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Green fake

Gibt es Annalena Baerbock nur als digitales Hologramm? Ist der Siegeszug der grünen Vision womöglich wie das Comeback von Abba in einem Spezialeffektestudio in Hollywood entstanden? Und wie halten die beiden Mitbewerber dagegen? Beunruhigendes zum Bundestagswahlkampf 2021.

Text + Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Möchte wirklich jemand, gemeinsam mit Laschet, Merz, Baer und dem Dreamteam nach „Modernes Deutschland“ abgeschoben werden? Ginge das überhaupt, also asylrechtlich?

Sollte nur ansatzweise zutreffen, was die Wissenschaftler unseres Vertrauens sich für die heutige Zukunft ausgedacht haben, erweist sich die Gnade der späten Geburt tatsächlich als lichtrandige Frühgeburt. Der Nachteil der Neotenie (das meint den Umstand, daß die Menschenkinder viel zu früh geboren werden – eigentlich sollte die menschliche Schwangerschaft wohl 24 Monate dauern) verklumpt zwar die Spezies sozial und das seit Urzeiten, hat für die biodeutschen Nachfahren von Nazi-Verbrechern, Helfern und Mitläufern gegenwärtig aber besondere Brisanz; die heute Sechzig- bis Achtzigjährigen hatten – gewissermaßen unmittelbar – den moralischen Auftrag und zudem die menschheitsgeschichtlich vermutlich nahezu einmalige Chance, unter jahrzehntelangen weitgehend paradiesischen Zuständen von Frieden und Wohlstand vor allem die cerebralen Defizite ihrer fötalen Nachzucht sagen wir: postnatal mittels einer an ideellen Werten orientierten Bildungspolitik wettzumachen. Brot und Spiele jedoch behielten bis heute Vorrang. Und wie zum Hohn läßt sich genau daran auch noch der kulturelle Kurssturz unserer Erregungsgemeinschaft aufzeigen: Zwischen Alexandras „Zigeunerjunge“ und Nenas „Luftballons“, zwischen Peter Alexander und Xavier Naidoo liegen doch Welten, wie … wie zwischen Jägerschnitzel und Currywurst. Mithin: Ob wir künstlerisch und literarisch Boden gutgemacht haben, … obwohl: eigentlich will das niemand so genau wissen – zumal heute endlich jeder ein Buch schreibt. Insofern verdienen es die inzwischen vielleicht etwas bresthaften Renntiere nicht anders, als daß ihr Lebensabend von Marketingexperten (die zählte der US-Anthropologe David Graeber meines Wissens zu den Bullshit Jobs) instagramig ausgerichtet wird. Stil, Charakter, Glaubwürdigkeit, von Charisma oder manchmal gar ernstzunehmenden politischen Überzeugungen zu schweigen, Qualitäten, die in unterschiedlichen Ausformungen Willy Brandt über Helmut Schmidt, Joschka Fischer, Hans-Dietrich Genscher und sogar, seien wir versöhnlich: mehr oder minder Helmut Kohl und Angela Merkel ausgezeichnet hatten („So have I heard and I do in part believe it.“ Hamlet), lassen sich bei den heutigen Kandidaten höchstens ansatzweise ausfindig machen. Darüber hinaus ist der Gesichtervorrat in den Parteien eben weitgehend aufgebraucht. Und wir sollen nun wählen. Mag sein: Generationenübergreifend sind sich die Bundesbürger weitgehend einig, daß es ihnen, laut SZ (glaube ich): „wesentlich darauf ankommt, welcher der drei Kanzlerkandidaten es hoffentlich nicht wird“. Wer auch möchte schon mit einem, „gleichzeitig überheblich und verbeult aussehenden“ (Margarete Stokowski) Dauerschmunzler, der als rheinländische Frohnatur an einen Slapstick-Star erinnert, „gemeinsam“ mit seinem Dreamteam in ein „modernes Deutschland“ rückgeführt bzw. abgeschoben werden, wenn allerorts die Welt brennt, Querdenker, Fanatiker, Autokraten, Diktatoren unentwegt zündeln? Das führte dann wohl endgültig zum postfaktische Regieren.

Von unsichtbarer Hand

Nur halt, geht es überhaupt um lebensgroße Politiker? Oder geht es, wie schon erwähnt, nur noch um Marketingkonzepte, die von unsichtbarer Hand (nicht die von Adam Smith, sondern die einer Werbeagentur: „Alles ist drin.“) vorbereitet und eingeübt wurden, auf Authentizitätskonventionen hin ausgerichtet, nur dummerweise von Fluten und Feuerkatastrophen als Indikatoren des ja mit der Autoindustrie vereinbarten Klimawandels, von einer etwas voreiligen Situativität (wie das inzwischen heißt) aus dem Konzept gebracht wurden, die die Werbestrategen so schnell eben nicht in Griff bekommen. Deshalb wohl die  augensperrige (man kann nicht mehr wegsehen) Bildsprache in der Berichterstattung über den Wahlkampf! Selbst für Laien erkennbare, durchgestylte Pressegigs, die seltsam zugerichtet, am falschen Ort zur falschen Zeit, wenn nicht einfach peinlich sind, bestimmen die News. Die bis heute geheimnisumwitterte Dame, die neben Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Laschet einen angeblich wirklich witzigen Witz machte, während Bundespräsident Steinmeier den Flutopfern sein Beileid aussprach, als eine Art Mata Hari im Auftrag der SPD darzustellen, oder den Personenschützer mit Haarzopf, der Laschet beschirmt, während dessen Gesprächspartner (Flutopfer) im Regen steht, als grünen Saboteur zu „entlarven“, ist wahrhaft investigativer Journalismus; und wer hat schließlich für den Kandidaten das Rednerpult mit dem Landeswappen vor dem Müllberg installiert? Söder – doch wohl nicht persönlich? Dann hätte er an den Umfragen zumindest Mitschuld. All das hat ohne Frage den diskreten Charme einer Verschwörungstheorie, verschleiert jedoch das Naheliegende: Nicht nur professionelle Pressefotografen unter den Beobachtern werden bemerken, daß die Parteien wie kaum jemals vorher im demokratischen Deutschland die Berichterstattung, vor allem die Bildberichterstattung, für ihren Wahlkampf instrumentalisieren. (Mitunter gewinnt man den Eindruck, die Berichter würden es selbst nicht einmal merken.) Ermöglicht haben dies übrigens vor allem die Corona-Beschränkungen. Mehr als je zuvor werden die Medien handverlesen oder gleich mit vorgekochten Texten und vor allem Bildern versorgt. Wie gerade dargelegt, ist die Instrumentalisierung bei der CDU, weil vermutlich nicht netzaffin genug, bis zur Präsentation von Laschets Dreamteam nicht einmal wirklich gut gelungen; allein die SPD schert aus. Man merkt doch tatsächlich das Bemühen um politischen Anstand. Hatte man Olaf Scholz zunächst in Verdacht, er wolle gar keinen Wahlkampf machen, scheint er dies – also: Zurückhaltung – sogar als gute Idee entdeckt zu haben. Obwohl: Scholz im Strandkorb schrammte für einen Sozialdemokraten haarscharf an der unabsichtlich inszenierten Peinlichkeit vorbei. Man darf höchstens unterstellen, daß ihm und seinem Team die Anspielung auf die zahlreichen Bilder von Angela Merkel im Strandkorb einfach zu reizvoll erschien. Schließlich: FDP-Chef Christian Lindner als aus der Zeit gefallener Reichenbeschleuniger mit Laugengebäck ist einfach nur albern, ist so authentisch wie nun einmal zahllose Pressebilder von Politikern, die seit geraumer Zeit in jedes Objektiv beißen. Welche Freiheit wird da wohl verteidigt?

Memifizierung

Annalena
Zum erstenmal in der Geschichte der deutschen Demokratien kämpft jemand so entschlossen für Ehrlichkeit in der Politik, daß sich die Balken nicht nur biegen, sondern vor Begeisterung geradezu dahinschmelzen.

Geradezu abängstigend ist hingegen die biologisch-dynamische Kampagne der Grünen, sofern es das Spitzenduo Habeck und Baerbock direkt betrifft. Annalena Baerbock ist so makelosifiziert in Szene gesetzt, der grellhäutige Teint so spachtelrein glatt, daß schon kleinste Unreinheiten, Störungen, Irritationen jedweder Art verheerende Folgen haben (müssen). Die schöne Grüne, na gut: ansehlich ist sie auf jeden Fall, wenn auch mit einem Spin zum Rundlichen, aber doch frappierender Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Topmodel Chrissy Teigen, obwohl sie sich selbst lieber mit Hillary Clinton (in der New York Times) vergleicht, bekräftigt dabei mit ihren allzu deutlich einstudierten Gesten, was ihr mit Buch und frisierten Lebenslauf – also mehr zu scheinen … usw. – mißriet. Etwa, wenn es ihr in einer entindustrialisierten Halle wegen der Flut das „Herz zerreißt“, wenn sie sich von Potsdamer Wiesental in den Oderbruch beamt (da hatte der Locationscout geschlampt), sich in einem Nebel von Anfeindungen kaum selbst findet oder überhaupt sich aus grünem Blattwerk, nicht selten mit für Pressefotografie eher unüblichen Bokeh, von schräg unten heraushebt bzw. mit ihrem „Adam“ (SZ) im Grün aufgeht. Was sich dereinst bei Brandt, Wehner, Strauß, Genscher, Hildegard Hamm-Brücher geradezu randomisierend im synchronen Aufploppen von politischen Botschaften, beeindruckenden Bildern und sagen wir „metaphysischen Ichs“ von selbst ergab, soll sich heute dank Algorithmen über Twitter oder überhaupt in den Sozialen Medien errechnen lassen. Allerdings scheint Annalena Baerbocks Memifizierung in ihrer grünen Selbstgefälligkeit irgendwie aus dem Ruder zu laufen bzw. andersherum: so erfolgreich zu sein, daß inzwischen woken Zeitgenossen Zweifel kommen, ob es sie überhaupt „in echt“ gibt, sie nicht nur ein Avatar – sie verstehen: gender-crossing – Robert Habecks ist. Bisher gibt es Annalena Baerbock zumeist wie gemalt vor symbolträchtiger Kulisse und in farblich fein dazu abgestimmter Kleidung. Wobei die cadmiumgelbe Sonne als Bühnenbild in letzter Zeit vermutlich wegen Kollaboration mit den südeuropäischen Brandstiftern verschwunden ist. Oder es gibt sie eben an der Seite ihres Vormunds, im Dialog. Oft neigt er sich zu ihr herunter, ein Ohr nah an ihrem Mund, den Kopf geringfügig „niederer“ als den ihren, den wachen Blick ins Weite. In ähnlicher Haltung lauscht ein stolzer Vater amüsiert seiner kleinen Tochter, die einen lustigen Patzer nach den anderen fabriziert. Keine fürchterlich schlimmen, nur ein paar entschuldbare Plagiate, gelegentlich etwas unglückliche Formulierungen, schlecht vorbereitet, unbedacht. (Allerdings zwei Wochen vor der Wahl treten sie auch gelegentlich getrennt auf, was die hier vertretene These jedoch kaum erschüttern wird.) Jedenfalls: Wer dächte bei all dem nicht an Deep fake, an im Computer erzeugte, voll transparente, humanoide Digitalisate, an Algorithmen, die gleich jener autonomer Fahrzeuge die analoge Wirklichkeit höchstens dort bewältigen, wo es ohnehin nicht darauf ankommt. Sie besteht den Turing-Test, kann also Fragen anthropophon beantworten … in Emotion aber schwächelt die KI. Man kann sich schwerlich des Eindrucks erwehren: Dieser Algorithmus ist von der Macht korrumpiert, bevor sie überhaupt errungen. Problematisch für ein Baerbock-Hologramm würde allerdings ein Sonnensturm oder ein längerer Stromausfall, gewänne sie die Wahl, müßte sie dann nämlich mittels Notstrom im Cyberspace erhalten werden. Bis dahin hätte der sie tragende kulturell-mediale Komplex und die grünen Abonnenten reichlich Zeit, vermutlich sogar an einer virtuellen Herrscherin Gefallen zu finden – ohne jetzt dezidiert auf Prinzessin Leila (Star Wars) oder auf Mindar, der japanischen Roboter-Gottheit einzugehen. Vor zwei Wochen mochte man noch eine weitere abgefahrene Möglichkeit in Betracht ziehen: Es sah so aus als gäbe es Anfang September einen Machtwechsel in der Union: Söder als Last-minute-Kandidat aufschäumen, als Retter in der Unionsnot; dann hätten die Grünen wohl ebenfalls strategisch reagieren müssen. Baerbock, die man sich ohnehin nicht im multilateralen Ränkespiel etwa mit Putin (Hacker) oder Johnson (andere Stromspannung) vorstellen kann, hätte gegen den wuchtigen Bayern, so denkt man jedenfalls in der CSU und wohl auch bei den Grünen, keine Chance gehabt. Inzwischen ist es zu spät sie mittels Morphing in Habeck zurück zu verwandeln. Hätte sich so der Verdacht bewahrheitet, daß es sich bei Annalena Baerbock wirklich um ein Hologramm handelte, müßte sie in einer Rolle erhalten werden, die ein Friedrich Merz bereits trefflich ausfüllt. Insidern gilt er längst als Cyberdämon, als virtueller Feldteufel, der ab und an zugeschalten wird. Zumindest so lange, bis Deep fake emphatisch funktioniert und lupenrein volumetrisch projiziert werden kann. Was uns ins Bewußtsein ruft, daß der diesmal eher suboptimal verlaufene, virtuelle Wahlkampf wohl nur eine Art Generalprobe war. Für die SPD, für Olaf Scholz bliebe – sollten sich die Umfragen bewahrheiten – nicht allzu viel Zeit, deutlich zu machen, daß die Grünen und ihre Wähler, sich in den letzten Jahren in einem „unsympathischen, selbstgerechten Spießertum“ (das sind die Worte des WeltN24-Chefredakteurs Ulf Poschardt, mit dem uns eigentlich nichts verbindet) eingenistet haben, als grünes Regulativ ihre Berechtigung haben; als bestimmende, politische Größe aber unerträglich wären. Wie auch immer: In Zukunft werden die Avatare in der Politik perfekter werden. Wie das enden kann hat Stanislaw Lem schon vor Jahrzehnten in seiner Waschmaschinentragödie bestens beschrieben.

Wie es aussieht, wird er die Wahl gewinnen und Laschet wird Bundeskanzler. In einer schwarz-grün-gelben Koalition (so wird jedenfalls auf Spiegel-online spekuliert) würde Lindner dann Superminister, und eine Grüne würde Staatsoberhauptin. Die Zukunft hat schließlich noch Zeit.

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