Freundschaften über Ländergrenzen hinweg – Teil 2: Dundee
Seit 50 Jahren bestehen die Städtepartnerschaften zwischen Würzburg, dem schottischen Dundee und Caen in der Bretagne. Vor allem die Jumelage zu Caen hat für Würzburg eine ganz besondere Bedeutung, schließlich litten beide Städte ganz besonders unter den Folgen der Nazi-Diktatur: Beide Städte wurden im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört. Nicht ganz so belastet von den Kriegsereignissen: die Partnerschaft zwischen Würzburg und dem schottischen Dundee.
Text + Fotos: Michaela Schneider
Als in den 50er Jahren die ersten Jugendlichen aus Würzburg ins schottische Dundee reisten, ging es nach dem Zweiten Weltkrieg um Völkerverständigung und zwischenmenschliche Begegnungen jenseits politischer Interessen. Aus persönlichen Freundschaften entstand eine Städtepartnerschaft, die sich 2012 zum 50. Mal jährt. Und auch, wenn die Gründung Jahrzehnte zurück liegt und Schüler inzwischen in Geschichtsbüchern vom damaligen Gedanken der Wiederversöhnung lesen, lebt die Partnerschaft. Bürger die vor Jahrzehnten nach Dundee reisten, erinnern sich immer noch gern an das „Abenteuer Schottland“. Die heutige Generation prägt die Städtepartnerschaft nun auf ihre Art. Schüler- und Jugendaustausch, Seniorenbegegnungen, integrative oder universitäre Projekte sind nur einige der einstigen und aktuellen Aktionen zwischen der fränkischen und schottischen Kommune.
Schüleraustausch
Wie aber kam es in den 50er Jahren zu den Anfängen dieses Kulturaustauschs? Einer der sich sehr genau erinnert, wie aus Jugendbegegnungen Städtepartnerschaften wurden, ist der 79-jährige Karl Schmidt. Erst arbeitete er als Kreisjugendpfleger, gleich im Anschluss folgten viele Jahre in Würzburg zunächst als Stadtjugendpfleger und bis zum Ruhestand dann als Stadtaltenpfleger. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich Bayerns Städte aus dem Gedanken der Wiedergutmachung heraus Ende der 50er Jahre Partnerregionen in Schottland und der Bretagne gesucht. Anfangs habe man sich in Würzburg – wie auch in anderen Städten – bewusst auf einen Austausch zwischen Schülern und Jugendverbänden konzentriert. In der unterfränkischen Stadt waren dies zunächst vor allem die Pfadfinder und der CVJM. „Wir haben damals gesagt: Wir müssen mit der Jugend neue Wege gehen, mit den Älteren schaffen wir es noch nicht“, bringt Schmidt das damalige Klima auf den Punkt. Neben den Jugendgruppen ermöglichten in Würzburg zudem vor allem städtische Gymnasien erste Begegnungen.
Eine, die in diesem Zusammenhang als 15jähriges Mädchen nach Dundee reisen durfte, war Würzburgs heutige Bürgermeisterin Marion Schäfer-Blake. Zwar war sie noch nicht bei den ersten Austauschgruppen dabei, aber wenige Jahre später, im Jahr 1967. „Ich war wahnsinnig aufgeregt, das war meine erste Reise ins Ausland“, erinnert sie sich. Mit dem Zug ging es der Gastfamilie entgegen. Manche Dinge hätten sie damals doch erstaunt, sagt Schäfer-Blake und lacht. Zum Beispiel, dass die schottischen Jugendlichen sehr viel mehr Freiheiten genossen als deutsche Schüler, schon 15jährige durften in die Diskothek gehen – allerdings nur mit Mitgliedsausweis und für die Jungs habe Krawattenpflicht geherrscht. Als ziemlich amüsant habe sie auch einen Abend mit ihrer Gastfamilie im Pub erlebt. Denn während ihr schottischer „Dad“ George mit den anderen Männern an der Bar stand, hätten sich die Damen zum Tee in einen anderen Raum zurückgezogen. Doch trotz manch spaßigem Unterschied, habe sie rasch festgestellt: „So unterschiedlich waren wir Deutschen und Schotten gar nicht. Meine Austauschschülerin und ich waren zwei Mädchen, beide 15 Jahre, die sich für Jungs interessierten, Beatles und Rolling Stones hörten und schicke Klamotten liebten“, bringt sie es auf den Punkt. Wichtige Werte seien ihr vermittelt worden: „In einer Gastfamilie lernt man andere Sitten, Bräuche und Lebensformen kennen und verstehen. Das hilft, zu akzeptieren und zu tolerieren, wie andere Menschen leben.“
Bereits fünf Jahre vor Schäfer-Blakes Aufenthalt in Dundee – nämlich vor genau 50 Jahren im Jahr 1962 hatte die Freundschaft zwischen Würzburg und Dundee bereits ihren offiziellen Charakter erhalten. Damals reiste Maurice McMaunus, Lord Provost der schottischen Stadt, nach Franken. Am 22. Mai traf er in Würzburg ein – dieses Datum gilt heute als das Gründungsdatum der Städtepartnerschaft. Eine offizielle Urkunde gibt es nicht, aber ein sichtbares Symbol der Freundschaft: Direkt neben der Flagge von Caen hängt im Wappensaal im Würzburger Rathaus die Flagge von Dundee. Und noch ein markanter Blickfang findet sich in der Stadt: Im Zuge der Landesgartenschau bauten schottische Handwerker in den Würzburger Gartenanlagen eine Steinbrücke.
Freundschaften, vor Jahrzehnten geschlossen, bestehen bis heute
Ab den 60er Jahren sollten die Begegnungen zwischen Bürgern aus Dundee und Würzburg auf zahlreiche Lebensbereiche und Altersschichten ausgeweitet werden. Studenten verbrachten Semesteraufenthalte in Schottland, Lehrer gaben Gastunterricht. Neu entstehende Sportverbände knüpften Kontakte. Weitere Vereine und Verbände starteten Austauschaktionen. „Viele Würzburger sagten damals: Wir haben unsere Kinder animiert, nach Dundee zu fahren – jetzt wollen wir dieses Schottland selbst auch sehen“, erinnert sich Karl Schmidt. Am meisten beeindrucke ihn: „Die Menschen zehren bis heute von mancher Begegnung, so prägend waren diese damals.“ Freundschaften, die vor 30, 40 oder 50 Jahren geschlossen wurden, bestünden bis heute. Allein bei Karl-Schmidt flattern um die Weihnachtszeit alljährlich 40 bis 50 Briefe und Karten aus Dundee ins Haus. Eine für die damalige Zeit sehr ungewöhnliche Begegnung organisierte er übrigens im internationalen Jahr der Behinderten: Weil Flug- oder Bahnreisen mit schweren Rollstühlen kaum möglich waren, wurde eine Gruppe behinderter Menschen mit Bundeswehrhubschraubern nach Dundee geflogen. Und auch beim Gegenbesuch der Schotten in Würzburg hätten die Veitshöchheimer Soldaten Rollstühle geschoben und getragen, um den Gästen einen Besuch von Residenz und Festung überhaupt erst zu ermöglichen. Übrigens: Auch im Ruhestand leistet der heute 79-Jährige weiterseinen Beitrag zur städtepartnerschaftlichen Völkerverständigung. Mit Ehefrau Erna gründete er in den 90er Jahren den Freundeskreis Würzburg-Dundee, alle zwei Jahre organisiert das Ehepaar eine Fahrt nach Schottland.
Wie vielschichtig die Städtepartnerschaft bis heute gepflegt und gelebt wird, weiß zudem Eva-Maria Barklind-Schwander, Dundee-Beauftragte im Büro für Internationale Beziehungen der Stadt Würzburg. Sie verweist etwa auf eine gemeinsame Geschichtswerkstatt der High-School in Dundee und des Würzburger Röntgengymnasiums. Seit rund drei Jahren arbeiteten die Schüler aus den beiden Ländern gemeinsam die Zeit des Nationalsozialismus auf. Studenten der Fakultät für grafische Gestaltung der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt beschäftigen sich mit der Architektur in Dundee. Und vor wenigen Jahren sei Diplom-Sozialpädagogin Silke Trost von der offenen Behindertenarbeit nicht nur mit Menschen mit Behinderung nach Dundee gereist, sondern habe zudem untersucht, wie Menschen mit Behinderung in Dundee leben. Und dennoch: Das eigentliche Fundament der Städtepartnerschaft, sind nicht ungewöhnliche oder offizielle Aktionen, sondern lebenslange Freundschaften, die in fünf Jahrzehnten geschlossen und bis heute ganz selbstverständlich gelebt werden.