Der Kulturjournalismus ist nicht zu retten – eine Art Nabelschau
Kritik einer Bearbeitung des Themas Kulturjournalismus in der Mitgliederzeitschrift des Bayerischen Journalisten-Verbandes
Text + Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Es gelingt nur wenigen, den Schaden eines glücklosen ersten Satzes wie: „Braucht die Gesellschaft die Kultur und den Kulturjournalismus?“, durch Erregung wahrer Witzeskräfte, im Folgenden halbwegs gutzumachen. Christiane Pfau, der Herausgeberin des „Münchner Feuilleton“, wird man dies gerne bescheinigen, zumal sie in ihrem Gastkommentar zum Kulturjournalismus in der aktuellen Ausgabe des Zentralorgans des Bayerischen Journalisten-Verbandes (BJV-Report 4/22) vermeidet, nicht wie das Gros der Wortführer im sechsseitigen Haupttext beinahe jede Kernaussage damit abzurunden, daß man Was-immer auch anders sehen könnte. Kann man. Geschenkt! Man muß es zudem auch nicht als wohlfeile Relativierung verstehen, wenn Christiane Pfau anführt, daß es Wichtigeres gibt. Krieg, Klimakrise, Gasmangel, Fischsterben, RBB-Skandal, Lindner, um zu nennen, was sie in unserem Sinne meinen könnte. Um ihr dennoch etwas zu widersprechen: es ist keineswegs das wirklich Wichtigere, das mit dem Feuilleton als vorgeblich „pure Dekoration eines hedonistischen Lebensstils“ um Zeilen feilscht. Oftmals weiß man freilich nicht, ob es sich um Kultur oder Irgend-was handelt. Das ist wahrscheinlich so gewollt: eine Ghettoisierung auf reine Kulturseiten hält beispielsweise schon der Chefredakteur der Frankenpost, Marcel Auermann, ohnehin für gar nicht so gut. Also jetzt! Die Party-Videos der finnischen Regierungschefin Sanna Maries? Die Vorstellung der neuen Serie „House of the Dragon“? Der Auftritt der Sängerin von „Pussy Riot“, Marija Aljochina, beim Rudolstadt-Festival im Juli? Tatort im Schnellcheck? Oder die Lebensgeschichte des Gorillamannes Fritz aus dem Nürnberger Tiergarten? Laut Pfau hängen Kulturjournalismus und Gesellschaftskritik ohnehin untrennbar zusammen. Einverstanden!
Mangelndes Leserinteresse
Richtig ist dennoch, daß – übrigens schon seit Jahren, seit vielen Jahren – in den großen, noch ernstzunehmenden regionalen und lokalen Tageszeitungen bzw. Printpublikationen Kulturberichterstattung immer dünner (mit zwei n), flüchtiger wird. Sei es, daß Feuilletons bzw. Kulturteile/Kulturseiten gänzlich, einschließlich der bewährten Redakteure und freien Mitarbeiter freigestellt bzw., wenn sie nicht einfach weggestorben sind, abgeschafft werden; übrigens wohl hauptsächlich aus Kostengründen und mangelndem Leserinteresse, was bereits vor Jahren mittels readerscans (ein elektronisches Verfahren, mit dem gezählt wurde, was, wie weit und wie oft gelesen wurde) ein für allemal „belegt“ werden konnte. Sei es, daß Öffentlichkeit und gleich gar die Politik allenfalls ein verirrtes Verständnis von Kultur zu haben scheinen und Kultur gerne mit Events verwechseln, weil es da viele Zuschauer hat. Da ist es dann beinahe rührend, wenn Christiane Pfau betont, daß lokale und regionale Kulturberichterstattung „identitätsstiftend“ und leserbindend sei, daß gerade die Kulturkritik (im Gegensatz zum bloßen Storytelling) dem Leser Orientierung biete, Türen in andere Welten öffne und – um es kurz zu machen – Sprache und Denken fördere. All das braucht natürlich nicht argumentativ unterfüttert zu werden, schließlich posaunt sie das nicht in die blauen Tonnen, sondern sticht es direkt ins Herz der einen Handvoll Verbandler, die allerdings laut Statistik das Blatt nur irgendwie lesen (daß das ein Eigentor werden könnte, ist klar) und sowieso vom eigenen Tun überzeugt sind.
Inhaltliche Tiefe?
Nur, selbst das ist fraglich. Tatsächlich scheinen sich die wenigen (jedenfalls die, die im BJV-Report zu Wort kommen), sich noch als Kulturjournalisten Verstehenden, sei es bei den Nürnberger Nachrichten, der Mittelbayerischen Zeitung, dem Verbund von Frankenpost, Neue Presse, Freies Wort, Nordbayrischer Kurier bis hin zur Main Post mit den veränderten Bedingungen des Kulturjournalismus hinlänglich arrangiert zu haben. Daß „klassische Rezensionen“ (was immer das bis gestern war) kaum noch vorkommen (sollen), statt dessen der Service und vor allem netzaffine Formate die Kulturberichterstattung bestimmen, wird offensichtlich, und sei es zwangsläufig, weithin akzeptiert. Der Würzburger Chefreporter Kultur der Main Post, Mathias Wiedemann, verschweigt dabei nicht, daß unter seiner Ägide der Bereich Rezensionen deutlich reduziert wurde, will gleichwohl dezidiert volle Leistung. „Die Künstlerinnen und Künstler brauchen Rezensionen schlicht als Beleg für ihre Existenz.“ Und aus dem Servicegedanken heraus will er Vorberichte, Making-ofs, Hintergrund, Porträts, das volle Arsenal eben. Er glaubt, „daß sich der Kulturjournalismus von den Darstellungsformen her in Zukunft stark öffnen wird – zum Beispiel auch für Insta-Stories oder Reels. Wir werden noch viel kreativer werden müssen, um das Publikum zu erreichen, aber bei weiterhin inhaltlicher Tiefe“. Ohne grundsätzlich in Zweifel zu ziehen, ob er seinen hehren Ansprüchen, gerecht zu werden vermag … vielleicht mit der Einschränkung, daß meines Wissens der Nachweis bisher nirgends erbracht ist, mit den sog. neuen Darstellungsformen (Reels und dergleichen) „inhaltliche Tiefe“ wenigstens annähernd zu erreichen und von daher das „Beharrungsvermögen mancher Leute auch innerhalb der Kulturszene, die nur an den ganz, ganz traditionellen Formen festhalten wollen“ (Wiedemann), vor allem aus der Erfahrung hohlen Geredes gespeist wird. Möglicherweise ist die Würzburger Kultur gänzlich vor die Hunde gegangen (viel fehlt nicht mehr – kleiner Scherz) bis es dem hiesigen Bürgerblatt gelungen ist, ein geistig anspruchsvolles … post, insta, reel oh, was auch immer zu produzieren, gelingt ihnen dies doch zunehmend seltener selbst in den traditionellen Darstellungsformen.
Selbstauflösende Feuilletons
Nach Ansicht vieler Künstler, Maler, Bildhauer, Fotografen, Autoren, Schauspieler usw. – wobei das Theater am Neunerplatz in Würzburg dem Vernehmen nach nicht unzufrieden mit der Presse ist – gibt es zumindest im Regionalen und Lokalen, Rezensionen, die diese Bezeichnung verdienten, schon lange nicht mehr. Was allerdings – das muß fairerweise angefügt werden – den Künstlern auch selbst -anzulasten ist, da sie selbst zarte Kritik nicht mehr ertragen. (In puncto Musik mag die Situation übrigens noch etwas anders sein; die Sän-gerInnen, die quietschen, weil Passionata zwickt, können vermutlich noch immer ohne Angst vor einer Klage wegen Rufschädigung kritisiert werden und ohne Theorie sowieso – solange es sich elaboriert anhört. Kurzum: der Autor dieses Textes hat von Musik gleich gar keine Ahnung.)
Mehr noch und so verrückt es klingen mag: korreliert man die Aussagen der Kulturjournalisten im BJV-Report mit dem aktuellen Zustand dessen, was in den fränkischen Tageszeitungen als Kulturberichterstattung auftritt, drängt sich der Eindruck auf, diese Kulturberichterstattung könnte regelrecht selbstauflösend, autokatalytisch sein. Es scheint: je mehr um Kultur gerungen und auf die besagten neuen Darstellungsformen zugegriffen wird, desto weniger Kultur ist drin. Allerdings soll nicht verschwiegen werden, daß es selbst auf facebook anspruchsvolle, allerdings betont traditionell, also eigentlich nicht internetgerecht aufbereitete Beiträge gibt. Okay: wenige. Hinzu kommt schließlich in fast allen Redaktionen die Maxime, „sehr gezielt zu schauen, was besonders gern gelesen werde“ (Marcel Auermann, Chefred. Frankenpost u.a.). Allerdings: Was vordergründig Anreiz, könnte sich auf Dauer als Schlafdroge erweisen.
Was sind eigentlich außerkünstlerische Kontexte?
Die Professorin für Kulturjournalismus an der Hochschule für Musik und Theater München, Dorte Lena Eilers, die im Rahmen der Themenstrecke im BJV-Report interviewt wird, sieht das natürlich anders: „Es sind extrem spannende Zeiten angebrochen.“ Was sonst? Nicht nur insofern es ein „Kritiker-Papsttum“ wie zu Zeiten eines Theodor Fontane (vielleicht hätte sie nicht ganz so weit zurückschauen müssen, ein Alfred Kerr oder ein Georg Hensel hätte genügt) kaum noch gebe, sondern „jeder zum Kommentierenden des (kulturellen?) Geschehens werden kann“. Entlang eines weiten Kulturbegriffs würden sich ihrer Ansicht nach „Kulturjournalisten heute auch mit soziologischen, philosophischen, ökonomischen und ökologischen Fragen beschäftigen“ (schon diese Feststellung verstört, taten sie das mehr oder minder nicht schon immer?), ebenso „wie sich die Kunst, immer mehr mit >außerkünstlerischen< Kontexten (was immer das im Weltbild einer frischen Lehrkraft auch sein mag) verbunden hat“. Man könnte vermuten, daß sie sich mit ihrer Vorstellung von Kulturjournalismus als einem „Modus des Denkens“ auf den Kulturkritiker Ralf Konersmann bezieht. Eilers: „Ein Denken, das ständig in Bewegung ist, das Verknüpfungen und Vernetzungen herstellt, das Widersprüche aushält und daraus produktive Diskurse kreiert.“ In ihrem Verständnis scheint ähnlich wie bei Konersmann daraus ein Kulturjournalismus zu werden, der alles irgendwie gut findet, man muß nur das Leben in all seinen „globalen Spielarten, seinen Verflechtungen und Konflikten, aber auch seinen Absurditäten und seiner Komik“ interessant finden.
Die Frage ist nun, was man aus dieser Aufarbeitung des Themas Kulturjournalismus im BJV-Report, wie das inzwischen heißt: mitnimmt? Vermutlich vor allem, daß das Feuilleton nicht zu retten ist. Zumal die schicke Ablehnung von geistigen Autoritäten im Kulturbereich – das geschieht z. B. bei Eilers zwischen den Zeilen – kaum anders ist, als wolle man einen Einstein am Forschen hindern, weil das jeder Hohlkopf könne und vor allem billiger sei. Hauptsache es wird irgendwie für Unterhaltung gesorgt.