Die Landschaft im Bilderbuchschloß
Das Welser-Schloß in Neunhof bei Lauf an der Pegnitz ist für die Familie von Welser Sommerresidenz, steter Arbeitsauftrag und Forschungsobjekt.
Text: Michaela Moritz | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Was muß man haben, um ein Schloßherr zu sein? Freiherr Georg von Welser beantwortet sich diese Frage gleich selbst: Natürlich ein Schloß und eine Familie, aber außerdem die Bereitschaft, sich in Kunstgeschichte, Geschichte, Bauphysik, Bauklimatisierung sowie Metall-, Holz-, Glas- und Stahlverarbeitung einzuarbeiten. Einen Dielenboden auch mal selber zu verlegen, darf kein Problem sein. Keine leichte Aufgabe, wenn man als Chemotechniker in einem medizinischen Labor arbeitet. Aber der 45jährige hochgewachsene Mann stellt sich ihr gerne – „man erweitert ständig seinen Horizont“ – , und zwar seit mittlerweile 16 Jahren.
Ideale Ehefrau an seiner Seite ist die promovierte Kunsthistorikerin Freifrau Stefanie von Welser, geb. von Langen. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit und Aufgabe als Mutter setzt sie sich mit viel Kraft und Zeitaufwand für die „Betreuung“ des Schlosses und der wissenschaftlichen Aufarbeitung damit verbundener Fragen ein. Und damit die Familie rund ist, haben beide auch bereits für Nachkommen gesorgt: vier an der Zahl, im Alter von fünf bis 13 Jahren. Das Schloß, das Georg von Welser anvertraut ist, steht in Neunhof, einem Ortsteil von Lauf a. d. Pegnitz (Nürnberger Land). Als halbfertigen, abgebrannten Bau hatte es die zahlungsunfähig gewordene Nürnberger Patrizierfamilie Geuder 1660 ihrem Gläubiger übergeben, der Nürnberger Linie des Hauses Welser. Diese vollendete das Gebäude; ab 1695 war die Sommerresidenz bewohnbar. Näherte man sich Schloß Neunhof im 18. Jahrhundert mit der Kutsche von Süden her, so bot sich vom Kutschbock aus ein prächtiger Anblick: im Vordergrund ein großzügiger, symmetrisch angelegter Barockgarten, an dessen Westseite sich ein langgezogenes Wasserbassin mit Springbrunnen anschloß; dahinter der zweischiffige Schloßbau im Spätrenaissance-Stil. Durch ein Tor im vorspringenden Mittelbau konnte die Kutsche in die nach Norden offene Eingangshalle einfahren.
Italienischer Stil
Wäre nicht der kühle, fränkische Wind, der hier an den meisten Tagen des Jahres hineinpfeift, man könnte sich fast nach Venetien versetzt fühlen. Denn Pate für die dreischiffige, durch elegante Rundbögen gegliederte Halle stand der schon damals berühmte oberitalienische Baumeister Andrea Palladio. Die Gestalt des Schlosses ist bis heute kaum verändert, nur der Garten wurde im 19. Jahrhundert im Stil des englischen Landschaftsgartens verändert. Italienische Handschrift findet man noch an anderen Stellen: So erinnern die Schornsteine an die offenen Kamine der Toskana, und in den Repräsentationsräumen des ersten Obergeschosses hat ein Italiener höchstpersönlich Hand angelegt: Donato Polli. Von 1693 bis 1697 modellierte der „italienische Stuccadurer“ im Auftrag der Nürnberger Welser die Decke des „Weißen Saals“. Polli stammte aus dem Tessin, war aber als Wanderkünstler viele Jahre in Nürnberg, im Nürnberger Land und der angrenzenden Oberpfalz tätig. Später, 1734, schuf er im Neunhofer Welserschloß auch noch die Decke der „Götterstube“.
Ihm übrigens ist zu verdanken, daß ein einfacher, junger Mann aus dem Dorf zu großer Berühmtheit gelangte. Als Polli seinen Auftrag im Schloß begann, wurde ihm der 20jährige Sohn des Amtsknechts, Hans Konrad Oßner, als Helfer zur Seite gestellt. Der junge Mann war offensichtlich so talentiert, daß Polli ihn wärmstens weiterempfahl. So kam es, daß Oßner später zum kaiserlichen Hofbildhauer unter Zar Peter dem Großen in St. Petersburg ernannt wurde und zum Direktor der Kunstabteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften. Was neben den Stukkdecken Besucher auch heute noch regelmäßig ins Staunen bringt, sind die bemalten Textilwandbespannungen (1. Hälfte des 18. Jahrhunderts) in der „Götterstube“ sowie der „Piepenstube“. In der Götterstube begegnet man raumumrundend Szenen aus den Metamorphosen von Ovid, Orpheus mit der Leier etwa oder Diana im Bade. In der Piepenstube dagegen konnte sich der Schloßherr in die Landschaft seiner Besitztümer versetzt fühlen, ohne das Gebäude zu verlassen. Eine lückenlos umgebende stilisierte fränkische Landschaft mit Phantasie-Herrensitzen, vielen Bäumen und „Piepmätzen“ vermitteln quasi ein Naturerlebnis.
Freiherr Georg von Welser ist nun eigentlich nicht Besitzer des Schlosses Neunhof. Dies ist vielmehr seit 1894 die „Freiherrlich von Welsersche Familienstiftung“ – damals hieß sie noch „Augsburg-Nürnberger Allgemeine Welserische Stiftung –, nachdem die Nürnberger Linie der Welser im 19. Jahrhundert ausgestorben war. Georg von Welser gehört der Ulmer Linie an und wurde aus den Reihen der Familienmitglieder als Administrator eingesetzt. Als dieser hat er zusammen mit seiner Familie das Recht, das Schloß zu bewohnen. Seit 1993 ist der gebürtige Münchner nun Neunhofer und tut weit mehr, als nur hier zu wohnen. Zunächst setzte er die Vorarbeit seines Vaters und Onkels fort und ließ Bilder, Truhen, Öfen und anderes Inventar restaurieren. Gemeinsam mit seinem Vetter Freiherr Michael von Welser, er ist Architekt, erfolgte in den Jahren 1999 bis 2002 – immer in Abstimmung mit Stiftungsrat und Familie sowie dem Denkmalamt – eine umfangreiche statische Sanierung des Gebäudes. Das ganze Dach mußte überarbeitet und neu abgedichtet werden. Denkmalschutz sieht Georg von Welser nicht als Eigennutz. Ganz im Sinne der Tradition seiner Vorfahren, die sich zum Beispiel bezüglich der Wasserversorgung oder des Brandschutzes immer der Ortschaft Neunhof verpflichtet fühlten, pflegt er eine sehr gemeinwohlorientierte Auffassung. „Der Denkmalschutz“, so sagt er, „unterstützt die Kleinbetriebe in der Region, hilft, daß alte Handwerkstraditionen bestehen bleiben und steigert später den Tourismus, zum Vorteil des ganzen Ortes.“
So lud das Ehepaar von Welser in Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und dem Stadtarchiv Lauf heuer (2009) im September zum sechsten Mal anläßlich des „Tags des offenen Denkmals“ in das Schloß ein. Im Wechsel führten Georg und Stefanie von Welser Besuchergruppen durch die Repräsentationsräume der „Belle Etage“. Mehrere hundert Interessierte kommen jedes Jahr aus diesem Anlaß, manche reisen bis zu 200 Kilometer an – und lernen auf diese Weise ein Dorf und seine Umgebung kennen, das sie sonst vermutlich nie entdecken würden. Gaststätten, Brauerei und Handwerk profitieren ganz unmittelbar.
Die Neunhofer Dialoge
Doch die „Öffentlichkeitsarbeit“ des Hauses Welser geht noch weiter: Für Historiker, Kunstgeschichtler und andere Wissenschaftler haben sie vor drei Jahren ein eigenes Forschungs-Forum gegründet: die „Neunhofer Dialoge“. Nach einem Arbeitsgespräch 2006 fand 2007 die erste Tagung statt zu dem Thema „Einblicke in die Geschichte des Handelshauses Welser“. Eingeladen waren Nachwuchswissenschaftler ebenso wie renommierte Professoren aus den Fachrichtungen Wirtschafts- und Kunstgeschichte, Literatur-, Musik- und Politikwissenschaften. Idee der „Neunhofer Dialoge“ ist es nicht nur, die interdisziplinäre Forschung über die Geschichte der Familie Welser zu fördern, sondern gerade auch, junge Wissenschaftler mit arrivierten Leuten ins Gespräch kommen zu lassen.
Der „Neunhofer Dialog II“ im Juli 2009 stand unter dem Thema „Beschaffungs- und Absatzmärkte im Zeitalter der Fugger und Welser“. Die Tagungsleitung der „Neunhofer Dialoge“ liegt bei Prof. Dr. Angelika Westermann, Universität Kiel, unter Mitarbeit von Dr. Stefanie Freifrau von Welser. Die beiden geben die Sammlung der vorgetragenen Referate jeweils im Folgejahr als Tagungsband heraus. Aus dem ersten Band kann man zum Beispiel erfahren, daß die Augsburger Linie der Welser gemeinsam mit den Fuggern zu Beginn des 16. Jahrhunderts den internationalen Seehandel aufbaute und damit quasi die ersten „Global Players“ wurden. Ein offenes Ohr zeigt die Freiherrlich von Welsersche Familienstiftung auch, wenn Kunstmuseen ausgewählte Gegenstände für eine Ausstellung leihen möchten. So waren Porträts und andere Objekte aus dem Neunhofer Welserschloß unter anderem bereits im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen, im Prado in Madrid oder bei einer Sonderausstellung in Venedig, genauso auch im Archiv der Stadt Lauf. Und schließlich dürfen die Kinder- und Jugendchöre der ortsansässigen Gesangsvereine einmal im Jahr ein Konzert in der Eingangshalle des Schlosses geben. Wenn dann die jungen Stimmen durch die laue Julinacht schallen, wird Neunhof wirklich zu einem kleinen Vicenza.