Für heute und morgen
Um eben nicht „museal“ – also altbacken, verstaubt und zopfig – zu wirken, müssen sich Museen und ihr Betrieb kontinuierlich neu erfinden (wie das inzwischen heißt). Heute wesentlich mehr als gestern und morgen deutlich mehr als heute. Ein Tagungsbericht!
Text: Eva-Suzanne Bayer | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Um Erfahrungen und Pläne für das Museum von heute und morgen auszutauschen, lud das Knauf-Museum in Iphofen zu einer 1. Museumstagung Fränkischer Museen (Ende September 2022) ein und der rege Zuspruch bestätigte, wie willkommen und allzu offensichtlich: notwendig solche Veranstaltungen sind. Die Referenten – neben dem Gastgeber und Leiter des Knauf-Museums Iphofen Markus Mergenthaler – ein Vertreter des Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin, Dr. Bernhard Heeb, der Leiter des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber, Dr. Markus Hirte, und Prof. Dr. Hans Jörg Czech von der Stiftung Historische Museen in Hamburg, stehen für solche Bemühungen; Silke Oldenburg vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg wurde per Video zugeschaltet. Die vier illustren Gäste freilich verfügen über mehr Raum, Finanzen, Personal und sicherlich einen größeren Apparat und damit mehr Möglichkeiten als kleinere Museen. Viele Ideen aber brauchen weder viel Platz noch Geld.
Sowohl Mergenthaler wie der Berliner Heeb berichteten (natürlich) von Erfolgsgeschichten. Thema der beiden war die Verbindung von Dauer- und Sonderausstellungen in ihren Häusern. Die Bedingungen und Möglichkeiten der beiden Museen könnten aber nicht unterschiedlicher sein. Das zu hundert Prozent privat finanzierte Knauf Museum schaut auf eine 40jährige Geschichte zurück. Sonderausstellungen wurden seit 2001 ein eigener Bereich in der Dauerausstellung zugewiesen. Seit der Eröffnung des Erweiterungsbaus 2010 finden sie dort statt und locken mit so unterschiedlichen Themen z. B. wie „Tibet“ (2010), „Netsuke“ (2016), „Schliemann und Troja“ (2018) und jüngst „Marilyn“ viele Besucher an. Seit 1983 kamen rund eine Million Menschen in das Museum, in dem seit 2017 auch digitale Medien in der Ausstellung eingesetzt werden.
Die Orchideendisziplin
Ganz anders natürlich das Archäologische Museum der Vor- und Frühgeschichte Berlin. Integriert ins Neue Museum auf der Museumsinsel, stehen ihm für Sonderausstellungen heute mehrere Veranstaltungsorte zur Verfügung. Räume innerhalb der eigenen Dauerpräsentation, aber auch im Gropius-Bau oder jüngstens in der James-Simon-Galerie. Zielgruppe des staatlich subventionierten Museums ist nach wie vor das Bildungsbürgertum – und das dürfte auf fast alle anderen Museen zutreffen, auch wenn das keineswegs thematisiert wurde. Den Berlinern geht es darum, ihren Ausstellungsthemen neue und ungewohnte Aspekte und Perspektiven abzugewinnen. So wurde in der Wikingerschau 2014/15 (zusammen mit dem Museum in Kopenhagen und dem British Museum London) der Schwerpunkt nicht nur auf die legendären Raubzüge gelegt, sondern auf Handel, die Kunst und die Rolle der Frau. Trotzdem strömten merklich viele junge Männer ins Museum, die hier sicherlich einiges Unerwartete dazulernten. „Bewegte Zeiten“ (2018/19) wertete die Rolle der Archäologie als „Orchideendisziplin“ gründlich auf, indem man in Themenblöcken und Artefakten bewies, daß z. B. „Migration“ oder „Bilderstürme“ keine nur heutigen Themen sind. Anhand der Archäologie wird klar, daß sich universelle Verhaltensweisen quer durch die Geschichte ziehen und auch, wie man früher mit diesen Problemen umging. Die „Germanen“-Ausstellung sollte mit dem Vorurteil brechen, in diesem Begriff ein Synonym für Nationalsozialismus zu vermuten. Corona machte nach drei Wochen diesem Vorhaben den Garaus. Bleibt nur der sorgfältige Katalog mit den neuesten Forschungsergebnissen. „Schliemanns Welten“, bis Januar 2023 in der James-Simon-Galerie, würdigt nicht nur den größten Mäzen des Museums, der 1883 die gesamten Troja-Funde übergab. Sie betont die schöpferische Vielseitigkeit des so umstrittenen Forschers als Reiseschriftsteller und Briefschreiber, der über 60 000 Briefe verfaßte und zukunftsbewußt alle neuen Techniken nutzte. Nach Bernhard Heeb geht es darum, die vielleicht schon altbewährten Themen gründlich durchzuschütteln und andere Narrative zu finden, unter denen der scheinbar vertraute Stoff in einem anderen, bisher weniger bekannten Licht erscheint.
Ausgebranntes Auto und Biontec-Ampulle
Prof. Dr. Hans Jörg Czech widmete sich der Frage „Herausforderung Dauerausstellung im 21. Jahrhundert“. Die Stiftung Historische Museen Hamburg umfaßt drei Haupthäuser, mit je ein bis zwei Außenstellen: das Museum für Hamburger Geschichte, das 2022 sein 100jähriges Jubiläum feierte und stark frequentiert wird, das Altonaer Museum und das Museum für Arbeit. Seit 2015 bewilligt der Bundestag große Gelder für die Sanierung der Häuser. Das bedeutete, daß das Haus der Hamburger Geschichte, eines der größten Stadtmuseen Europas und in einem historischen Bau untergebracht, komplett neugestaltet werden konnte. Das betraf vor allem das Erdgeschoß, das mit Gastronomie, Shop und dem markanten, glasüberdachten Innenhof nun frei zugänglich ist und, anders als zuvor, Bereiche für Sonderausstellungen bereithält. So soll „Raum an den öffentlichen Raum zurückgegeben werden“, ein Argument, das häufiger zu hören war. Ob das Museum dadurch tatsächlich Schranken abbauen kann und sich zum für alle begehbaren und einladenden Raum mausert, bleibt fraglich. Neue Sammlungsansätze und -perspektiven sollen vor allem die Gegenwart beleuchten. Das geht von dem Relikt eines ausgebrannten Autos, das für die Ausschreitungen bei G20 Gipfel steht, bis zur ersten Biontec-Ampulle, die in der Stadt verimpft wurde. Sowohl für die Dauer- wie die Sonderausstellungen steht der direkte Kontakt und Austausch mit Communities im Vordergrund, denn die Gesellschaft hat sich verändert und demnach muß sich auch das Museum ändern. So stehen diverse Einwanderergruppen immer wieder im Zentrum der Ausstellungen und der damit verbundenen Diskussionsveranstaltungen. Auch Themen, die alles andere als museal wirken, werden in Sonderausstellungen angepeilt: die Hamburger Sprayerszene oder Tatoo-Legenden. Darüber hinaus kommen auch neue Medien zum Zug. Für die Ausstellung „Revolution“ (2018/19) entwickelte man für die Social Medias eine Graphic-Novel um einen Marinesoldaten in Hamburg; Schulen konnten sie kostenlos übernehmen.
Die Videoschaltung zu Silke Oldenburg vom Museum für Kunst und Gewerbe brachte dann nichts wesentlich Neues mehr. Auch hier ist es wichtig Barrieren – sowohl im Bau wie in der Kommunikation – abzubauen, Servicebereiche mit „Aufenthaltsqualität“ zu schaffen und Themen zu finden, die mehr in die Gegenwart und die Zukunft verweisen, als an der Vergangenheit zu kleben. Mit Sonderausstellungen über „Mining – ein geologischer Fußabdruck“, über Obdachlosigkeit oder „Fast Fashion“ ist das Museum auch hier im Heute angekommen.