Kunst für alle
Im Kunsthandwerkerhof in Stadtlauringen treffen Kunstschaffende auf Kunstneulinge. Die Begegnungsstätte ist einmalig in der Region – und nur eins der Beispiele, wie der Markt öffentliche Plätze attraktiv gestaltet.
Text: Vanessa Michaeli
Etwa 20 Kilometer von Schweinfurt, am nordöstlichsten Zipfel des Landkreises, liegt der beschauliche Markt Stadtlauringen. Umgeben vom Naturpark Haßberge sind die zehn Ortsteile ideale Start- und Endpunkte für ausgedehnte Radtouren und Wanderungen durch Wälder, Wiesen, Weinberge, malerische Dörfer und zum Ellertshäuser See. Wie sehr sich die Gegend für Entdeckungen zu Fuß eignet, wußte bereits vor 200 Jahren der Dichter und Orientalist Friedrich Rückert zu schätzen, der seine Kindheit im „Rückertdorf“ Oberlauringen verbrachte. Doch die Nähe zur Natur ist nicht das einzige, mit dem Stadtlauringen aufwartet. Seit etwa sechs Jahren bietet die Gemeinde Kunstschaffenden und Interessierten ein kulturelles Erlebnis, das in der Region seinesgleichen sucht: den Kunsthandwerkerhof. Mitten in Stadtlauringen, an der Hauptstraße zwischen Sparkasse, katholischer Kirche und Bäckerei, steht ein Gebäude, bei dem Alt und Modern auf harmonische Weise miteinander verschmelzen. Zwischen weiß getünchten Wänden tauchen Ausschnitte aus dem früheren Fachwerk mit Malereien oder eine komplette Lehmwand auf, in vielen Räumen geht man über den ursprünglichen Holzboden. Als der ehemalige landwirtschaftliche Hof saniert und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte, hätten die Architekten ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, vieles zu erhalten, erzählt Franziska Toleikis-Busching. Die Oberlauringerin leitet den Kunsthandwerkerhof und ist fasziniert von dem Spiel zwischen Alt und Modern und der „wunderbaren Arbeitsatmosphäre“, die sie umgebe. „Der Kunsthandwerkerhof soll Künstlern einen leichten Einstieg in die Welt der Ausstellungen und Bürgerinnen und Bürgern einen leichten Einstieg in die Kultur bieten“, sagt sie. In den Geschmack dieser Atmosphäre können alle kommen, die es nach Stadtlauringen verschlägt. Von Montag bis Freitag steht der Kunsthandwerkerhof vormittags sowie Dienstag und Donnerstag am Nachmittag Interessierten offen, der Eintritt ist kostenlos. Zusätzlich läßt sich jeden Sonntag die aktuelle Ausstellung bestaunen, begleitet durch die jeweiligen, meist regionalen Künstlerinnen und Künstler. Denn für diese bietet der Kunsthandwerkerhof eine Plattform, die es so in der Gegend kein zweites Mal gibt. „Wenn ich den Kunsthandwerkerhof eingebettet in den Markt Stadtlauringen und die Region betrachte, dann betrachte ich ihn als etwas Herausragendes, weil so etwas im ländlichen Raum nicht erwartet wird“, sagt Bürgermeister Friedel Heckenlauer.
Für jedes Kunstwerk der passende Platz
Das Herzstück des Kunsthandwerkerhofs bilden die verschiedenen Ausstellungsräume, die sich über zwei Etagen verteilen und die alle ihren eigenen Charme haben. Hier treffen die hohen Decken und offenen Dachstühle des ehemaligen Stalls auf die niedrigen alten Wohnräume, die teils so klein sind, daß selbst durchschnittlich gewachsene Menschen sich beim Gang durch die Türöffnung ducken müssen. Dieser Mix eignet sich laut Toleikis-Busching ideal, um verschiedenste Kunstwerke zu präsentieren: In den beiden Ausstellungshallen bekommen große Bilder und Skulpturen den Raum, den sie brauchen, um richtig auf die Besucherinnen und Besucher zu wirken. Und in den sechs kleineren Ausstellungsräumen findet sich Platz für kleinere Werke, die in der Weite der Hallen untergehen würden.
Seit der Eröffnung im Jahr 2018 fanden im Kunsthandwerkerhof Ausstellungen, Symposien, Vernissagen sowie Lesungen und kleine Konzerte statt. Im vergangenen Jahr beispielsweise gab es eine Newcomer-Ausstellung, bei der Künstlerinnen und Künstler im Alter zwischen 17 und 28 Jahren ihr Können zeigten. „Das war super“, erinnert sich Leiterin Toleikis-Busching. „Da war die ganze Jugend hier.“ Wer selbst künstlerisch tätig werden möchte, kann zudem an den Kursen teilnehmen, die die jeweils ausstellenden Kunstschaffenden oder der Markt Stadtlauringen anbieten. Von zweistündigen „Art-to-Go“-Anfängerworkshops über mehrwöchige Aquarellkurse bis zu Ferien-Malkursen für Kinder und Jugendliche gab es in der Vergangenheit ein wechselndes Angebot. „Der Kunsthandwerkerhof macht Kunst und Kultur für alle greifbar und nahbar“, sagt Toleikis-Busching.
Offen für neue Kunst
Zum Zeitpunkt des Besuchs sind Bilder des Kunstmalers und ehemaligen Architekten Christian Remchen zu sehen. Er hat sich unter anderem auf Porträts spezialisiert. Mit Kugelschreiber, Bleistift oder Aquarellfarben fängt er das Aussehen und den Charakter eines Menschen ein, sei es ein Vater, der mit seinen muskulösen Armen sein Baby hält oder eine junge Frau, die lachend das Leben begrüßt. Von seinem Können kann man sich in Stadtlauringen noch bis Anfang Juni überzeugen – oder man fängt den Künstler bei einer der vielen Veranstaltungen ab, bei denen er live Porträts anfertigt.
Die meisten Ausstellungen dauern wie die von Remchen etwa anderthalb bis zwei Monate. Wer kürzer oder länger ausstellen möchte, könne dies individuell mit ihr besprechen, sagt Toleikis-Busching. Auch sei es möglich, sich in einer Gruppe zu präsentieren. Eine der wenigen Vorgaben sei, daß man die Räumlichkeiten sonntags von 15 bis 18 Uhr betreuen müsse – dafür koste das Ausstellen die Kunstschaffenden nichts. Gerade am Wochenende kämen viele Besucherinnen und Besucher, in den warmen Monaten machten regelmäßig Busgruppen Halt in Stadtlauringen. Einige der Künstlerinnen und Künstler, die ihre Werke bisher im Kunsthandwerkerhof ausgestellt haben, sind über Mund-Propaganda zu Toleikis-Busching gekommen, wie sie erzählt. Andere habe sie selbst über Kanäle wie Instagram entdeckt. „Ich bin immer offen für neue Impulse und freue mich über Anfragen“, sagt sie.
Eine attraktive Gemeinschaft
Daß das historische Gebäude, in dem sich der Kunsthandwerkerhof befindet, zu solch einem kulturell besonderen Ort entwickelt hat, hat der Markt Stadtlauringen seinem Bürgermeister Friedel Heckenlauer und der engagierten Gemeinschaft der etwa 4 200 Einwohnerinnen und Einwohner zu verdanken. Seit 22 Jahren leitet Heckenlauer die zehn Ortsteile, die er immer als Gesamtes betrachtet und aus denen er regelmäßig Verbesserungsvorschläge unterbreitet bekommt. Diese stammen aus dauerhaften oder anlaßbezogenen ehrenamtlichen Arbeitskreisen. „Das ist für die Bevölkerung Ansporn, mitzumachen“, sagt Heckenlauer.
Für die Attraktivität der Ortschaften und die Gemeinschaft ist es laut dem Bürgermeister wichtig, den öffentlichen Raum attraktiv zu gestalten. Um das zu erreichen, wurden in den vergangenen Jahren die Ortsmitten saniert und wiederbelebt. Das zeigt sich neben dem Kunsthandwerkerhof unter anderem am historischen Rathaus und seinem Marktplatzensemble, der Amtskellerei mit Gemeindebibliothek und der Dorfgemeinschaftshäuser, die es in jedem Ortsteil gibt. Auch für private Investitionen wie der dorfgerechten Gestaltung von Höfen, der regionaltypischen Restauration von Hoftoranlagen, Zäunen und Mauern oder der Erhaltung von ortsbildprägenden Fassaden gab und gibt es Fördergelder.
Daß dieser Einsatz positiv ankommt, stellt Heckenlauer immer wieder fest. „Die Bürger identifizieren sich ganz stark mit ihrer Gemeinde“, sagt er. So sei beispielsweise der ehrenamtlich geführte Kinderchor mit 45 Mädchen und Jungen gut besetzt und bei der Veranstaltungsreihe „VEREINt Kultur leben“ würden zahlreiche Vereine mithelfen, damit die sechs Live-Musik-Abende auf dem Marktplatz in Stadtlauringen zu einem Erfolg für alle werden. Zudem zahle jede Einwohnerin und jeder Einwohner jedes Jahr zwei Euro in einen Fonds ein, mit dem Natur- und Umweltschutzprojekte gefördert werden, die von einem unabhängigen Bürgergremium ausgesucht werden.
An eine Geschichte erinnert sich der Bürgermeister im Gespräch besonders gerne: Im Jahr 2012 hat der Markt Stadtlauringen den bayernweiten Wettkampf „Bayerns beste Bayern“ gewonnen. 200 Menschen seien zum Finale ins oberbayerische Manching gefahren, bei ihrer Rückkehr wurden sie von der Musikkapelle und über 300 Stadtlauringern feierlich empfangen. Als Belohnung habe die Gemeinde anschließend Aufkleber drucken lassen. „Ich sehe heute noch Autos mit diesen Aufklebern rumfahren“, sagt Heckenlauer.