Der Misthaufen gehört zum Dorf
Edmund Zöller – ein Leben für die Heimat
Text: Elke Herbst | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Edmund Zöllers Augen leuchten, wenn der 98jährige, wohl älteste noch aktive Kreisheimatpfleger vom alten fränkischen Dorf erzählt. „Ganz früher standen die Kühe im Hof, später die Bulldogs.“ Wir schwelgen beide ein wenig in Erinnerungen, wobei seine natürlich viel weiter zurückreichen als meine. „Ich freue mich heute noch, wenn ich einen Misthaufen sehe. Er gehört einfach zum Dorf,“ strahlt mich der agile Senior an und teilt seine Erlebnisse mit mir. Ob mit einer Reisegruppe oder – wie ganz zu Anfang – mit seinem Fahrrad, auf dem irgendwann auch die zwei Töchter saßen, eine vorn im Kindersitz, die andere hinten – Edmund Zöller war stets auf Erkundungstour. Was er sah, hielt er in Dias fest und später in Büchern.
… vom Land
Tatsächlich begann aber alles mit einem großen Verlust: Edmund Zöller verlor seinen ältesten Bruder im Zweiten Weltkrieg, in dem auch er zwei Jahre diente. Nach dem Krieg, im Winter 1945, war es an ihm, den Nachlaß des Bruders zu sichten, zu ordnen und zu verwalten. Der Bruder war ein bekannter Holzbildhauer („Herrgottsschnitzer“) gewesen, genau wie der Vater, der über den allzu schmerzlichen Verlust des geliebten ältesten Kindes selbst das Leben verlor. Es gab vieles zu ordnen, und es flossen viele Tränen. Trotzdem war diese Aufgabe die Grundsteinlegung für Zöllers Beschäftigung mit Heimat und Brauchtum, hinterließ der geliebte Bruder doch nicht nur Holzschnitzereien, sondern auch Gedichte und heimatkundliche Erzählungen, von denen der jüngere Bruder nicht einmal etwas geahnt hatte.
Als Edmund Zöller 1952 als Regierungsinspektor nach Ansbach in die Schulverwaltung versetzt wurde, war das für ihn, wie er selbst sagt, ein großer Glücksfall, obgleich der Anfang schwer war. Nicht nur die mühsame Zimmersuche in der damaligen Nachkriegszeit belasteten ihn, auch die Stadt selbst gefiel dem gebürtigen Dorfprozeltener anfangs nicht. Alles erschien grau. „Ich bin halt a Bub vom Land,“ grinst Zöller mich an, „immer noch.“ Das anfänglich schmale Salär von 220 DM im Monat reichte gerade mal für ein kleines Zimmer und ein Fahrrad.
Wer aber in die selbst heute noch wachen, lebensfrohen Augen Edmund Zöllers schaut, ahnt, daß der junge Mann von damals kein Kind von Traurigkeit war und aus seiner Not im Handumdrehen eine Tugend machte. Mit seinem Fahrrad erkundete er in jeder freien Minute seine neue Umgebung, bestaunte Höfe, plauderte mit den Einheimischen und entdeckte viel Schönes.
„Hilde, du schaust nach den Heiligen, ich nach der Baugeschichte“
Mit seiner herzlichen Frohnatur war der junge Verwaltungsbeamte auch bei den Kollegen in Ansbach sofort beliebt, wurde umgehend integriert und mit kleinen und größeren Vereinsposten betraut. Aber nicht nur die Kollegen mochten ihn gleich, auch zu den Schulräten fand er sofort einen guten Draht. Freundlich versorgten sie ihn mit Büchern über Heimatkunde, und sein Herz ging auf. Diese Liebe zu Architektur und Brauchtum schlug sich über die Jahre in einer beachtlichen Sammlung von Dias und Literatur nieder, die zum Teil im Gartenzimmer von Zöllers Wohnhaus, aber vor allem im Herrieder Tor in Ansbach als großes Archiv über drei Stockwerke verteilt lagert: Rund 25 000 Dias, unzählige Bücher und Zeitungsartikel, manches selbst angeschafft, aber gut die Hälfte davon überlassen von Menschen, die verstanden, daß sie in Zöller einen treuen Verwalter ihres Nachlasses gefunden hatten. Das Kernstück seines ehrenamtlichen Schaffens als Kreisheimatpfleger, zu dem man ihn nach seiner Pensionierung 1990 ernannte, ist die Erforschung der Geschichte der Wehrkirchen. 1960 führte ihn ein Zeitungsartikel über die Wehrkirche in Fiegenstall zu diesem Thema und begeisterte ihn sofort derartig, daß er sich zeitlebens damit beschäftigt, zum geistigen Vater der Wehrkirchenstraße wird und vier kleine Bücher zu diesem Thema veröffentlicht. Sein erstes Buch „Fränkische Wehrkirchenstraße – vom Rangau bis zum Steigerwald“ erschien 1992 und liegt bereits in 8. Auflage vor, wie er mir mit berechtigtem Stolz sagt. Über die Jahre gab er sein Wissen in hunderten von Diavorträgen weiter – 400 davon über fränkisches Brauchtum und je 200 über fränkische Wehrkirchen und das alte fränkische Dorf. Seine Frau Hilde, eine leidenschaftliche Organistin, begleitete ihn, zumindest anfänglich, auf seinen Entdeckungsreisen. „Hilde, du schaust nach den Heiligen, ich nach der Baugeschichte,“ schildert Zöller verschmitzt die Aufgabenverteilung. Auch wenn viele, vor allem protestantische Kirchen verschlossen waren und es bis heute schwierig ist, jemanden im Ort zu finden, der den Schlüssel verwaltet, am Ende des Tages gab es ein Ritual: Begleitet von seiner Frau an der Orgel sangen sie „Großer Gott, wir loben dich“ und „Lobet den Herrn“, bald schon mit weiteren Kirchenbesuchern, die über die Jahre diesem Ritual freudig entgegenfieberten.
Was ihm Heimat bedeutet
Gefragt danach, was Heimat für ihn persönlich bedeutet, meint Zöller: „Mein Heimatort, die Kindheit und Jugend und das, was ich dort erlebt habe, das ist für mich Heimat.“ Die heutige Jugend, so Zöllers Erfahrung, kann mit dem Begriff Heimat wenig anfangen. Er meint, es sei der Preis der Mobilität. Günstige Flüge und Reiseangebote bedienen die Sehnsucht der jüngeren Bevölkerung, ihr Glück in fernen Ländern zu suchen. Die Heimat interessiert sie zunächst nicht. Das wäre für Zöller und seine Frau nicht in Frage gekommen, allein aufgrund ihrer vielen Verpflichtungen als Organistin und seiner Erfahrung als Soldat, der die Heimat in so entlegenen Ländern wie z.B. der Ukraine schmerzlich vermißte. Es bräuchte eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema Heimat schon in der Grundschule. Aber nach Zöllers Erfahrung haben selbst die Lehrer kaum Interesse an diesem Thema. Sogar eine von Zöller unentgeltlich angebotene Fahrt durch die Heimat interessierte nur drei von 20 Lehrern. Auch bei den Bürgermeistern bemühte sich Zöller über Jahre, Interesse an Heimat und Brauchtum zu wecken, denn als Kreisheimatpfleger werden ihm die Flächennutzungs- und Bebauungspläne der Ortschaften bis heute vorgelegt. Er erlebt aber immer wieder, daß es den Bürgermeistern vor allem um die Ansiedelung von Industrie und damit um finanzielles Wachstum und Sicherheit geht. Vielleicht im zweiten Schritt könnte man sich dann um das Thema Heimatpflege kümmern. Allzu oft werden Zöllers Vorschläge jedoch ausgeschlagen.
Edmund Zöllers Lebensleistung und seine Verdienste um die fränkische Heimat wurden viele Male gewürdigt, darunter mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande (1995) und dem Frankenwürfel (1993). Dennoch kann keine Ehrung aufwiegen, was dieser Mann an Herzblut und Lebenszeit in die Geschichte und das Vermächtnis seiner fränkischen Heimat investiert hat und bis heute investiert. Man kann sich nur verneigen vor einem so leidenschaftlich für die Heimat gelebten Leben und hoffen, daß sein Vermächtnis gewürdigt wird und irgendwie erhalten bleibt.