
Liebe Leserin, lieber Leser,
Da denkt man ganz entspannt: jetzt is‘ es aber mal gut! Jetzt läßt der Trubel bestimmt etwas nach. Prompt amüsiert einen ein als Bayerischer Ministerpräsident verkleideter Elvis mit einem „Reel“, einem „Recap“ (das ist eine aufgepimpte Rekapitulation einer vergangenen Veranstaltung) vom CSU-Wahlkampfabschluß in den Sozialen Medien; und im Radio folgt der O-Ton eines Kanzler-Avatars am Tag danach, Deutschland werde jetzt wieder groß … und wer nun denkt, das ließe sich nicht mehr überbieten – höchstens noch mit einem Gruß aus der „world“ (so nannten die in Deutschland stationierten „GI“ von den 50er bis 2000er Jahren den Flecken, wo sie herkamen, bis … ja bis Dollar und D-Mark eins zu eins verrechnet wurden) – der irrte. Natürlich, beim Blick in die SZ vom Tag danach fiel es einem wie Schuppen von den Augen, der ältliche, der AfD vermutlich eher wohlgesonnene Erfinder des Ge-gräus, der „kulturkritische Optimist“ mit den vielen grauen Stellen, Peter Sloterdijk („Wer noch kein Grau gedacht hat“ Ffm 2022), war schon tagelang nicht mehr lauthals in den Medien. Und wäre jetzt nicht genau die Zeit, den Deutschen, überhaupt den Europäern etwas Mut zu machen, schließlich sei es der Mut, die technische Brillanz und der Erfindungsreichtum der europäischen Seefahrer gewesen, die die Welt erfanden. Sloterdijk knöpft sich diesbezüglich gleich die selbstgerechten Europa-Kritiker vor; indem er z.B. dem Kolonialismuskritker Frantz Fanon (1925 – 1961) nachruft, daß sich nur allzu oft „die Verdammten dieser Erde“ … „primär untereinander misshandeln(den) und nicht ihre Unterdrücker“. Werden da nicht die historischen Abläufe verdreht? Ohne Europa in toto zu verurteilen, aber es sind eben vor allem auch die Europäer, die seit 1948 mit den Menschenrechten und der unantastbaren Menschwürde fuchteln und zugleich Tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lassen. Wenn wir in diesen Tagen an den fürchterlichsten Krieg der Geschichte erinnern, dann sollte uns auch klar werden, wie fragwürdig unsere Debatte über die Migration geführt wird. Wenn Europa wieder groß werden will, wie wäre es als moralische Instanz?
Wir bieten Ihnen trotzdem eine lesenswerte neue Ausgabe!