Der Rothenburger Weg
„Rothenburger Weg“ wird das besondere Wiederaufbaukonzept der Stadt genannt, das nun Weltkulturerbe werden soll. In einer Fachtagung zum Thema ging es nicht nur um Vergangenes, sondern auch um Zukünftiges und den sozialen Gedanken.
Text: Juliane Pröll
Wie gemalt fügt sich die Gerlachschmiede in die Altstadt, das pittoresk windschiefe Haus versprüht mittelalterlichen Charme, überragt von den Türmen der historischen Stadtmauer. Dabei sind einige Bauwerke jünger als gedacht. Doch davon kann der ahnungslose Betrachter nichts sehen.
Dr. Florian Huggenberger, Historiker und Leiter des Stadtarchivs Rothenburg, nennt Rothenburg die „deutscheste aller Städte“, es sei eine anachronistische Zuschreibung, schiebt er hinterher. Rothenburg habe alle Wendungen der Geschichte vollzogen, andererseits habe die Stadt immer wieder „eigene und eigensinnige Wege“ gewagt. Zwischen Geschichte und Eigensinn findet sich so auch der „Rothenburger Weg“. Der ist ein vielschichtiges Gebilde. Sein Fundament stellen die Regelungen des Wiederaufbaus für die Altstadt dar. Darauf sitzt eine breite Lage wissenschaftliche Forschung, überspannt von einem Dach städtebaulicher Überlegungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Um diesen „Rothenburger Weg“ geht es bei der LEADER-geförderten Tagung im Wildbad Rothenburg.
„Instagrammable“ dank Wiederaufbaukonzept
Nach dem Krieg war die Rothenburger Altstadt zu rund 40 Prozent zerstört. Das betraf laut Architekt und Denkmalpfleger Hanns Berger vor allem den nordöstlichen Teil der Stadt. Kein Vergleich natürlich zu anderen Städten wie Nürnberg und Würzburg, deren historischer Stadtkern sich im Zweiten Weltkrieg in Steinstaub aufgelöst hatte. Trotzdem ist die Prozentzahl für viele Besucher eine Überraschung. Gilt die Altstadt an der Tauber doch als „unversehrte“ mittelalterliche Reichsstadt. Die malerischen Gebäude sind „instagrammable“, wie es Denglisch so schön heißt. Diesen Zauber hat Rothenburg eben jenem Wiederaufbau zu verdanken, der als „Rothenburger Weg“ bezeichnet wird. Damit hat sich die mittelfränkische Stadt auch bei der Aufnahme ins Weltkulturerbe beworben. Das Auswahlverfahren läuft derzeit.
„Rothenburg hat sich unter schwersten Bedingungen entschlossen, die Stadt historisch wieder aufzubauen – zu einer aus der Zeit gefallenen Stadt“, sagt Dr. Jörg Christöphler, der Leiter Referat Tourismus, Kunst und Kultur Rothenburgs. Rothenburg als Gesamtkunstwerk zu erhalten, war das Ziel des Wiederaufbaus. Die Wiederherstellung einer Stadt sei „stets eine Interpretation der jeweiligen Zeit“, so Christöphler. Eine hundertprozentige Wiederherstellung ist aus diesem Grund nicht möglich.
Die Menschen mitgedacht
Dem Krieg waren 306 Wohnhäuser und 46 Scheunen, Ställe und Nebengebäude zum Opfer gefallen. Von der Stadtmauer lagen 750 Meter in Trümmern. Da die Amerikaner hauptsächlich Phosphor- und Brandstabbomben über der Stadt abwarfen, brannten Dachstühle und Innendecken aus. Die Steinmauern blieben stehen. Insgesamt 740 Familien verloren so 1945 ihr Zuhause. „Die Bekämpfung der Wohnungsnot war ein wichtiger Punkt“, führt Berger aus. Deshalb ist der soziale Aspekt ein starker Faktor des Wiederaufbaukonzepts. Die Stadt sollte nicht zu einer leeren Denkmalstadt wie zum Beispiel Venedig verkümmern. Die Häuser wurden nach altem Vorbild wieder aufgebaut, sind aber innen modern gestaltet und bewohnbar. Deshalb bevölkern die „echten“ Rothenburger noch immer die Altstadt, gehen morgens zum Bäcker, kommen abends von der Arbeit nach Hause und mischen sich in Cafés unter die Touristen.
Handwerk und Material aus Rothenburg
Ende 1946 standen die Leitlinien für den Wiederaufbau fest. Dazu zählte unter anderem die Vorgabe, daß die „ehemalige Geschlossenheit des Stadtbildes wieder entsteht“ und neue Straßen und Plätze nicht dem „modernen Verkehr“ angepaßt werden, so Berger. Außerdem sollte der Wiederaufbau aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen schnell voranschreiten. Gebaut wurden die Häuser hauptsächlich durch ortsansässige Handwerksbetriebe mit regionalem Baumaterial wie Naturstein aus Muschelkalk oder Sandstein. Verkehrswege wurden dagegen nicht angepaßt und Gassen nicht verbreitert wie es in Berlin und teilweise in Nürnberg der Fall war. Diese Leitlinien sind bereits 1949 im Fachmagazin „Baumeister – Zeitschrift für Baukultur und Bautechnik“ publiziert worden.
Beim Wiederaufbau war es wichtig, keinen „Etikettenschwindel“ zu betreiben, wie Dr. Christöphler sagt. Neubauten mußten immer klar als solche erkennbar sein. Ein schönes Beispiel sind die Vorher-Nachher-Bilder des Kapellenplatzes die Huggenberger bei seinem Vortrag zeigt. Das Haus mit Torbogen ist deutlich als Nachbau zu erkennen, da es orange gestrichen ist und auf das Fachwerk verzichtet wurde. Seine alte Form hat es jedoch beibehalten. So ist das Haus ganz klar als „neu“ auszumachen und fügt sich wie ein Platzhalter in die historische Stadtstruktur.
Romantisch, aber nicht original
Ein Gegenbeispiel ist die Gerlachschmiede, die Berger bespricht. Das Gebäude war vor dem Krieg eine einfache Scheune aus Stein mit einem großen, hölzernen Scheunentor und wurde nach dem Wiederaufbau zu einem mittelalterlichen Wohnhaus mit Fachwerk hochstilisiert. Ein schöner Neubau, keine Frage. Aber eben kein Original. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – ist sie eines der meist fotografierten Motive der Stadt. Nicht weit weg von der Gerlachschmiede, in der Wenggasse 38 bis 44, entschied sich die Stadt gegen einen Wiederaufbau der Scheunen und des alten Bauhofs, da Wohnraum gebraucht wurde. Dem „Rothenburger Weg“ wurde aber Rechnung getragen und die Form der alten Bürgerhäuser für den Neubau aufgegriffen.
Ist der „Rothenburger Weg“ also ein Konzept für die Zukunft? Durch eine „lebenswerte Stadt“ verknüpft mit dem malerischen Stadtbild wird für die Bewohner ein Gefühl von Heimat und Identität geschaffen, so Huggenberger. Außerdem fließen wissenschaftliche Ergebnisse in die Bauten und das Stadtkonzept ein. Gleichzeitig wird durch die Leitlinien der Wert der historischen Altstadt gesichert und erhalten, was wiederum Touristen und somit wirtschaftliche Einnahmen mit sich bringt. Durch den eingebrachten, sozialen Aspekt hat er zudem großes Potential. Für Rothenburg hat sich das Konzept auf jeden Fall gelohnt. Sobald die Pandemie eingedämmt ist, werden sich sicherlich wieder Besucher aus aller Welt von der Altstadt verzaubern lassen.