Hexe, Zirze, Zauberer
Gedanken zur Hexenausstellung im Würzburger Museum im Kulturspeicher
Text: Elke Herbst | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Wir lassen uns gern bezirzen oder verzaubern, aber verhext will niemand werden. Gleichwohl waren die Zirze der griechischen Mythologie wie die Hexe der mitteleuropäischen, skandinavischen und englischen Sagen und Märchen zauberkundige Wesen, doch während wir den Zauber der einen sprachlich über viele Jahrhunderte wohlwollend weitertrugen, schaudert uns vor der vermeintlichen Macht der anderen. Das mag an Grimms Märchen und der bösen Hexe in Hänsel und Gretel liegen, hat aber sicher damit zu tun, daß Frauen, Männer und Kinder, die des Schadenzaubers oder der Ketzerei bezichtigt wurden, vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert verfolgt, gefoltert und auf grausame Weise hingerichtet wurden. Das Würzburger Museum im Kulturspeicher (MiK) versucht mit einer Sonderausstellung über Hexen eine kunsthistorische Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels europäischer Geschichte.
„Immer noch werden Hexen verbrannt auf den Scheiten der Ideologie. Irgendwer ist immer der Böse im Land und dann kann man als Guter, die Augen voll Sand, in die heiligen Kriege zieh’n“ dichtete der Liedermacher und Poet Konstantin Wecker in den 80er Jahren in seinem Song „Hexeneinmaleins“ und mahnt, daß wir Menschen immer noch bereit sind, „in die heiligen Kriege“ zu ziehen. Ein erschreckend zeitloser Gedanke. Die Ausstellung im MiK beginnt mit der Vorstellung des „Hexenhammers“ (1486) und damit ganz vorn in der Geschichte der Hexenverfolgung, obgleich in Schaffhausen bereits 1402/03 ein „Hegsen Brand“, also eine Hexenverbrennung, urkundlich erwähnt wird und in Luzern 1419 einem Mann der Prozeß wegen „Hexerye“ gemacht wurde. (Hexe – Wikipedia)
Wie der Dominikanermönch und Theologe Heinrich Kramer 1486 in seinem Buch „Malleus Maleficarum“, zu deutsch „Hexenhammer“ ausführt, seien Frauen aus drei Gründen eher zu Aberglauben zu verführen: sie seien „leichtgläubiger als Männer“, „von Natur aus unstet“ und hätten „eine schlüpfrige Zunge“. Weiterhin hätten sie drei Laster, nämlich „Unglaube, Ehrgeiz und Wollust“. Aus letzterem leitet Kramer noch ab, daß sie „… den fleischlichen Akt und die Empfängnis in der Gebärmutter durch unterschiedlichen Schadenzauber infizieren“. Starker Tobak für die aufgeklärte Frau des 21. Jahrhunderts und Besucherin der Würzburger Ausstellung!
Lichtblick unter düsteren Exponaten
Während Hexen bis ins späte 19. Jahrhundert als Frauen mit dem Teufel im Bund, meist auf Besen reitend und Zaubertränke brauend von Männern künstlerisch dargestellt wurden, gab die russisch-stämmige Wiener Künstlerin Teresa Feodorowna Ries mit ihrer Skulptur „Hexe bei der Toilette zur Walpurgisnacht“ 1896 diesem Zauberwesen eine wohltuend weibliche Wendung. Ihre Figur hat etwas erfrischend Verspieltes, wobei der wirre Gesichtsausdruck, die wilden Haare und der Umstand, daß sie dabei ist, sich die krallenartigen Zehennägel mit einer recht großen Schere zu schneiden, darauf hinweisen, daß mit ihr nicht zu spaßen ist. Sie prägt den Raum und ist gegenüber den sie umgebenden eher düsteren Exponaten ein willkommener Lichtblick, nicht nur wegen des Weißes der Gipsplastik. Mit der Ausstellung ihrer Skulptur löste Ries damals einen Skandal aus und wurde umgehend berühmt. Ihr Mut, als Frau auszustellen, war dabei das eine, die Darstellung einer nackten, wilden, sich lasziv auf die Unterlippe beißenden und unabhängig wirkenden Frau das andere (vgl. Teresa Feodorowna Ries – Wikipedia). Ebenso provokant wirkt die vordergründig heitere, mediale Feder-Installation von Ulrike Rosenbach im zweiten Raum, die allerdings durch das permanente, fast manische Gelächter verstörend wirkt, was wiederum den Titel „Geteert und gefedert“ unterstreicht. Der sich anschließende Kreis aus gläsernen Flammen von Eileen Lofink ist eine weitere, willkommene Abwechslung in der langen, zum Teil schwer zu ertragenden Reihe okkulter Hexendarstellungen über die Jahrhunderte.
Auch wenn die Ausstellung auf geringem Raum einen großen Bogen schlägt vom Mittelalter bis heute, hätte sie sich deutlicher mit den Geschehnissen in Franken und hier speziell in Würzburg und Umgebung auseinandersetzen können. Diese Meinung liest man auch in den Eintragungen im Gästebuch. Gleichzeitig trifft die Ausstellung auf sehr großes Interesse, vor allem beim jüngeren Publikum. Laut der Kuratorin Henrike Holsing kamen 800 Besucher zur langen Museumsnacht und 600 am Sonntag danach. Das sind großartige Zahlen. Der Vortrag der Ethnologin Dr. Susanne Dinkl zum Hexenbild im Wandel über die Jahrhunderte wurde überwiegend von jungen Menschen besucht und in so großer Zahl, daß sie sogar im Gang auf dem Boden Platz nahmen, um zuhören zu können. Tatsächlich braucht es die Beschäftigung mit diesem Teil der Stadtgeschichte, und ein Denkmal für die Opfer, die in dieser dunklen Zeit ums Leben kamen, ist seitens der Stadt Würzburg in Planung.
Mittels Folter rekatholisiert
Das Hochstift Würzburg erfuhr durch die Fürstbischöfe Julius Echter von Mespelbrunn (1573 – 1617), Johann Gottfried von Aschhausen (1617 – 1623) und Philipp Adolf von Ehrenburg (1623 – 1631) eine grausame Verfolgung der dem Schadenzauber Bezichtigten mit 900 belegten Opfern und einer hohen Dunkelziffer an Hingerichteten in den dörflichen Gegenden. Heute noch mahnen die Bezeichnung „Hexenbruch“ für ein Wohngebiet in Höchberg und der Hexenturm nördlich der Neuen Universität die Greuel der Vergangenheit an. Mit grausamer Härte verfolgten Vertreter der katholischen Kirche Glaubensabtrünnige. Julius Echter soll innerhalb von zwei Jahren 100.000 rekatholisiert haben (vgl. Birke Grießhammer www.hexen-franken.de). Wer selbst unter Folter nicht gestand, Ketzer zu sein, wurde entweder hingerichtet, bis zum Tod eingekerkert oder verbannt. Sein Besitz fiel an die Kirche – ein lukratives Geschäft seiner Zeit.
Wer aber glaubt, daß das Thema Hexen der Geschichte angehört, der wird gleich zu Beginn der Ausstellung eines Besseren belehrt. Direkt am Eingang trifft man auf die Hexen der Moderne, die sich via TikTok vernetzen (#witchtok), für „Black Lives Matter“ auf die Straße gehen und selbst dem Präsidenten der USA mit Schadenzauber drohen. Tatsächlich sind Hexenglaube, Hexenpraktiken und Hexenverfolgung in weiten Teilen der Welt immer noch real. So wurden, z. B. in Tansania zwischen 1960 und 2000 ca. 40 000 Menschen ermordet, die der Hexerei angeklagt waren (vgl. Wikipedia.org/Hexen/Moderner Hexenglaube/Verbreitung in Afrika). In vielen weiteren Ländern Afrikas gibt es Hexenverfolgung, wie auch in Amerika, Asien, den arabischen Staaten und Ozeanien. Verführung und Verfolgung des Okkulten ist überall lebendig. Da scheint die Beschäftigung des Museums im Kulturspeicher mit diesem Thema geradezu brandaktuell.
Laßt die Besen wieder Besen sein
Auch wenn man den Bogen hätte noch weiter spannen können, die Ausstellung gibt einen guten Einblick, wie sich die Angst vor dem Okkulten im Volksglauben Bahn brach und in der Kunst niederschlug, wie die Frau als mit dem Bösen im Bund erst stigmatisiert, dann gestalterisch entblößt und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verehrt und mit neuer weiblicher Kraft versehen wurde. Es war ein weiter Weg von Albrecht Dürers „Die alte Hexe“ im Jahr 1500 zur smarten Hermine Granger in Harry Potter, die ihre männlichen Mitschüler, was Zauberei angeht, gekonnt lässig in den Schatten stellt und so unsere ganze Sympathie gewinnt. Und es ist bemerkenswert, daß Kinder sich heute auf eine Zauberschule à la Hogwarts wünschen mit einem väterlichen Professor Dumbledore als guten Zauberer und mütterlichen wie schrulligen Hexenlehrerinnen in seinem Gefolge. Natürlich wird auch die Geschichte um Harry Potter immer düsterer und wächst fast zu einem Horrorfilm am Ende, aber das unterstreicht eigentlich nur, daß auch der moderne Mensch vom Okkulten angezogen ist.
Am Ende der Ausstellung stehen drei Besen, die in ihrer robusten Machart eher bodenständig, aber trotz des starren Materials erstaunlich filigran und lebensecht wirken. Diese Skulpturen der Würzburger Künstlerin Angelika Summa bilden in dem Raum einen Kontrapunkt zum Federkreis und scheinen an dem Punkt der Ausstellung zu suggerieren: „Genug. Laßt die Besen wieder Besen sein und die Hexen in Frieden.“ Vielleicht sind sie aber auch gerade an dieser Stelle eine Einladung, mit all dem Erlebten davonzufliegen.