Fränkische Erfolgsstory im Zeichen der Sinus-Kurve
Sie haben das Radio salonfähig gemacht und das elektronische Fernsehen erfunden: die Gründerväter des Unternehmens Loewe. Heute, 100 Jahre später, steht das Unterhaltungselektronik-Unternehmen nach wie vor für technologische Meisterwerke, aber auch für preisgekrönte Designikonen. Loewe – das ist eine Erfolgsgeschichte. Aber keine aalglatte. Die Loewe Chronik ist die Geschichte eines Unternehmens, das auch immer wieder Spiegelbild seiner Zeit war. Geprägt von politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, von Menschen, Schicksalen, aber auch von Mut und Pioniergeist.
Text: Sabine Raithel | Fotos: Loewe Archiv
Wir schreiben das Jahr 1920. Im Frühjahr unternimmt der 35jährige Dr. Siegmund Loewe im Auftrag seines Arbeitgebers, der Berliner Firma Huth, als einer der ersten Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg eine Studienreise in die USA. Dort lernt Siegmund Loewe die Anfänge eines freien, öffentlichen Rundfunks kennen. Die Neuentwicklung auf dem Gebiet des Funkwesens, die seinerzeit nur wenigen bekannt ist, wird in Amerika als „Broadcasting“ bezeichnet. Ihre weitreichende Bedeutung wird allerdings erst durch Siegmund Loewe erkannt. In einem Gespräch erinnerte er sich: „Eines Abends trieb ich mich zwischen den Wolkenkratzern von New York umher. Ich weiß nur noch, dass der unbeschreibliche Eindruck der von Scheinwerfern erleuchteten Freiheitsstatue im Hafen in mir den Wunsch erweckte, irgend etwas Großes zu schaffen. Leider fiel mir nicht das geringste ein. Aber mitten aus dem Schlafe fuhr ich plötzlich empor. War das ein Traumbild – oder konnte das Wirklichkeit werden? Ich sah eine weltabgeschiedene kleine Hütte, in welcher beim Schein der Lampe die Bewohner um den Tisch herum saßen und Klängen lauschten, die ihnen von fernher zugetragen wurden. Fieberhaft durchdachte ich die technische Möglichkeit und schrieb noch in der Nacht …“ einen visionären Brief an seinen Arbeitgeber in Berlin. Dieser Brief gleicht einem Blick in die Glaskugel: Ein Jahr bevor in Amerika der freie Rundfunk seinen Durchbruch erlebt und drei Jahre vor der Rundfunkeinführung in Deutschland, skizziert Siegmund Loewe darin den Plan eines weltumspannenden, preiswerten Informationsnetzes: das freie Rundfunkwesen. Er legt damit den Grundstein für die heutige Medienwelt.
Der rasche Erfolg von Loewe
Das spannende und unwegsame Leben des Siegmund Loewe beginnt am 6. November 1885 in Berlin. Als zweiter Sohn wohlhabender Eltern wird er in ein von der Bismarck’schen Reformpolitik geprägtes, aufstrebendes Deutschland hineingeboren. Sein jüdischer Vater, Ludwig Loewe, ist ein angesehener Arzt, Inhaber einer privaten Hals-Nasen-Ohren-Klinik in Berlin und Standespolitiker. Die nichtjüdische Mutter, Emilie Ernestine Loewe, bringt neben Siegmund noch drei weitere Kinder zur Welt: David Ludwig, Bernhard und Clara.
Im Jahr 1923 beginnt Loewe in seinem eigenen Laboratorium mit der Produktion und dem Vertrieb von Radiobauteilen und -geräten. Basis sind die von Loewe entwickelten Mehrfachröhren. Gemeinsam mit seinem Bruder David Ludwig gründet er in diesem Jahr die Radiofrequenz GmbH und wird Gründungsmitglied des Verbands der Funkindustrie e.V., dessen Vorsitzender er später wird. Der Verband ist maßgeblich am Zustandekommen der 1. Großen Deutschen Funkausstellung 1924 in Berlin beteiligt. Der rasche Erfolg von Loewes Unternehmen basiert im wesentlichen auf zwei Wurzeln: Zum einen sind das die Patententwicklungen Siegmund Loewes, zum anderen das Know-how der drei Brüder Siegmund, David Ludwig und Bernhard auf den Gebieten der Elektrotechnik, Betriebswirtschaft und Chemie. Die Loewes setzen auf Netzwerke, denen sich innovative und geniale Erfinder wie das spätere Universalgenie Manfred von Ardenne anschließen.
Kriegswunden
Ihm verdankt Loewe seinen wirtschaftlichen Durchbruch. Im Jahr 1926 gelingt dem jungen, umtriebigen Tüftler Ardenne die bahnbrechende Erfindung der Dreifachröhre „3 NF“. Sie macht das Radio massentauglich und mit einem Preis von 39,90 Reichsmark auch für „Otto-Normal-Bürger“ erschwinglich. Bereits Ende der 1920er Jahre produziert Loewe eine halbe Million Radiogeräte. Zum Markenzeichen gehört eine symbolhafte Sinus-Linie. Der enorme wirtschaftliche Erfolg des „Volksempfängers“ rettet das Unternehmen durch die Zeit der Weltwirtschaftskrise.
Ein weiterer Meilenstein der Zusammenarbeit von Ardenne und Loewe ist die gemeinsame Erforschung der Fernsehtechnik ab 1929. Am 14. Dezember 1930 gelingt dem Entwickler, unter Verwendung von Elektronenstrahlröhren auf der Sender- und Empfängerseite, eine Übertragung von Diapositiven. Dieses Verfahren wird später als „flying spot scanner“ bezeichnet. Im Rahmen der Großen Funkausstellung 1931 überrascht Loewe dann mit einer Sensation: der ersten Fernsehüber-tragung auf elektronischem Weg. Die New York Times schreibt in ihrer Ausgabe vom 16. August 1931, Manfred von Ardenne habe als Erster weltweit das Fernsehen mit Elektronenstrahlröhren, sogenannten „Braun’schen Röhren“, realisiert. Tatsächlich bedeutet dies eine technische Zeitenwende. Auf der Großen Funkausstellung 1933 präsentiert die Radio AG D.S. Loewe ihr erstes serienreifes Fernsehgerät – ausgestattet mit einer Braun’schen Röhre. Die Machtergreifung Adolf Hitlers bedeutet für die Familie Loewe einen tiefen Einschnitt. Nach den Nürnberger Rassengesetzen gelten sie als „Mischlinge ersten Grades“. Der Ausschluß Siegmund Loewes aus dem Vorstand des Funkverbandes im April 1933 ist düsterer Vorbote einer dunklen Zeit. Die Nationalsozialisten vertreiben die Brüder Siegmund Loewes aus Deutschland. Den günstigen Radio-„Volksempfänger“ nutzen die Nazis für sich und pervertieren ihn für ihre bitteren Pläne. Siegmund Loewe versucht, noch bis 1938 Stand zu halten, wandert aber dann in die USA aus. Das Unternehmen Loewe wird Rüstungsbetrieb. Der Krieg reißt in die Geschichte Deutschlands, der Welt, aber auch in die Geschichte Loewes tiefe Wunden.
Umzug nach Oberfranken
In den letzten Kriegstagen – die Rote Armee ist auf dem Vormarsch – ordnet das Reichsluftfahrtministerium an, die wichtigsten Produktionszweige von Berlin aus zu verlagern. Etwa 100 Mitarbeiter und 150 Maschinen werden auf Züge verladen und in den als sicher geltenden amerikanischen Sektor gebracht. Einer Legende nach gingen dem Zug in Küps bei Kronach die Kohlen aus, so dass die Reise hier beendet war. Tatsächlich bot die waldreiche Gegend aber auch Rohstoffe für die Fertigung. In der ehemaligen Porzellanfabrik Edelstein beginnt man zunächst mit der Produktion von Kochtöpfen, Schlitten und Lampen. Doch schon bald besinnt man sich unter Leitung von Direktor Bruno Piper zurück auf die eigene Kernkompetenz: den Bau von Radiogeräten. Das erste Modell aus dem Werk Küps ist ein 6-Kreis-Super-Radiogerät mit dem Namen „Kronach“. Bald schon reichen die Räumlichkeiten in Küps nicht mehr aus. Der erste Spatenstich für das Werk in Kronach erfolgt 1947.
Im Jahr 1952 erlebt die Rundfunkindustrie einen technologischen Quantensprung: die endgültige Einführung des Fernsehens in Deutschland. Die Branche erfährt einen Boom. Loewe sorgt in seiner oberfränkischen Heimat für die Errichtung einer eigenen Antennenanlage auf der Radspitze bei Kronach – die erste ihrer Art in Deutschland. Die Live-Übertragungen der Krönung von Queen Elizabeth II. 1953 und die Fußballweltmeisterschaft 1954 sorgen für den Durchbruch des Fernsehens in Deutschland. In den 1950er und 1960er Jahren weitet die Loewe Opta GmbH, wie das Unternehmen nun firmiert, seine Produktpalette erheblich aus. Das europaweit erste Bildaufzeichnungsgerät – noch so groß wie ein Kühlschrank – kommt 1961 auf den Markt. Der „Optacord 500“ kostet rund 40.000 DM, seinerzeit soviel wie acht VW Käfer. Er findet insbesondere im professionellen Bereich Einsatz. Das ZDF schneidet damit Beiträge. 1963 stellt Loewe das erste mobile Transistor-TV-Gerät vor. Der Akku hat eine Laufzeit von ca. einer halben Stunde. 1967 kommt Farbe auf den Bildschirm; Loewe stellt sein erstes Farb-TV-Gerät vor. In dieser Zeit beschäftigt Loewe knapp 5 000 Mitarbeiter. Das Grundkapital liegt bei 20 Mio. DM.
Überlebenskampf
1962 stirbt der Firmengründer Siegmund Loewe völlig unerwartet in den USA. Die Familie Loewe trennt sich von ihren Anteilen an der Loewe Opta GmbH. Die Sinuslinie, das Auf und Ab, gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbrüche prägen das Unternehmen weiterhin. Als in den 1970er Jahren die Billigkonkurrenz aus Fernost immer drückender wird, antwortet Loewe mit einer mutigen Premiumstrategie in Design, Qualität und Technologie. Nach außen sichtbar wird dies auch durch eine Überarbeitung des Markenzeichens. Loewe setzt nun einen Punkt neben seinen Namen. Ein Statement.
1987 integriert Loewe als erster Hersteller ein Satellitenempfangsteil in das TV-Gerät. Die preisge-krönte Produktfamilie „Art“ wird zum Sinnbild modernen Designs. Loewe steigt in dieser Zeit in den Bereich Automobilelektronik ein. Seit 1982 im Unternehmen, übernimmt Dr. Rainer Hecker 1990 den Vorsitz der Geschäftsführung der Loewe Opta GmbH. Er wird das Unternehmen insgesamt 26 Jahre lang erfolgreich prägen. Unter seiner Regie wird Loewe zum Global Player. Hecker knüpft strategische Partnerschaften mit BMW, Matsushita, Betacom, Binatone und Sharp. Am 7. Juli 1999 führt er das Unternehmen an die Börse.
Der TV Markt ist zunehmend getrieben von Innovationsdruck. Die Bildröhre verschwindet, der Flat-TV wird zur Wohnzimmer-Ikone und entwickelt sich mit Audio zum Home-Entertainment-System. 1995 präsentiert Loewe den ersten Internetfähigen Fernseher weltweit.
Mit den 2000er Jahren beginnt eine Zeit der Zäsuren. Im Jahr 2008 geht Dr. Rainer Hecker in Ruhestand. Loewe muß nach dieser Ära und Blütezeit seinen eigenen Weg gehen. Es gelingt nicht. 2013 folgt die Insolvenz. 2014 übernimmt Investor Mark Hüsges Loewe mit wenigen Mitarbeitern, aber viel Know-how. Er gründet die Loewe Technologies GmbH. Im Sommer 2019 folgt die zweite Insolvenz. Ende des gleichen Jahres übernimmt der Schweizer Unternehmer Aslan Khabliev das Ruder und firmiert in Loewe Technology GmbH. Mit einer konsequenten Luxusstrategie zeigt die Sinus-Linie seither wieder nach oben.