Ein Stück vergessene Industriegeschichte
Die Herstellung von Porzellan prägte über Generationen die Industrie- und Kulturgeschichte Oberfrankens. Viele Betriebe verschwanden im Laufe der Zeit vom Markt. Einige gerieten völlig in Vergessenheit. So auch die Küpser Julius Edelstein AG. Achim Bühler forscht seit mehr als 25 Jahren zur Geschichte des Unternehmens und zur Biographie des Gründers.
Text: Sabine Raithel | Fotos: Archiv Achim Bühler
Es ist ein in die Jahre gekommenes Stück Papier. Datiert auf den 13. Dezember 1932. Ausgestellt in Berlin. Die „Aktie Nr. 1“ der Porzellanfabrik J. Edelstein Aktiengesellschaft hat einen Nennwert von 75 000 Reichsmark. Sie verbrieft damit ihrem damaligen Inhaber die Beteiligung am Grundkapital der Gesellschaft in Höhe von 75 Aktienrechten zu je Tausend Reichsmark. Das historische Dokument ist Zeugnis eines handfesten Wirtschaftsskandals rund um die Eigentumsrechte der Küpser Porzellanfabrik Julius Edelstein im aufkeimenden Dritten Reich. Und sie symbolisiert einen dramatischen Wendepunkt in der Geschichte des einst glanzvollen Unternehmens – insbesondere im Leben ihres jüdischen Gründervaters Julius Edelstein (1882–1941).
90 Jahre nachdem die Aktie emittiert wurde, hat der Fotograf und „Edelstein-Forscher“ Achim Bühler dieses zeitgeschichtliche Dokument wiederentdeckt. Ein Zufallsfund bei einem Auktionshaus in London, das das Papier im Auftrag seines luxemburgischen Besitzers – einem passionierten Porzellansammler – veräußerte. Bühler konnte das Papier nach zähen Verhandlungen erwerben und damit eine weitere Lücke in seiner umfassenden Sammlung und in seiner Forschungsarbeit rund um Edelstein schließen.
Seit über 25 Jahren beschäftigt sich Bühler mit der Geschichte der Porzellanfabrik Edelstein und der Biographie ihres Gründers. Gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Dr. Bernd Wollner hat er 2001 ein über 300-Seiten starkes Buch über den einst blühenden Porzellanstandort Küps im oberfränkischen Landkreis Kronach verfaßt. Im Zentrum der Dokumentation „170 Jahre Porzellan“ steht die Porzellanfabrik Julius Edelstein. Das Buch gilt heute als Grundlagenwerk, das erstmals und bislang als einziges eine umfassende Zusammenfassung von Aufstieg, Blütezeit und Ende Edelsteins liefert. Akribisch haben Bühler und Wollner Interviews mit Zeitzeugen geführt, Aktenstudium sowie Ahnenforschung in den USA betrieben und sind dabei tief in die Archive eingetaucht. Ansporn und Basis für die Arbeit bildeten Aufzeichnungen, Skizzen, Fotografien und Exponate vom Großvater Achim Bühlers. Der gelernte Porzellanmaler Hermann Bühler war von 1925 bis 1972, kurz vor dem endgültigen Aus der Porzellanfabrik Edelstein, dort als Obermaler und leitender Dekorentwerfer tätig.
Geprägt vom Auf- und Abstieg einer ganzen Branche
Oberfranken gilt als Wiege der industriellen Porzellanfertigung in Europa. Ausgehend vom Innovationsgeist eines Carl Magnus Hutschenreuther, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Selb die erste Fabrik zur modernen Fertigung des „weißen Goldes“ errichtete, haben sich mit der Zeit in Oberfranken zahlreiche große Markenhersteller wie auch kleine Manufakturen etabliert. Ihre Geschichte ist geprägt vom Auf- und Abstieg einer ganzen Branche, von politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüchen – und von menschlichen Schicksalen. Einige wenige Unternehmen haben den Sprung in die Neuzeit mit Bravour geschafft. Viele blieben auf der Strecke. Und manche gerieten dabei völlig in Vergessenheit – so, wie die Julius Edelstein AG. Julius Edelstein begann seine berufliche Laufbahn als Porzellan- und Glasgroßhändler in Berlin-Charlottenburg, wo er seit ungefähr 1912, zusammen mit seinem Kompagnon Isidor Grünebaum, ein gemeinsames Unternehmen führte. Julius Edelstein, auf der Suche nach besonders dünner und damit kostensparend zu exportierender Porzellanware, wurde bei der Oberfränkischen Porzellanfabrik Ohnemüller & Ulrich in Küps fündig.
Edelstein war zu der Zeit bereits an diversen anderen Unternehmen beteiligt und saß in verschiedenen Aufsichtsräten. Unter anderem hatte er Beteiligungen an der Steingutfabrik AG Colditz, an einer Kettenfabrik in Soldin und auch an einer Porzellangroßhandlung in Eidelstädt bei Hamburg. Am 19. Mai 1919 erwarb Edelstein zusammen mit seinem Partner Grünebaum die Oberfränkische Porzellanfabrik in Küps, die sie erfolgreich ausbauten und 1923 zu einer Aktiengesellschaft mit Verwaltungs- und Vertriebssitz in Berlin machten.
Der Markenname wurde von Nazis beibehalten
Infolge des Börsenkrachs 1929 und der anschließenden Weltwirtschaftskrise ging die Porzellanfabrik Edelstein 1932 durch einen von dem Börsenspekulanten und bekennenden Nationalsozialisten Otto Zehe gezielt erzwungenen Konkurs in die Hände der Colditz Steingutwerke AG über. Sofort wurde eine neue Aktiengesellschaft gegründet. Für nur 75 000 Reichsmark verkaufte der Konkursverwalter die kompletten Unternehmungen von Julius Edelstein samt allen Grundstücken an Otto Zehe und seine kriminellen Helfer. Als neuer Betriebsleiter wurde Fritz Greiner (1903–1974) eingesetzt. Greiner war NSDAP-Mitglied und gehörte dem paramilitärisch organisierten Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) an. Eine seiner ersten Aufgaben war es, die vormaligen Inhaber der Porzellanfabrik Edelstein aus dem Geschäft zu drängen. Julius Edelstein wurde geschäftlich kaltgestellt. Der Name „Edelstein“ wurde nach einigen Diskussionen beibehalten, da er als eingeführter Markenname wirtschaftlichen Erfolg versprach. Im Laufe des Krieges wurde das Ehepaar Margarete und Julius Edelstein nach Riga deportiert und dort ermordet. Ihre Kinder Werner und Marianne konnten rechtzeitig in die USA emigrieren. Isidor Grünebaum wurde im Juli 1942 mit einem Alterstransport in das KZ Theresienstadt deportiert und ebenfalls umgebracht. In der Ära Colditz wurde das Edelstein-Sortiment ausgedünnt und – deutlich geschmackskonservativer – auf den „großdeutschen Binnenmarkt“ ausgerichtet. Als neues Geschäftsfeld stellte man nun auch sogenanntes „Wehrmachtsporzellan“ sowie Kantinengeschirr für industrielle Massenabnehmer her.
1973 erfolgte das endgültige Aus für Edelstein
Was der Gründungsvater Julius Edelstein schon früh in die DNA seines Unternehmens einpflanzte: die Vorzüge modernen Marketings. Er arbeitete in der Werbung mit bekannten Gesichtern und hübschen Models. Ende der 1920er Jahre warb beispielsweise die seinerzeitige „Miss Germany“ in einem Prospekt für „Edelstein Bavaria. Die Marke von Ruf“.
Edelstein unterstrich dieses Renommee – ausgenommen in den dunklen Zeiten des NS-Regimes – durch hohe Qualität und zeitgemässes Design. Dies machte Edelstein zu einem Mitbewerber auf Augenhöhe mit namhaften Unternehmen wie Rosenthal. Genau wie Rosenthal arbeitete auch Edelstein schon frühzeitig mit bekannten Entwerfern zusammen – zeitweise waren es sogar die gleichen wie beispielsweise Kurt Wendler. Diese Strategie wurde vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine eigene Kunst-Abteilung fortgeführt. In seiner Blütezeit beschäftigte das Unternehmen mehr als 500 Mitarbeitende. 1972 kaufte der britische Investmentbanker James „Jim“ Derrick Slater die Colditz AG und damit auch die Edelstein AG. Diese wurde innerhalb des Slater’schen Firmenkonglomerats kurze Zeit später an Heinrich Porzellan in Selb weiterveräußert. 1973 erfolgte das endgültige Aus für Edelstein.
„Was mich umtreibt ist, daß bis heute nichts mehr an Edelstein – weder an den Menschen, noch an das Unternehmen – erinnert. Es gibt in Küps nicht mal eine Straße, die den Namen trägt. Auf dem ehemaligen Fabrikgelände steht heute ein Supermarkt“, sagt Achim Bühler. „Das macht mich schon sehr betroffen.“ Bühler forscht unermüdlich weiter. Es fehlen, so sagt er, noch einige Fragmente, um gänzlich Licht in das „Mysterium Edelstein“ zu bringen. Mittlerweile hat Bühler so viele Exponate und Dokumente angehäuft, daß er damit ein eigenes kleines Museum gründen könnte. Für eine umfangreiche Fortsetzung seines Buches reicht der Stoff allemal.
Buchtip:
„170 Jahre Porzellan.
Wie Küps Geschichte machte.“,
Bernd Wollner, Achim Bühler.
ISBN: 3-00-007759-6