Ausgabe Mai / Juni 2022 | Politik & Gesellschaft

Jetzt wird es ernst!

Über die Verschwendung von Energie und Material auf dem Bau und Hinweise, wie es anders gehen könnte, anhand von ­Beispielen aus Würzburg und darüber hinaus

Text + Fotos: Ulrich Karl Pfannschmidt
Im wahrsten Sinne: In die Parade gefahren. Abriß der ehemaligen Hauptpost auf dem Paradeplatz in Würzburg
Im wahrsten Sinne: In die Parade gefahren. Abriß der ehemaligen Hauptpost auf dem Paradeplatz in Würzburg

Wir stehen blank da. Es mangelt an vielem, vor allem an Energie. Lange genug haben wir geredet, Sätze gedrechselt und Begriffe formuliert. Schöne Worte wie Graue Energie, Energiesparen, Dekarbonisierung, Klimaneutralität, Nachhaltigkeit, Recycling, Co2-Freiheit, Ressourcenschonung, Wiedernutzung, Wiederaufarbeitung, Urban Mining, Craddle to Craddle haben die Unfähigkeit oder den Unwillen zum Handeln lange maskiert. Der geschwätzigen Gesellschaft genügte zu wissen, was richtig, was falsch sei. Hauptsache, man hatte die rechte Gesinnung und gelegentlich den moralischen Impuls, vordergründigen Scheinlösungen die Schutzplanen zu entreißen: Greenwashing. Die Bremser in der Politik sind abgewählt und nun scheint es, als ob ihre Nachfolger ernsthaft gegen den Klimawandel kämpfen wollen, in Europa, in der Bundesrepublik und vielleicht auch irgendwann in Bayern. Der Kampf wird lang und mühsam werden. Auch wenn wir es noch so sehr wünschten, den großen, einmaligen Schlag gegen die Verschwendung von Energie und Material gibt es nicht, schon gar nicht auf dem Bau. Und ob dies in Würzburg überhaupt jemand für notwendig hält, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden, gilt doch der Abbruch von Häusern hier zu den liebsten Späßen. Die Fälle des bürgerspitälischen Altenheimes oder des Posthauses am Paradeplatz haben es jüngst wieder bestätigt. Eigentlich sind die Regeln für den klimaschonenden Umgang auf dem Bau ganz einfach: Erhaltung des Baubestandes oder seines Materials geht vor Neubau. 

Wenn das kein Hingucker ist? Umbau der Brauerei Warteck in Basel
Wenn das kein Hingucker ist? Umbau der Brauerei Warteck in Basel

Bahnhof-Rathaus in Feldafing
Bahnhof-Rathaus in Feldafing

Die Herstellung der verwandten Baustoffe, ihr Transport und der Bau selbst haben Energie gekostet. Diese „Graue Energie“ ginge mit dem Abbruch verloren. Sie müßte für einen Neubau ein zweites Mal aufgewendet werden. Häuser mit neuen Nutzungen zu belegen, ist eine alte, etwas in Vergessenheit geratene Idee. Sie werden sich erinnern, als Napoleon Bonaparte neulich in Würzburg war, hat er die Gäule seiner Soldaten im Dom untergestellt. Zur Beruhigung sei hier angemerkt, niemand hat die Absicht, den Dom umzunutzen. Erstens gibt es keinen Napoleon mehr, obwohl zur Zeit einige kleinwüchsige Herrenmenschen auf der Erde herumtrampeln. Zweitens gibt es nicht mehr so viele Pferde. Obwohl natürlich Parkplätze – am besten solche mit Gebühren … .

Aber lassen wir das, wenden wir uns erfreulicheren Beispielen zu.

Mehrwert-Pavillon in Heilbronn
Mehrwert-Pavillon in Heilbronn

Der königliche Bahnhof von Feldafing ist 1835 im so genannten Maximiliansstil nach Planung des Architekten Georg von Dollmann an der Linie München Weilheim errichtet worden. Er besteht aus einem zentralen Körper mit zwei Geschossen und zwei Pavillons, die ihn, angehängt mit Zwischenbauten, flankieren. So schön er war, vor Jahrzehnten des Leerstandes und der Verwahrlosung konnte ihn der Denkmalschutz nicht bewahren. Erst als die Gemeinde ihn von der Deutschen Bahn erwarb, wendete sich das Blatt. Nach denkmalgerechter Sanierung der Außenhaut aus wunderbarem Ziegelmauerwerk mit Natursteinelementen und Austausch der Fenster, begannen die Architekten Sunder-Plassmann 2013 den Umbau zum Rathaus der Gemeinde. Der südliche Pavillon nahm ein Café auf, der nördliche die Verwaltungsteile mit Publikumsverkehr. Der interne Betrieb des Rathauses besetzte das Obergeschoß. In der zentralen Halle des Erdgeschosses tagt jetzt der Gemeinderat, finden Konzerte und Lesungen statt.

Oder: Die Warteck Brauerei hörte 1990 nach 120 Jahren auf, am Burgweg in Basel Bier zu brauen. Der Architekt Roger Diener schlug dem Eigentümer für das Betriebsgelände eine Art der Wohn- und Bürobebauung vor, die geeignet war, die historischen Brauereigebäude zu erhalten. Nach Vorbild des „Werkraums“, eines Vereins zur kulturellen Zwischennutzung einer Basler Großgarage, trat 1993 ein Gründungsverein zusammen, der ein Konzept und Pläne für die Zukunft entwickelte. Ein Volksentscheid hat 1993 das Bau- und Erhaltungskonzept gesichert.

Die Matthias-Ehrenfried-Kirche hat den Bagger natürlich nicht zu fürchten – hier entstand vor kurzem lediglich ein Kreisverkehr.
Die Matthias-Ehrenfried-Kirche hat den Bagger natürlich nicht zu fürchten – hier entstand vor kurzem lediglich ein Kreisverkehr.

Ein Jahr später wird die Stiftung Warteckhof gegründet, die 2003 die Gebäudegruppe geschenkt bekommt. Inzwischen ist die kulturelle Nutzung stabilisiert, die Bauten sind umgerüstet und saniert. Es gibt Ateliers, eine Tanzkompagnie, ein Figurentheater, eine Probebühne, einen Quartierstreffpunkt, zwei Restaurants und mietbare Räume für Feste. Ein verschlossener Industriekomplex hat sich in ein lebendiges Viertel verwandelt. 

Umnutzung und Umbau sind vielfach bewährt. In Hafenstädten sind große Speicher zu Wohnungen umgebaut worden. Die Umnutzung des hiesigen Bürgerbräugeländes in Würzburg reiht sich beachtlich ein. Jahrhundertelang ist auch am Bestand weitergebaut, sind neue Teile hinzugefügt worden, wie gerade die Wartebrauerei zeigt. Das Weiterbauen, das Ansetzen neuer Teile je nach Bedarf ist ein altes, immer wieder praktiziertes Vorgehen. Wenn ein Betrieb sich ändert oder wächst, kann einfaches Weiterbauen der Gebäude einen Neubau ersetzen. 

Nicht immer kann ein Haus ganz erhalten werden, dann sollten wenigstens die Baustoffe erhalten und wieder verwendet werden. Das ist nichts Neues. Schon Kaiser Karl der Große beschäftigte einen Agenten in Italien, der ihm antike Mosaikfußböden lieferte, seine Pfalzkapelle in Aachen ist mit antiken Säulen geschmückt. Wenig früher ließ der Emir von Cordoba die berühmte Moschee bauen, deren Bögen auf 856 römischen Säulen ruhen. Nach der Reconquista eine Kathedrale mitten in die Mezquita (span. Moschee) zu bauen, verstand sich problemlos von selbst.  

Wo die Zukunft schon begonnen hat

Pavillon-Anlage auf dem Vorplatz des Würzburger Hauptbahnhofs
Die Pavillon-Anlage auf dem Vorplatz des Würzburger Hauptbahnhofs mußte einem Denkmal weichen, mit dem Würzburg an die Deportation unterfränkischer Juden im Dritten Reich gedenkt.

Der Architekt Rudolf Olgiati sammelte jahrzehntelang im Tessin alte Türen und Fenster, Beschläge und Steine, um sie in seine Neubauten zu fügen. Mit der Rettung der Teile schuf er Identität, Charakter und Heimatgefühl.

Die Architekten Andreas Hild und Dionys Ottl bauten 2009 in den Wohnbau am Rande des Klostergartens St. Anna in München Natursteinelemente des abgebrochenen Vorgängers ein. Die Architekten verwendeten aber nicht nur einfach vorhandene, sorgsam ausgebaute Teile, sondern sie wiesen ihnen auch eine betont dekorative Rolle zu, die Schmuck und zugleich Erinnerung ist an den alten Bau am Klostergarten im Lehel. Für die Bundesgartenschau 2019 in Heilbronn hat eine Gruppe von Studenten, Lehrern und Forschern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in Gemeinschaft einen Pavillon konzipiert und aufgestellt, der komplett aus wiederverwendetem Material besteht. Das Tragwerk bilden Rohrstücke aus einem Kohlekraftwerk, die in neuer Formation zusammengeschraubt worden sind. Sie tragen transparente Tafeln aus recycelten Fenstern.

Und Unterfranken? Die Abtei Münsterschwarzach wird 1801 säkularisiert, 1803 das Kloster aufgelöst und von den Benediktinern verlassen, 1805 profaniert und verkauft. 1810 wird es nach Blitzschlag und Brand zerstört. 1921–1927 wird es abgebrochen und rezykliert. 

Die Kopfklinik in Würzburg – der ­Abriß steht zur Diskussion.
Die Kopfklinik in Würzburg – der ­Abriß steht zur Diskussion.

Oder die Pfarrkirche von Wonfurt, sie ist 1819 nach dem Plan von Bauinspektor Bernhard Morell vollendet worden. Der mit dem Bau beauftragte Maurermeister Büttner kaufte den großen Fassadenturm der ehemaligen Benediktiner Abteikirche Obertheres – behauene Steine und Quader – um das Material für Wonfurt zu beschaffen.  

Mauerwerk und Beton können zu Schrot und Pulver vermahlen, erneut zu Beton oder mit Lehm vermischt zu Mauerziegeln gebacken werden. Solche Ziegel haben schon den Weg von den Niederlanden nach Manhattan gefunden. Wie so oft müssen wir beim Blick auf unsere europäischen Nachbarn Schweiz, Niederlande und Dänemark feststellen, sie gehen uns voraus, soweit, daß wir ihre Rücken kaum mehr sehen. 

Die Regierung der Niederlande hat 2016 beschlossen, bis 2050 die Wirtschaft kreislaufförmig zu machen. Das Programm der „Kreislaufstadt“ soll bewirken, daß es dann genügend Rohstoffe gibt. Achtzehn Pilotprojekte sind benannt, Unternehmen, Gewerkschaften, Regierung, Banken, Umweltverbände, Wissenschaftsinstitute und Organisationen der Zivilgesellschaft sind eingebunden. Baustoffhöfe entstehen im Land jetzt schon bei Beginn einer neuen Siedlung. Dort hat die Zukunft schon begonnen.

Und Würzburg? Hier plant man immer noch, den hervorragenden Bau der aus exquisiten Materialien erbauten Kopfklinik abzureißen!

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