Felldesign trifft Chinchillafaktor
Vor 50 Jahren kreuzte der Thüringer Karl Becker eine neue Kaninchenrasse heraus. Benannt nach seiner Heimat Rhön und reizvoll in Erscheinung und Charakter erobert das possierliche Tier seitdem die Herzen ganzer Züchterdynastien.
Text: Sabine Haubner | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Gut getarnt ist halb gewonnen, wenn es ums Überleben in der Natur geht. Und wenn man es nicht besser wüßte, würde man das hübsche Rhönkaninchen mit seinem schwarz-weiß gefleckten Fell als erfolgreiches Ergebnis dieses natürlichen Selektionsmottos ansehen. Sein Felldesign wäre perfekt, um es mit dem Rindenmuster der Birken, die in den Mooren des namengebenden Mittelgebirges heimisch sind, verschmelzen zu lassen. Abgesehen davon, daß im Feuchtgebiet die Buddelbedingungen für Kurzlöffel denkbar schlecht wären, in diesem Falle hatte sowieso ein anderer die genetische Auswahl in der Hand. Der Kleintierzüchter Karl Becker beschloß 1969 in Stadtlengsfeld in der thüringischen Rhön: „Jetzt probieren wir’s.“ Sein Sohn Reiner erinnert sich noch genau an das Vorhaben, er war schließlich damals als Neunjähriger dabei. Die Kreuzung der Ausgangstiere hatte einen längeren theoretischen Vorlauf. „Das Rhönkaninchen hat es vorher schon auf dem Papier gegeben.“ Der Vater studierte begeistert die Vererbungslehre und hatte eine genaue Vorstellung, wie sein Wunschtier aussehen sollte. Darauf zielte seine jahrelange Tüftelarbeit mit Erbformeln und -merkmalen ab.
Felldesign Birkenborke
Die Beteiligten der Umsetzung waren eine Häsin der Rasse Japaner, „die machen die Zeichnung“ – leider mit einem Gelbstich – und ein Kleinchinchilla-Rammler, „die lassen kein Gelb zu“. Dem Chinchilla-faktor sind also der reine Weißanteil, aber auch der Körperbau des Rhönkaninchens zu verdanken: dickes Köpfchen, walzenförmiger Körper und ein schönes, dichtes Fell, in das man einfach reingreifen möchte. Schon am 6. März 1971 kamen die ersten beiden Rhönkaninchen zur Welt, deren Felldesign dem Farbmuster einer Birkenborke ähnelt.
Man möchte meinen, daß mit dem Herauszüchten der Stammeltern, deren „Vater“ sich ein wenig zurücklehnen konnte. Doch so einfach läuft die Sache mit der Vererbung nicht. Zwei Tiere mit einer standardgemäßen Zeichnung kreuzen, bedeutet noch lange nicht, daß ein Teil des Wurfes auch die aparte Schwarzweiß-Mischung trägt. „Es ist ein reines Lotteriespiel. Zwei helle Tiere gepaart, ergeben nicht automatisch helle Nachkommen, es könne auch dunkle rauskommen.“ Beckers Erfahrung aus 41 Züchterjahren. Unter 400 Tieren gebe es lediglich vier bis acht Kandidaten, die Gewinnerchancen bei Wettbewerben hätten.
Schwerer Stand in der DDR
Wenn die genetische Mischung paßt, ist das lebendige Ergebnis geradezu unwiderstehlich. Eigentlich schwer zu verstehen, warum sich das Rhönkaninchen in der damaligen DDR kaum durchsetzen konnte.
„Es war bei der Obrigkeit wenig beliebt“, weiß Bekker, denn sein Name war negativ besetzt. „Die Rhön, das war für sie das schwarze Gebiet“, in ihrem westlichen Teil dominierte jahrzehntelang die CSU. Überhaupt war das Mittelgebirge in der öffentlichen Wahrnehmung rein westlich verortet und der thüringische Teil nichtexistent. Fast schon ein widerständiger Akt die Namensgebung dieser neuen Rasse, durch die Karl Becker wohl seine Heimat ins Bewußtsein zurückholen wollte. Die zahlenmäßige Entwicklung des Rhönkaninchens dümpelte dementsprechend vor sich hin. Den Durchbruch brachte 1980 die Aufnahme in den Standard der sozialistischen Länder, die DDR zog 1981 mit der Anerkennung der Rasse nach.
So richtig los ging es mit dem Rhönkaninchen erst nach der Wende, vor allem in Westdeutschland. 1991 wurde die erste rasseeigene Schau in Nordrhein-Westfalen durchgeführt, „das hat einen unheimlich großen Schub gebracht“, so Becker. Wie es in einem florierenden Züchterstall aussieht, kann er nicht mehr zeigen. Aus gesundheitlichen Gründen mußte er vor zehn Jahren sein Hobby, das für ihn ganz klar eine Passion ist, aufgeben.
Florierende Zucht
Also geht es zu erfolgreichen Züchterkollegen nach Unterfranken. In Birnfeld (Lkr. Schweinfurt) am Rande der Haßberge treffen wir an einem Spätnachmittag Ende November Patrick Elting vor der Halle, die das Zuhause seiner Rhönkaninchen ist. Mit dazugekommen ist sein Züchterfreund Daniel Kirchner aus Hendungen, einem Dorf im Landkreis Rhön-Grabfeld, das direkt an Thüringen angrenzt. Mit vier Rhönkaninchenzüchtern, Kirchner ist Vorsitzender des Ortsvereins und Elting Mitglied, ist das Dorf geradezu eine Hochburg der Rasse. Würden die aktuell 27 Birnfelder Kaninchen ihre Ställe verlassen und sich an dieser Stelle versammeln, hätten sie einen phantastischen Blick auf die bewaldete Hügelkette der Haßberge im Dämmerlicht. Ihre weißen Fellpartien würden im Licht des am Himmel schwebenden Vollmondes aufleuchten, während sie ein paar Grashalme rupften und ein wenig umeinanderhoppelten.
Stattdessen sitzen sie in ihren gemütlichen Ställen, mit erhöhtem Ruhebrett, Heuraufe und Durchlaß, damit die geselligen Tiere auch mal zum Nachbarn rüberschlüpfen können. Elting nimmt aus einer der 50 Einzelbuchten eine Häsin heraus. Ein Großteil der Ställe ist nicht belegt, aber während der Zuchtsaison tummeln sich hier rund 100 Tiere. Er birgt das possierliche Kaninchen in seiner Armbeuge, was diesem nicht unangenehm zu sein scheint. Es nimmt alles gelassen hin, die nachfolgende Korrektur seiner Ohrenhaltung fürs Foto ebenfalls. „Die Tiere dieser Rasse sind sehr zutraulich und ruhig im Wesen“, erklärt der 38jährige. „Das fasziniert mich neben ihrer Schönheit.“
Überraschungsmoment am Kaninchennest
Und dann ist da noch das Überraschungsmoment Fellfärbung, wie Daniel Kirchner ergänzt. „Wenn man fünf Junge im Nest liegen hat, sieht jedes Tier anders aus.“ „Wenn dich die Farbe Rhönkaninchen mal gefressen hat, dann läßt sie dich nicht mehr los“, pflichtet ihm Elting bei, streicht der Häsin noch mal übers Fell und setzt sie wieder in ihr Holzgehäuse zurück. 2011 hat er mit der Zucht der reizvollen Rasse begonnen und holte mit ihr gleich ein Jahr später den Kreismeistertitel, Start einer ganzen Siegesserie. Solche Erfolge kommen nicht unvorbereitet. Elting wuchs in die Kaninchenleidenschaft hinein. Er half als kleiner Junge seinem Großvater an den Ställen und begann vor 32 Jahren seine eigene Züchterlaufbahn. Deren Krönung war 2016 der Europameister auf Rhönkaninchen.
Der Züchter holt ein anderes Kaninchen raus, setzt es auf einen Hocker und zeigt, wie es auf einer Ausstellung präsentiert wird. Er korrigiert die Sitzhaltung und zieht die Ohren leicht nach oben, damit der Blick in die offenen Löffel fallen kann. „So eine Ausstellung ist immer ein bißchen ein Stressfaktor für die Tiere“, das Rhönkaninchen scheint dafür charakterlich gut gerüstet und nimmt bereitwillig die gewünschten Positionen ein. Die beiden wären ein gutes Gewinnerteam gewesen unter 120 Rassekollegen bei der Landesschau in der ersten Dezemberwoche. Sie wurde coronabedingt abgesagt.
Backup Familie
Die Lebensparallelen sind unübersehbar: Passionierte Züchter begeisterten sich schon als Jungen für die Schnuppernasen ihrer Züchterväter beziehungsweise Großväter. Auch der 39jährige Daniel Kirchner erklärt, daß er „vom Vater angeleitet“ wurde und schon mit sechs Jahren offiziell mit dem gezielten Kreuzen von Kaninchen begann. Zu seinen Erfolgen zählt der bayerische Meistertitel mit Farbezwergen und Havanna und Clubmei-ster mit Rhönkaninchen. Ohne die Unterstützung der Familie kann eine solche Züchterbiographie nicht weitergehen. Die Hege der Kaninchen wartet nach dem Vollzeitjob zu Hause. „365 Tage im Jahr, zwei bis drei Stunden täglich“, ist Kirchner für seine Tiere im Einsatz. Dazu kommt, daß er einen Großteil des Futters selbst produziert, Heu, gelbe Rüben, Rote Beete, auf gesunde Ernährung legt er Wert. „Das kann ich nur machen, weil mich mein Vater und meine Oma unterstützen.“
Auch in Birnfeld geht es nicht ohne Rückendeckung von Frau und Kindern. „Wenn er Spätschicht hat, bin ich dran mit der Versorgung“, erklärt Barbara Elting. Das tut sie offenbar so gerne, daß auch sie dem Charme der Tiere verfallen und in die Zucht eingestiegen ist. Sie hat sich auf rhönfarbige Kleinwidder spezialisiert und 2020 wurde eines ihrer Tiere zum Europachampion gekürt. Auch ihre beiden Kinder Finn (3 Jahre) und Fiona (7 Jahre) helfen gerne beim Füttern mit. Ob sie die Familientradition fortsetzen werden? Ihr Vater würde sich freuen, setzt aber auf Freiwilligkeit. Er und Kirchner wissen, wie schwierig es ist, die jungen Leute für die Zucht zu begeistern. Viel Arbeit und Verantwortung und weniger spektakulär als die Playstation, so die prägnante Begründung.
Das schönste Kaninchen
Eine Entwicklung, die auch Reiner Becker traurig stimmt. Um den Bestand seiner Rasse aber macht er sich keine Sorgen. „Sie ist auf einem guten Weg und daß sie ausstirbt, weil sie keiner mehr will, das wird nicht passieren.“ Für ihn gehören die aparten Kaninchen einfach zur schönsten und liebenswürdigsten Rasse. Und er fühlt sich durch ihre Medienpräsenz bestätigt. „Wenn im TV ein Kaninchen auftaucht, ist es in 50 Prozent der Fälle ein Rhönkaninchen.“