in die damalige Diskussion. Im Nachhinein etwa sei Lothar de Maizière, damaliger Kanzleramtsminister, heute noch von der Richtigkeit dieser vor allem deutschen Absage überzeugt. Denn die Ukraine sei ein durchaus problematisches Land gewesen, gespalten in Ost und West und nicht unwesentlich dominiert von Oligarchen.

Ulrich Maly verwehrt sich deshalb gegen die vielen nachträglichen Kommentare von – wie er sie nennt – „Klugscheißern“. Ja, man hätte auf den Krieg in Georgien, in Tschetschenien, in Syrien, die Annexion der Krim etc. anders reagieren können. Aber wie hätte die deutsche Öffentlichkeit denn damals auf auch für uns schmerzliche Gas- und Ölsanktionen reagiert? Und hatten nicht auch die USA 2003 einen Angriffskrieg gegen den Irak auf der Basis von Fake-News vom Zaun gebrochen? Political correctness bleibt vor dem weltpolitischen Gesamtgeschehen leider oft nur ein frommer Wunsch.

Außerdem hatte es auch einen anderen Wladimir Putin gegeben. Am 25.9.2001 hatte er im Deutschen Bundestag vom „gemeinsamen europäischen Haus“ gesprochen. 

„Russland ist ein freundlich gesinntes europäisches Land!“ – hatte er betont. Die Zeit des Kalten Krieges, sie schien endlich vorbei. Was hätten sich gerade die Deutschen nach den Menschheitskatastrophen des 20. Jahrhunderts Besseres wünschen können! Auf der Basis von Frieden und Völkerverständigung wollte Deutschland eine Modernitätspartnerschaft mit Russland: Kultur- und Jugendaustausch, Zusammenarbeit in Wirtschaft und Wissenschaft.

 Trotz der jetzigen Barbarei in der Ukraine, so Maly, waren diese Ziele der zurückliegenden Jahre nicht falsch. Und jetzt, wo sich Putin als Kriegstreiber entpuppt, ist da das Zögern des Westens wirklich nur Feigheit? 

Es gibt eine Asymmetrie der Gewaltbereitschaft zwischen Despoten und Demokraten. Man kann sich auch aus kalter Vernunft, nicht nur aus Schwäche zurückhalten. Denn nichts weniger als der Dritte Weltkrieg droht. Besonderen Augenmerk, so Günter Gloser, solle man deshalb auf die Interpretation der russischen Militärdoktrin durch den russischen Außenminister Sergej Lawrow legen. Wenn die Existenz des russischen Staates bedroht ist, so heißt es, rechtfertigt dies auch ohne direkten militärischen Angriff von außen den Einsatz nuklearer Waffen. Ob bei einem solchen Szenario der Wunsch eines friedensbewegten Teilnehmers der Nürnberger Veranstaltung „lieber rot als tot“ noch irgendeine Relevanz hat, soll dahingestellt bleiben.

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