Die Wiederherstellung des Paradieses
Die Sanierung des Schlosses in Sommerhausen ist eine Mammutaufgabe, für die es gute Gründe gibt.
Text: Sabine Haubner | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Mächtig ragt die Westfassade des Schlosses in der Ortsmitte Sommerhausens (Lkr. Würzburg) auf. Durch die unmittelbare Lage an der Hauptstraße kann den stolzen Treppengiebel bis zur krönenden Finale nur ermessen, wer den Kopf weit in den Nacken legt.
Einen solch beeindruckenden Renaissancebau, der wiederum Teil eines komplexen Ensembles ist, zu erhalten, muß eine eher abschreckende Mammutaufgabe sein. „Es gibt gute Gründe, diesen Wahnsinn zu bejahen“, erklärt Icho Graf von Rechteren-Limpurg-Speckfeld im Schloßhof und wirkt dabei ganz entspannt. Da das alte Gemäuer das Ortsbild von Sommerhausen maßgeblich prägt, konnte auf öffentliche Unterstützung gehofft und der Schritt zur Renovierung gewagt werden. Zusammen mit seinem Sohn Friedrich ist er das Wagnis eingegangen, um den Stammsitz seiner Ahnen für die Familie zurückzuerwerben.
Malerisches Ensemble
An diesem Hofensemble hätte jeder Maler der Romantik seine Freude gehabt. Der polygonale Treppenturm in der Mitte des dreigeschossigen Haupthauses aus dem 16. Jahrhundert, auch Vorderer Bau genannt, unterteilt dessen Südseite. Efeu rankt an mehreren Stellen das Bruchsteinmauerwerk empor und umrahmt den grazilen Turm. Den rechten Flügel des Schloßhofs bildet der „Gelbe Bau“ mit einer Architektur ganz anderer Prägung. Das ockergelbe Gebäude mit Fachwerk-obergeschoß ist der älteste Teil der Anlage und wird um 1420 datiert. „An diesen Trakt gehen wir nur begrenzt heran“, erklärt Graf von Rechteren-Limpurg. Das war auch im vorigen Jahrhundert so, denn auch seinen -Vorfahren stellte sich die Frage, mit der Vater und Sohn sich im Zuge der Sanierung immer wieder beschäftigen: „Wie weit geht man eigentlich?“
Patina statt Perfektion
Substanzerhaltende und sichernde Maßnahmen mußten im März 2019 sofort ergriffen werden, etwa die Stabilisierung der nach vorne abkippenden Fachwerkfront am Gelben Bau. „Die Belastung durch den Dachstuhl war zu groß und hat die ganze Wand nach außen gedrückt.“ Priorität hatten auch die „Basics, die durch die vorgegebenen Besonderheiten des Altbaus sehr komplex sind: Wasser, Heizung, Strom“. Die energetische Modernisierung im Hauptbau bedeutete zunächst, die Fenster instandzusetzen und ein neues Heizungskonzept zu erstellen. Das Jahrhunderte lang Genutzte bestand aus einer Reihe von Kachelöfen in den wichtigsten Zimmern. „Der Rest blieb kalt“, so Icho Graf von Rechteren-Limpurg.
Die Sanierungsstrategie, die er und sein Sohn zusammen mit Architekt Friedrich Staib entwickelt und verfolgt haben, können wir schon an der Außenseite des Schlosses nachvollziehen. „Der Putz fällt peu à peu runter“ und legt die Struktur des Bruchsteinmauerwerks frei. Neu verputzen kommt für die Grafen nicht in Frage. „In dem Nicht-Perfekten läßt sich die Historie und die Baugeschichte der Gebäude gut ablesen und nachvollziehen.“ Graf von Rechteren-Limpurg bevorzugt Patina statt Perfektion, was außer dem Charme und der Beschränkung der Kosten einen weiteren Vorteil bringt. „Wir machen das Stück für Stück – und behutsam.“ Die Substanz bleibt unangetastet. Altes wird nur ergänzt, wo nötig.
Familiengeschichte mit Frauenpower
Das Allianzwappen über dem Torbogen des Turms inspiriert zu einem Exkurs in die Familiengeschichte. Die linke Seite ziert das Limpurgische Wappen. Schenk Carol, des Heiligen Römischen Reichs Erbschenk und Semperfrey, war bis zu seiner Verehelichung Domherr in Bamberg und Würzburg. Er plante, die Verwaltung seines Herrschaftsgebietes am Main nach Sommerhausen zu verlegen. Durch seinen Tod 1558 konnte er diesen Plan jedoch nicht mehr verwirklichen. Den Bau des Renaissanceschlosses nahm seine Frau Adelheid, deren Wappen im rechten Schild zu sehen ist, in Vormundschaft für ihren unmündigen Sohn Gottfried im Jahre 1569 in Angriff.
Gleichzeitig ließ sie 1568 das Rathaus in Markt Einersheim erbauen und errichtete das durch einen Brand 1558 halb zerstörte Schloß Speckfeld neu.
„Ich finde ihre Leistung für die damalige Zeit sehr bemerkenswert“, so Graf von Rechteren, und bin von ihrer ‚Frauenpower‘ beeindruckt.“
1575 waren die Arbeiten abgeschlossen. „Seitdem ist das Schloß in Familienbesitz geblieben, bis auf ein Intermezzo.“ Weil die Last des Unterhalts zu groß geworden war, verkaufte die Familie 1968 das Anwesen mit den dazugehörigen Weinbergen an den Sommerhäuser Winzer Kaspar Steinmann. Dessen Familie bewirtschaftete schon seit 1797 die zum Schloß gehörenden Weinberge. Steinmanns richteten im Erdgeschoß Verkaufsräume, Büro und eine Vinothek ein und nutzen auch große Teile des Gelben Baus.
In der Kelterhalle wurden bis ins 20. Jahrhundert die Trauben gepreßt und auch ein Geschoß tiefer steht der Wein im Mittelpunkt. „Das ist ein richtig schöner wohltemperierter Keller, der sich unter dem gesamten Bau hinzieht“, schwärmt Graf von Rechteren-Limpurg, als er mit uns in die mystisch beleuchteten Gewölbe hinabsteigt. Hier reihen sich mannshohe Regale aneinander, dicht gefüllt mit Flaschen, in denen ausgewählte Gutsweine zu Sekt veredelt werden. Er freut sich, daß der Weinkeller über die Jahrhunderte immer seine „ganz nüchterne, zweckbezogene Funktion“ behalten hat.
Angedachte Nutzungskonzepte der Familie Steinmann für das Schloß waren nicht umsetzbar, so daß die brachliegenden Stockwerke nur sporadisch belebt waren im Rahmen des örtlichen Weihnachtsmarktes, als Theaterbühne und Filmset. Schließlich entschloß sich Martin Steinmann, das Anwesen wieder zu verkaufen.
Springbrunnen der Kindheitssommer
In der Tiefe des Kellers steht ein alter Steinbrunnen, dessen breite Schale Sektflaschen für Verkostungen präsentiert. „Das ist eine wesentliche, attraktive Erinnerung an meine Kindheit“, erklärt der Graf. Er stand früher im Schloßgarten, „ein herrlicher Brunnen mit Fontäne“, und ist ein Relikt unbeschwerter Sommertage in Sommerhausen bei Großtante und Großonkel. Als nach dem Tod seiner Mutter das Anwesen verkauft wurde, war das für den damals Zehnjährigen und seine beiden Schwestern ein bißchen „wie die Vertreibung aus dem Paradies“.
Der Brunnen soll wieder zum Blickpunkt des Schloßgartens werden. Dessen Gestaltung muß noch etwas warten, denn die Arbeiten im Hauptbau haben Vorrang.
Über die Wendeltreppe geht es in dessen ersten Stock. Hier wird an vielen Stellen und in unterschiedlichen Gewerken gleichzeitig gearbeitet. Plastikplanen hängen vor Wänden, Fliesenmuster liegen aus, Schreiner knien auf dem alten Dielenboden und ergänzen Fehlstellen. Im nächsten Zimmer macht die Schleifmaschine Getöse: Die Gevierte aus Weich- und Eichenholz erhalten den letzten Schliff. Die alten Fenster werden gerade von einer Rothenburger Firma renoviert und mit Kastenfenstern versehen. Durch unsichtbare Wandheizungen wird versucht, die Räume angenehm zu temperieren und damit weitere Heizkörper überflüssig zu machen. „Ich hoffe, daß die Rechnung aufgeht“, erklärt der Graf.
Manchmal ging diese nicht auf, wie bei der Instandsetzung des Eßzimmers. Die Statik der stützenlosen Decke des langen Saales war ungenügend, also mußte ihr Tragbalken von oben stabilisiert werden. Der wunderschöne Raum, der noch seines Anstrichs harrt, wird durch große Fenster erhellt, die weit herunterreichen. Sie stammen aus einer Umgestaltungsphase der Jahre 1830/40. „Für die meine Familie dankbar ist. Das ist schon mal Baubestand und bringt mehr Licht in die Räume.“
Zauberhafter Wandgarten
Ehemals waren alle Wände des Eßzimmers durch bemalte französische Tapeten verkleidet. Nur die Stirnseite ist noch im Original zu sehen, den Rest hat man in einer früheren Bauphase frevelhaft heruntergerissen, um ein Leck am Dach zu stopfen. Graf von Rechteren-Limpurg hebt die Plastikplane an und ein zauberhafter Garten entfaltet sich, mit blühenden Rosensträuchern und Bäumen, durch schwebende Paradiesvögel belebt. Ein paar Treppenwindungen weiter oben ist die Raumatmosphäre wieder ein wenig anders. Hier gibt es kleine Zimmerfluchten, reizvolle Ausblicke auf Sommerhausens Dächer, rote Sandsteinböden – und auf der anderen Seite des Treppenturms entfaltet sich dann eine ganz andere Welt. Hier geht’s in die alten Räume, die ein Gefühl der Geborgenheit aufkommen lassen: dunkel, nur von wenigen kleinen Fenstern erhellt, ochsenblutrot und grau bemaltes Fachwerk an den Wänden, farblich passende Deckenbalken.
Das Schloß hat damit noch längst nicht all seine atmosphärischen Register ausgespielt. Graf von Rechteren-Limpurg geleitet über die „sogenannte Seufzerbrücke“ in den Gelben Bau. Hier ist noch ganz viel belassen, wie es durch die Geschichte der Bewohner geformt wurde. Vom langen Flur geht eine Reihe kleiner Zimmerchen ab, die nach dem Krieg Flüchtlingen Unterkunft boten.
Sehnsucht nach Franken
Schließlich nehmen wir im „Refugium“ des Bauherrn Platz. „Wir haben uns hier zwei Zimmer gemütlich gemacht, um von da aus den Bau begleiten zu können.“
Einmal pro Woche bezieht er mit seiner Frau diesen Sommerhäuser Stützpunkt. Noch wohnt er in Stuttgart, wohin den promovierten Orthopäden vor Jahrzehnten die weiterführende Ausbildung führte. Er blieb und eröffnete später eine eigene Praxis.
Eines Tages erschienen in der Praxis überraschend einige gebürtige Sommerhäuserinnen. Natürlich gab es längere Gespräche und den Austausch gemeinsamer Erinnerungen. „Wie kommen Sie denn als Franken nach Stuttgart?“ fragte der Arzt. „Wegen der Arbeit“ war die Antwort. So, wie es auch bei ihm gewesen ist. „Diese Begegnungen fand ich einfach schön, auch wenn meine Sprechstundenhilfen verzweifelten.“
Sie nährten seine stille Sehnsucht, ins Fränkische zurückzukehren. Die Familie machte sich auf die Suche nach passenden Gemäuern, doch so richtig hatte es nie gepaßt. Bis dann sein Sohn Friedrich auf den ehemaligen Stammsitz in Sommerhausen aufmerksam wurde.
Icho Graf von Rechteren-Limpurg ist sich sicher: „Das Objekt hatte auf uns gewartet.“