Der Olivenflüsterer
Kaum eine andere Frucht hat die Menschheit so eng begleitet wie die des Ölbaums – Horst Schäfer-Schuchardt hat daraus sein Lebensthema gemacht
Text: Markus Mauritz | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Auch mit 84 hat man noch Pläne. Horst Schäfer-Schuchardt sitzt vor seinem kleinen Laden in der Würzburger Innenstadt und erzählt von einer Olivenöl-Degustation, die er für das kommende Jahr gemeinsam mit der Città dell’Olio in Siena plant. Die Città dell’Olio ist ein Verband aus mehreren italienischen Gemeinden und Handelskammern, die sich seit 1994 der Pflege und Förderung exzellenten Olivenöls verschrieben haben – also genau dem Lebensthema Schäfer-Schuchardts. Eigentlich hätte die Veranstaltung heuer stattfinden sollen, aber wegen der Corona-Pandemie mußte die Verkostung verschoben werden. Schäfer-Schuchardt zuckt mit den Schultern: Wenn es um gutes Olivenöl geht, spielt Zeit keine Rolle. Was zählt, ist vielmehr die Qualität. Gutes Olivenöl kann leicht fruchtig schmecken oder mandelbitter oder einfach ein bißchen süß. Olivenöl kann scharf, mild, rassig oder würzig sein. Rund 700 verschiedene Olivensorten gibt es – und deren Aromen hängen von vielen Faktoren ab: vom Klima zum Beispiel oder vom Boden, von der Lage, vom Reifegrad, von der Art der Ernte und von der Sorgfalt beim Pressen. Horst Schäfer-Schuchardt, studierter Jurist, promovierter Kunsthistoriker, international anerkannter Olivenölexperte und unlängst vom italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella zum Cavaliere ernannt, gerät schnell ins Schwärmen, wenn es um jenen kulinarischen Kraftstoff geht, der bereits vor Jahrtausenden im östlichen Mittelmeerraum, in Palästina, Mykene und Kreta, geschätzt wurde.
Dreißig Jahre in der Nähe von Bari, dem Stiefelabsatz von Italien
Heute ist Olivenöl aus der gesundheitsbewußten Feinschmekkerküche nicht mehr wegzudenken. Aber in der Antike fand Olivenöl nicht nur als Lebensmittel seinen Einsatz, sondern auch bei der Körperpflege, bei religiösen Bräuchen oder als Leuchtstoff in Öllampen. Diese kulturgeschichtliche Bedeutung war es auch, die den Kunstkenner zum Olivenölexperten werden ließ. „Ich bin ja kein Landwirt“, sagt Schäfer-Schuchardt mit einem um Nachsicht bittenden Blick über seine Lesebrille hinweg. „Über die Kartoffel hätte ich kein Buch schreiben können, aber 7 000 Jahre Olivenölproduktion, das hat mich von Anfang an fasziniert!“
Als Sohn eines Opernsängers in Köln geboren, kam er schon als Kind über Heidelberg nach Würzburg, wo er 1956 das Abitur machte. Ganz und gar nicht zu seiner Künstlerseele passend, studierte er auf Drängen des Vaters zunächst Jura und ließ sich in der Domstadt als Rechtsanwalt nieder. „Da habe ich aber nicht viel gemacht“, meint er rückblickend.
Statt sich in Anwaltsrobe um Recht und Gerechtigkeit zu kümmern, ließ der junge Schäfer-Schuchardt nun seiner eigentlichen Leidenschaft freien Lauf und begann ein zweites Studium: Kunstgeschichte, Archäologie sowie Vor- und Frühgeschichte. Mit diesem intellektuellen Rüstzeug zog er zusammen mit seiner Frau Christine an den Stiefelabsatz von Italien, um dort für seine Dissertation zu recherchieren. 1972 wurde er mit einer Studie über „Die figürliche Steinplastik des 11. – 13. Jahrhunderts in Apulien“ zum Dr. phil. promoviert.
Zugleich hatten er und seine Christl mit Italien ihr Sehnsuchtsland gefunden. Rund dreißig Jahre lebten sie in Palombaio bei Bitonto, einem kleinen Dorf in der Nähe von Bari. In jener Zeit veröffentlichte Schäfer-Schuchardt einen ganzen Stapel wissenschaftlicher Arbeiten über apulische Kirchen, den Stauferkaiser Friedrich II. oder das legendäre Castel del Monte. Und für das Bayerische Fernsehen drehte Schäfer-Schuchardt etliche Dokumentarfilme, wie etwa die Streifen „Auf den Spuren des hl. Nikolaus“ und „Monte Gargano, der Sporn des italienischen Stiefels“ oder die Sendung „Die Olive, die große Geschichte einer kleinen Frucht“, die seither mehrfach in den dritten Programmen des deutschen Fernsehens zu sehen war.
Kulturgeschichte einer Frucht
Apulien ist keine Gegend, in der man sich in seine Studierstube zurückzieht, um nächtelang über Büchern zu brüten und tagelang an Texten zu feilen. Im Süden Italiens verstehen die Menschen zu leben. Das Ehepaar Schäfer-Schuchardt war bald Teil jener liebenswerten und lebenslustigen Gesellschaft, zu der selbstverständlich auch die örtlichen Olivenölerzeuger gehörten. Zudem wohnten die beiden in nächster Nachbarschaft zu einer Ölmühle.
Da war der Schritt zum kompetenten Olivenöl-Botschafter nicht mehr weit. Der Bayerische Rundfunk, der Südwestfunk Baden-Baden, der Norddeutsche Rundfunk, aber auch italienische Radiosender interessierten sich dafür, was Schäfer-Schuchardt zum Kochen und Verkosten von Olivenöl zu sagen hatte. Seither haben ihn zahlreiche Organisationen und Verbände in ihre Jury geholt, wie etwa „Ercole Olivario“ „Top 25-Biopress“, „Bioil“ oder die deutsche Zeitschrift „Der Feinschmecker“. 1993 erschien dann auch die deutsche Ausgabe seines Buchs „Die Olive – Kulturgeschichte einer Frucht“, in der er die kulturelle Bedeutung des Olivenöls seit der Antike ebenso beschreibt wie dessen komplizierte Herstellung und die vielfältigen Möglichkeiten, damit zu kochen.
Wie viele Vorträge zum Thema Olivenöl er schon gehalten und wie viele Aufsätze er dazu geschrieben hat, kann Schäfer-Schuchardt auf Anhieb nicht mehr sagen. Die Liste, die er vorsorglich mitgebracht hat, ist jedenfalls ziemlich lang, sie umfaßt mehrere Seiten. „Ohne die Christl hätte ich das alles nicht geschafft“, sagt er mit einem kurzen Blick ins Innere seines Ladens, wo seine Frau gerade an den Regalen entlangwirbelt. Wie ein Gruß aus dem fernen Italien reiht sich dort Flasche an Flasche. Seit 1999 betreibt das Ehepaar Schäfer-Schuchardt in der Eichhornstraße das Geschäft mit dem programmatischen Namen „Ölbaum“.
Wer zu den beiden in den Laden kommt, darf jederzeit auf ein Privatissimum hoffen. Mit so dürftigen Infos wie „kalt gepreßt“ oder „erste Pressung“ gibt sich ein Experte wie Schäfer-Schuchardt nicht zufrieden. Ausschlaggebend für die Qualität von Olivenöl sei nicht zuletzt der Anteil freier Fettsäuren. Deren Wert darf zum Beispiel bei „nativem Olivenöl extra“, also bei Olivenöl der besten Qualitätskategorie, nach einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2003 nicht über 0,8 Prozent liegen. Fruchtige Noten sind ein gutes Zeichen, aber auch scharfe oder bittere Öle, die beim Abgang in der Kehle ein wenig kratzen, können ein Indiz für Qualität sein.
Zurück an den Main
Weniger aussagekräftig sei die Farbe eines Olivenöls. Wesentlich für Qualität oder Geschmack seien aber – wie beim Wein – Herkunft und Sorte der Früchte. Deshalb rät Schäfer-Schuchardt seinen Kunden, das Herstelleretikett genau zu studieren: Wer Qualität erzeugt, hat nichts zu verbergen – schon gar nicht auf dem Hinweiszettel seines Produkts! Auf alle Fälle sei gutes Olivenöl gesund, versichert Schäfer-Schuchardt. „Olivenöl besteht überwiegend aus einfach ungesättigten Fettsäuren“, erklärt der Experte – und ungesättigte Fettsäuren sorgen bekanntlich für einen gesunden Cholesterinspiegel. Außerdem enthält Olivenöl das Phenol Oleuropein, das wegen seiner anti-oxidativen Wirkung vor Herzinfarkt schützen soll.
Aber was hat das Ehepaar Schäfer-Schuchardt nach den vielen Jahren im mediterranen Süden zurück an den Main geführt? „Unsere Tochter Anna-Maria kam ins schulpflichtige Alter, und wir mußten uns überlegen, wo wir sie in die Schule schicken sollten. Wir entschieden uns für Würzburg.“ So profan werden im Leben manchmal die Weichen gestellt!
Der Welt draußen ging Schäfer-Schuchardt dennoch nicht verloren. Längst war sein Expertenwissen auch in Ländern wie Ägypten, der Türkei oder Marokko gefragt – und oft genug war seine Christl in Sorge, wenn er allzu weit fort mußte. Einmal wurde er sogar nach Saudi-Arabien eingeladen, um eine 120 000 Hektar große Ölbaumplantage zu begutachten. „Die Bäume waren vom bacillus xylella befallen und schon völlig heruntergekommen“, erinnert sich Schäfer-Schuchardt. Das Bakterium trocknet die Pflanzen aus, die es befällt. „Im Grunde genommen kann man dagegen nichts anderes tun, als die kranken Bäume zu verbrennen!“
Oft aber konnte er verzweifelten Olivenbauern schon helfen, wenn etwa das erzeugte Öl Defekte aufwies. Die Ursachen für ein ranziges, oxidiertes, vergorenes oder weiniges Öl lägen häufig nur an einer zu späten Ernte oder an mangelnder Hygiene. „Sauberkeit und nach dem Pressen gründliches Filtern, das ist ganz entscheidend“, betont Schäfer-Schuchardt.
Aber jetzt blickt er erst mal nach vorn. Zu den vielen Leben des Cavaliere Dottore Horst Schäfer-Schuchardt gehört auch die deutsch-italienische Gesellschaft „Società Dante Alighieri“. Als langjähriger Würzburger Präsident der eher an Schöngeistigem interessierten Vereinigung will er im kommenden Februar einen Wettbewerb der besten italienischen Olivenöle organisieren. Olivenöl ist eben nicht nur ein Küchenwunder, sondern vor allem ein Kulturgut!