Knallbunter Profiteur des Klimawandels
Der Bienenfresser ist der einzige Vertreter einer Vogelfamilie, die in den Tropen und Subtropen heimisch ist, der sich in warmen Zeiten in unsere Breitengrade wagt.
Text: Sabine Haubner | Fotos: LBV - Bildarchiv
Endlich ein günstiger Zeitpunkt. Die bislang verregnete Julistrekke wird durch einen Sonnentag aufgebrochen. Heute müßten sie unterwegs sein, die fliegenden Raritäten, die das Herz eines jeden Vogelfreundes höher schlagen lassen – und auch den Puls der Autorin beschleunigen. Könnte gut sein, daß sie vor ihrer Prämiere einer Sichtung dieser Spezies steht.
Mit Fernglas und festem Schuhwerk ausgerüstet, taste ich mich durch die Steinbruchlandschaft im Landkreis Würzburg an die magische Grenze von 200 bis 300 Metern Mindestabstand zum Brutplatz der Vögel heran. Ein dringender Rat, den mir ihr Hüter Markus Gläßel mit auf den Weg gegeben hat. Die bunt Gefiederten sind sehr scheu und es besteht die Gefahr, daß durch Ruhestörung ihre Brut gefährdet wird. Dicke Huflattichblätter überziehen die Abraumhügel wie Tarnnetze, in den Senken haben sich Spitzwegerich und Ackerdisteln angesiedelt. Typische Ruderalvegetation, aus der die weißen Blütendolden der Wilden Möhre und das intensive Rot kleiner Klatschmohninseln aufleuchten. Den Himmel immer wieder mal mit dem Spectrum sondiert – und nichts gesichtet. Der erste Hinweis ist wenig später zu hören. „Prrüt, prrüt, prrüt“ ertönt ein klangvoller Vogelruf mit eingeschobenem warmen Gurren – ein ungewohntes Erlebnis über dem offenen fränkischen Kulturland. Die Vogelmelodie hört sich eher an wie eine Sequenz Regenwaldsound. Und paßt damit auch zu der exotischen Anmutung des Bienenfressers. Er ist der einzige europäische Vertreter einer Art, die in den Tropen und Subtropen heimisch ist. In warmen Zeiten wagt er sich aber auch bis in unsere Breitengrade vor. Mitte Mai fliegt er aus seinem Winterquartier im Süden Afrikas ein und macht sich sofort an die Balz, denn sein Zeitfenster für Brut und Aufzucht ist klein. Ende August macht er sich wieder auf die Langstrecke zurück.
Farbige Flugkünstler
Mit dem Fernglas kann ich ein paar sitzende Exemplare der Kolonie entdecken, die sich in Gruppen auf der Umzäunung des aufgelassenen Steinbruchs positioniert haben. Dessen hohe Abbruchkante mit der steilen Lößwand ist ihr Brutrevier, Höhleneingänge durchlöchern sie wie Edamer Käse. Und dann erlaubt ein Schwenk himmelwärts die Beobachtung zweier Bienenfresser im Flug. An Düsenjäger erinnern sie, wie sie mit ihrem schlanken Körper, den dreieckigen Flügeln und dem spitzen, leicht gebogenen Schnabel durch die Luft stechen. Unglaublich wendig und vielseitig sind ihre Flugmanöver. Aus entspanntem Thermikflug lassen sie sich kaskadenartig absinken, gewinnen wieder an Höhe, um dann blitzschnell mit angelegten Flügeln nach unten zu stürzen, eine Beute im Visier.
Dabei schillern ihre prächtigen Farben im Sonnenlicht. Der Bauch leuchtet türkisfarben auf, die Kehle kräftig gelb, der Rücken changiert von Orange bis Kastanienbraun, im Schwanz blitzt Grün auf. Kein Wunder, daß manche sie für Papageien halten. „Er gehört zu den exotischsten Vogelarten, die es bei uns gibt“, erklärt Markus Gläßel, der sich als Bienenfresserkoordinator der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (DO-G) für Unterfranken intensiv mit der Spezies beschäftigt.
Das liegt nicht nur am Aussehen. Auch das Auftreten in Kolonien und daß sie tierische Neubürger sind, beflügeln laut Gläßel ihren Exotenruf. Aspekte der Art, die auch ihn faszinieren. „Sie leben und brüten einfach anders als die bei uns verbreiteten Vögel.“ Außerdem kenne er kaum andere Arten, bei denen sich die Bestände von Null an so ausgebildet haben. Die Bienenfresser sind eine bedrohte Rote-Liste-Art und galten in Deutschland zeitweise als ausgestorben. Der Vogelkundler erkannte zu Beginn seiner Bienenfresserhingabe darin einen gewissen Handlungsbedarf und findet es seitdem unglaublich spannend, mitzuverfolgen, wie sich die Population ausbreitet.
„Seit 2012 sind sie wieder da.“ In Unterfranken haben sie zunächst mit drei Paaren Fuß gefaßt. Ein vorbereiteter Zufallsfund Gläßels. Er wußte von vereinzelten Vorstößen in den ausgehenden 80er Jahren. Pionierpaare, die ab Mitte der 90er Jahre dann wieder ausblieben. Damals waren die Sommer einfach zu kühl für den wärmeliebenden Vogel, weiß Gläßel. Thermisch induziert war dann auch sein Impuls für eine Stichprobe an alten Standorten. Die Klimaerwärmung hatte in ihm den Verdacht genährt, daß die Bienenfresser zurückgekehrt sein könnten. „Ich bin spontan in einen Steinbruch rausgefahren, hab‘ mal ein paar Stunden gewartet und dann den Ruf gehört: dieses wunderschöne ‚Prüt‘.“
Wohlfühlzone Unterfranken
Seit neun Jahren beobachtet er einen geradezu exponentiellen Anstieg der Bestände, vor allem im Landkreis Würzburg. Offiziell hat er sich ihrer 2016 angenommen, als Bienenfresser-Koordinator der DO-G. „Meine Hauptaufgabe ist dabei das Monitoring der Bestände in Gesamtunterfranken.“ Bei der Kartierung wird er von einem mehrköpfigen Team unterstützt, durch Zählung vor Ort oder vorbereitende Dokumentation. Gläßel koordiniert die anstrengenden Einsätze an mehreren Wochenenden während der Brutsaison. Da heißt es von 9 bis 20 Uhr 30 still und unauffällig den Überblick über den regen Verkehr an den Brutwänden zu behalten. Anfangs waren die Kartierungen überschaubar: 2016 brüteten lediglich acht Paare. Im nächsten Jahr stieg die Zahl sprunghaft auf 24 an. Der bislang größte Zuwachs war von 2019 auf 2020 zu beobachten: von 42 Brutpaaren auf 70. In der diesjährigen Saison zogen 78 Bienenfressereltern ihre Jungen im Landkreis auf. Ein eher moderater Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Die Unterfrankenstatistik wird fast ganz von den Kolonien des Landkreises Würzburg bestritten. Lediglich drei Brutpaare ließen sich in benachbarten Landkreisen nachweisen. Die Zahlen gehen an den Chefkoordinator der DO-G und werden dort in die Datenbank eingepflegt, Gläßels Berichte über die Brutsaison erscheinen im Jahrbuch der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft 2 des Naturwissenschaftlichen Vereins der Universität Würzburg. Unterfranken liefert einen erheblichen Anteil der bayerischen Bienenfresser, die im vergangenen Jahr 287 Brutpaare zählten. Der deutsche Gesamtbestand erreichte 2020 mit 4 779 Brutpaaren ein neues Hoch. Die erfolgreiche Etablierung der knallbunten Vögel in Unterfranken hat zum einen mit den Auswirkungen des Klimawandels zu tun, die in der Region besonders zu spüren sind. Ab einer 20 Grad-Juli-Isotherme beginnt für die mediterrane Art die Wohlfühlzone für Brut und Aufzucht. „Sie gehören zu den Vogelarten, die ihre Beute, zum Beispiel Bienen, Hummeln und Heupferde, in der Luft fangen und sind deswegen auf viele sonnenreiche, regenarme Tage angewiesen.“ Hinzu kommt der rege Muschelkalkabbau in der Region, „Steinbrüche sind das A und O für die Ausbreitung“, und das Vorhandensein riesiger Lößbecken. Das macht die Bedingungen im Landkreis Würzburg „optimal“.
Entschärfte Brautgeschenke
Bienenfresser sind wie der mit ihnen verwandte Eisvogel – auch der rangiert als „Juwel der Lüfte“ unter den farbenprächtigsten heimischen Vögeln – Höhlenbrüter. Sie treiben ihre Brutröhren bis zu zwei Meter tief in die Erde der steilen Wände, Sonnenexposition bevorzugt. Der Lößlehm an den etablierten Landkreisstandorten ist dafür ein geeignetes Substrat, da er sehr stabil ist, weiß Gläßel. Am Ende der Röhre höhlen sie eine spartanische Kammer ohne Auspolsterung aus, in die sie später vier bis sieben Eier legen. Um das Weibchen in Brutlaune zu bringen, macht ihr der Werber ein leckeres Brautgeschenk. Gläßels Beobachtung: „Es wird überreicht, um den Partner zu motivieren – sehr häufig was Großes wie eine Königslibelle“ oder auch eine Biene. Die bedarf einer Vorbehandlung. „Der Bienenfresser sucht sich einen Ast, auf den er den Hinterleib der Biene schlägt, der Giftstachel wird so ausgedrückt, und das Insekt kann verwertet werden.“
Der Vogelfachmann kennt noch viele andere spannende Aspekte aus dem Leben der geselligen Bienenfresser, zum Beispiel, daß unverpaarte Exemplare ihren Familienangehörigen bei der Brut helfen. Das könne man sonst nur bei wenigen Vogelarten beobachten, etwa bei Papageien. Oder, daß sie in ihren Bruthöhlen richtige Laufrillen ausgetreten haben, vergleichbar mit kleinen Trampelpfaden.
Bruthelfer
Und dann gibt es da noch Geschichten, in denen auch die Menschen eine Hauptrolle spielen. Ein Imker der Region hat seine Bienenstöcke in der Nähe einer Kolonie stehen. Für die bunten Vögel gar zu verlockend – und für den Imker ein Schauspiel. „Der war ganz begeistert und hat sie intensiv beobachtet.“ Eigentlich erwartete man eher das Gegenteil. Bis in die 1960er-Jahre galten die exotischen Vögel als Bienenschädlinge und wurden verfolgt. Inzwischen beschränkt sich die Gefährdung durch den Menschen eher auf ungehemmte Beobachter, die den scheuen Exoten zu sehr auf den bunten Leib rücken. Die sensiblen Tiere lassen sich zwar nicht durch das Verkehrsaufkommen durch Baumaschinen und Lastkraftwagen stören, spüren aber sofort, wenn sie beobachtet werden. „Im schlimmsten Fall schluckt der Elternvogel sein Futter runter, um zu zeigen: Wir füttern nicht.“ Der Vogelschützer kann nicht genug betonen, daß die Brutkolonien keinen Besucherverkehr vertragen.
Andere menschliche Einwirkungen wie die Änderungen der Steinbruchsituation nach Ausbeutung durch Befüllen oder Renaturierung führten oft schon zur Aufgabe von Brutstandorten.
Doch in dieser Hinsicht gibt es inzwischen gute Lösungen durch erfolgreiche Kooperationen zwischen den Steinbruchbesitzern, der Unteren Naturschutzbehörde und dem Bienenfresserkoordinator, etwa bei der größten Kolonie im Landkreis mit 24 Brutpaaren. Deren Brutwandgrube wurde nur bis zu einer bestimmten Höhe verfüllt. Außerdem wurden in der Nähe neue Steinbrüche angelegt, positiver Nebeneffekt des Baubooms, und außenherum bieten große Trockenrasen viele Insekten. „Ich glaube, im Landkreis Würzburg kommen sie ganz gut zurecht“, ist Gläßel zuversichtlich. „Da ist noch Potenzial da.“ Beglückende Aussichten.