Ausgabe Juli / August 2024 | Stadt-Land-Fluß

Landleben auf Probe

Eine unkonventionelle WG testet die Region Oberfranken und zieht ein positives Fazit.

Text: Vanessa Weiskopf
Erst „Rumm stopfen“, dann ausruhen: Die Probewohner sitzen nach getaner Arbeit in gemütlicher Runde zusammen und ­tauschen sich über die Erlebnisse in Oberfranken aus.
Erst „Rumm stopfen“, dann ausruhen: Die Probewohner sitzen nach getaner Arbeit in gemütlicher Runde zusammen und ­tauschen sich über die Erlebnisse in Oberfranken aus. Foto: Paul Krizsan

Frischer Wind tut gut. Er wirbelt auf, läßt neue ­Ideen entstehen und kann positive Veränderungen bewirken. Das innovative Projekt „Work. Land. Life“ – Landleben auf Probe in Oberfranken“ ist solch ein frischer Wind. Bereits zum zweiten Mal lud Oberfranken Offensiv e.V. acht Großstädter in den Frankenwald ein, die sechs Wochen das Leben auf dem Land ­te­steten. Das Projekt, das der Verein mit seinem Demo­graphie-Kompetenzzentrum umgesetzt hat, wurde durch das Bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat gefördert. Gastgeber war das Obere Rodachtal mit den Orten Wallenfels, Steinwiesen und Nordhalben im Landkreis Kronach.

Die acht Probewohnerinnen und Probewohner, die unter anderem aus Mainz, Berlin und München kamen und aus über 100 Bewerbungen ausgewählt wurden, arbeiteten von Anfang Mai bis Mitte Juni im Nordwald Space. Sie teilten sich die Büroräume und gingen ihren Jobs im Homeoffice nach. Jeder Bewohner hatte sein eigenes Bad und Schlafzimmer. Die Gruppe kochte gemeinsam, besuchte Sportkurse und erkundete die Region. An ihrer Seite war neben Projektleiterin Sandra Wolf von Oberfranken Offensiv auch Daniel Lerner, der seit Januar als Manager den Nordwald Space betreut. Vor einem Jahr war er selbst Teilnehmer. „Work. Land. Life“ hat sein Leben durcheinandergewirbelt, und er ist überglücklich darüber. Während seines Aufenthalts entschied er sich, von Stuttgart nach Nordhalben zu ziehen. „Vor einem Jahr bin ich hergekommen, jetzt bin ich angekommen.“ Hier fühlte er sich willkommen und wohl. Hier fand er Raum für seine Ideen. Gemeinsam mit den Probewohnern feilt er an seinem Konzept, um den Coworking Space noch attraktiver zu machen. „Ich bin immer noch überwältigt von dem, was hier passiert ist.“

In Wallenfels lernten die Probewohner die Tradition der Flößerei kennen. Früher zum Holztransport genutzt, bedeutet es heute: Ab aufs Floß und mit ganz viel Spaß die wilde Rodach hinunter!
In Wallenfels lernten die Probewohner die Tradition der Flößerei kennen. Früher zum Holztransport genutzt, bedeutet es heute: Ab aufs Floß und mit ganz viel Spaß die wilde Rodach hinunter! Foto: Daniel Lerner

Entsprechend groß war auch das mediale Interesse. „Mit einem solchen Erfolg haben wir nicht gerechnet. Daß Daniel Lerner nach Nordhalben zieht, hat alle Erwartungen übertroffen“, sagt Projektleiterin Sandra Wolf. Auch nach der zweiten Runde war das Fazit sehr positiv. Die Probewohner engagierten sich und brachten sich aktiv in das Leben der drei Partnerkommunen ein. Vom Floßbau über das Bierbrauen bis hin zum Klöppeln: Sie nahmen an Veranstaltungen teil und testeten die Freizeitangebote. Viele von ihnen haben einen beruflichen Hintergrund im Tourismusbereich. Mit ihrer Expertise analysierten sie die Angebote und präsentierten die Ergebnisse bei einem Abschlußfest. Dieses Konzeptpapier unterstützt den Tourismusverband bei seiner künftigen Arbeit. Gleichzeitig wollten sie den Menschen vor Ort etwas zurückgeben und möchten auch weiterhin den Kontakt halten. Was die Teilnehmer beider Runden eint, ist die Neugier auf neue Arbeitsformen und die Begeisterung, neue Menschen kennenzulernen.

Die sechs Wochen vergingen wie im Fluge. Probewohnerin Marie Budde versucht die Zeit für sich einzuordnen. Ihrer Meinung nach haben die „Großstädte ihre beste Zeit gesehen“. Die 48jährige Wahlberlinerin, die sich beruflich mit den Themen Klimaschutz und Mobilität beschäftigt, fand im Oberen Rodachtal eine Gemeinschaft, die sie herzlich aufnahm. Sie war be­geistert von der Vereinskultur und der Natur. Frische Luft war in Oberfranken für sie stets inklusive. Denn wenn Marie Budde beim Radfahren tief die Waldluft einatmete, war das für sie Lebensqualität pur. Sie schwärmt rückblickend von den kleinen Momenten im Frankenwald, wenn sie die Katzen im Garten oder eine Wasseramsel beobachtete, einen Vogel, den sie zuvor noch nie live gesehen hatte. Ein Kontrastprogramm zu ihrem Leben in Berlin. „Wer sagt, daß auf dem Land nichts los ist, liegt falsch“, sagte die 48jährige. Ein Umzug käme für sie nur mit einem Jobwechsel in Frage, um nicht dauerhaft im Homeoffice zu arbeiten. „Früher dachte ich, es sei mir wichtig, wo ich lebe. Nun, nach sechs Wochen, weiß ich, daß das Wie viel entscheidender ist.“ Und beim Wie konnte Oberfranken sehr gut punkten.

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