Das Wochenende der wirklich tollen Filme
Ob 1974 jemand in Würzburg mit dem 50. Internationalen Filmwochenende 2024 gerechnet hätte? Wer weiß ... genug Widrigkeiten, die dem Treiben ein Ende hätten setzen können, hatte es ja immer mal wieder gegeben.
Text: Ulrike Volk | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Bahnstreik und Bauernprotesten zum Trotz füllten sich von Donnerstagnachmittag bis Sonntag am späten Abend das Würzburger Central Kino im Bürgerbräu und die Festivallokalitäten drumherum mit Filmbegeisterten und Filmschaffenden, um ein langes Wochenende lang dem Flimmern auf der großen Leinwand zu frönen. Bei rund 60 Produktionen auf dem Programm gab es deutlich mehr zu sehen, als ein einzelner Zuschauer schaffen konnte. Daß einzelne Hartgesottene den Anschein machten, es immerhin versuchen zu wollen, beweist, wie besonders das treue Publikum des Festivals ist. Zehn oder zwölf Filme an vier Tagen – auch 2024 keine Ausnahme.
Weniger zum Schauen kam das Festivalteam selbst, schließlich gibt es immer was zu tun, und das eigentlich für jeden der zahlreichen Ehrenamtlichen. Am Sonntagabend sind aber alle recht zufrieden. „Das Festival war ein voller Erfolg“, resümiert Florian Hoffmann. Das eine Drittel des Filminitiative-Würzburg-Vorstandes sieht als Grund nicht nur die Vielzahl an Jubiläums-Sonderveranstaltungen – nach fünf Jahrzehnten Filmwochenende war der Rückblick auf die Historie allgegenwärtig. Mehr noch hebt er den Kern des Filmfestivals hervor: das Programm. „Sowohl die Auswahl als auch die der rund 20 Gäste waren dem diesjährigen Rahmen mehr als würdig.“
Bei den Gästen waren große Namen dabei, denen Katharina Schulz, ebenfalls Teil des Filmini-Vorstands, eine eigene Werkschau widmete. Einer davon: Axel Prahl. Der fühlte sich sichtlich wohl und schien sich nicht zuletzt darüber zu freuen, in Würzburg auch vom Publikum in erster Linie als Schauspieler angesprochen zu werden und erst in zweiter Linie als Tatort-Kommissar. Denn, obwohl er die Rolle gerne spiele, so war zu erfahren, würde sich Prahl über mehr eigenständige Filme auch im Fernsehen freuen, die aus der Krimi- und Serienlandschaft herausstechen. Jemand, der genau solche Filme macht, mit einer ganz eigenen Handschrift, großem Erfolg und offensichtlich viel Spaß, ist der Regisseur Marcus H. Rosenmüller, der ebenfalls ein Publikumsliebling beim Festival war. Ganz egal, ob bei den Publikumsgesprächen nach seinen Filmen oder im Festivalzentrum im Maschinenhaus: Rosenmüller genoß es sichtlich, sich ausgelassen mit Filmfans und Filmschaffenden zu unterhalten.
Nichts für Deutschland
Die Gäste lobten das Flair und die Atmosphäre des Festivals – letztere hatte auch den albanischen Regisseur Gentian Koçi nach Würzburg gelockt. Dieser war mit seinem Film „A Cup of Coffee and New Shoes On“ schon zu vielen Festivals gereist. Eigentlich, so erzählte er, habe er keine Lust mehr auf ein weiteres Festival gehabt. Als die Einladung aus Würzburg kam, sah er sich Bilder der Veranstaltung im Netz an – und sagte zu. Sein Film um eineiige gehörlose Zwillinge, die sich der Situation stellen müssen, auch noch ihr Sehvermögen zu verlieren, bewegte das Publikum sehr. Viele hatten Fragen, die Koçi bereitwillig beantwortete. Fünf Jahre, so erklärte der Filmemacher, dauerte die Entstehung des Films. Basis ist die wahre Geschichte eines Zwillingspaares aus Belgien, wobei er nicht deren Geschichte erzähle. Zwei Sätze waren alles, worauf er seine Beschäftigung mit der Materie begründete. Nicht ganz einfach war die Suche nach passenden Darstellern, und als der Regisseur diese in Portugal gefunden hatte, mußten die beiden erst einmal zeigen, daß ihnen die Rolle ernst ist: Sechs Monate lernten die Brüder die albanische Gehörlosensprache. Daß der Film einmal ins deutsche Kinoprogramm kommt, ist dem Regisseur zufolge leider unwahrscheinlich: Das sei nichts für den Vertrieb in Deutschland. Frankreich vielleicht, aber Deutschland auf gar keinen Fall. Gespräche wie diese machen das Filmwochenende aus. Sie sind es, die einen Einblick geben ins Filmemachen, das so vielfältig und unterschiedlich sein kann.
Würzburger Filmemacher
Eine ganz andere Entstehungsgeschichte hat zum Beispiel Thomas Heinemanns charmanter Kinderfilm „Paulas Papa und der richtige Knopf im Kopf“, zu dessen Deutschlandpremiere eine ganze Handvoll der jungen Darsteller vors Publikum traten. Heinemann – inzwischen Filmemacher – hatte einst das Theater am Neunerplatz als Kindertheater gegründet und dort unter anderem sein Stück „Wo der Schnee wohnt“ inszeniert. Als 2020 die Corona-Pandemie das Theater lahmlegte, machte er gemeinsam mit dem jetzigen Theaterleiter Sven Höhnke das Theater zum Drehort und schuf einen echten Neunerplatz-Film, nach dem zuverlässig die Frage aus dem Publikum kam, ob es noch mehr davon geben werde. Man darf gespannt sein.
Heinemann ist nicht der einzige Filmschaffende mit Bezug zur Region: Der aus Würzburg stammende Jonas Brander berichtete lange Jahre als Journalist und Fotograf aus Kolumbien über die Verbrechen des Militärs, die Gewalt gegen die indigene Bevölkerung und die Bevölkerungsproteste. Mit „Until the Sun Dies“ stellte er beim Filmwochenende seinen ersten Dokumentarfilm vor, in dessen Mittelpunkt die Künstlerin Luz und der Indigenenführer Albeiro stehen. Branders Film zeigt eine tiefgehende Kenntnis der Materie, respektvollen Umgang mit seinen Protagonisten und packt alles in große, kraftvolle Bilder – was das Publikum mit dem Dokumentarfilmpreis honorierte.
Ebenfalls aus Würzburg kommt Kim Fabienne Hertinger, deren zweiter Kurzfilm „Obolus“ (nach „Meer bei Nacht“ 2020) im Kurzfilmprogramm zu sehen war. Doch auch wer das Kurzfilmprogramm nicht gesehen hat, ist nach dem Filmwochenende mit mindestens einer ihrer Regiearbeiten vertraut: Die Filmemacherin zeichnet für die diesjährigen Trailer verantwortlich, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von persönlichen Festivalerfahrungen berichten.
Passend zum Jubiläum gab es eine kleine Retrospektive von Filmen, die schon 1974 auf dem Programm standen. Neben „Gelegenheitsarbeit einer Sklavin“ von Alexander Kluge und „Themroc“ mit Michel Piccoli war auch hier schon eine Produktion aus der näheren Umgebung dabei: „… sonst steht ja der betrieb hier still“ zeigte den Versuch der Selbstverwaltung eines insolventen Kunststeinwerks in Erlabrunn (Unterfranken) durch die Belegschaft. Spannende Vorführungen, zu denen ehemals Beteiligte erschienen – und Regisseur Jörg Gfrörer, der nach eigenen Angaben äußerst gespannt war – hatte er den Film doch selbst seit 50 Jahren nicht mehr gesehen.
Ebenfalls gespannt auf seine eigenen Aufnahmen war BR-Journalist Moritz Holfelder, der einer Einladung von FiWo-Vorstand Florian Hoffmann gefolgt war, Ausschnitte aus seinen zahlreichen Interviews mit Kinostars und Filmschaffenden zu präsentieren, die er im Laufe von Jahrzehnten für den BR gemacht hatte, von denen aber viele nie gesendet wurden. Nicht alle Überraschungen waren gut – so hatte sich ausgerechnet das Band mit dem Gespräch mit Trickfilmpionier Ray Harryhausen, über das sich Hoffmann und er unterhalten und damit die Idee für die Veranstaltung entwickelt hatten, aus unerklärlichen Gründen selbst gelöscht. Dennoch bot die Kiste unter Holfelders Schreibtisch noch ausreichend Stoff für zwei Veranstaltungen, die reichlich Filmfans anlockten.
Sein Fest: Arnold Schatzler
Einer, der bei der Entstehung unmittelbar dabei war, aber nicht mit einem 50. Filmwochenende gerechnet hätte, war Arnold Schatzler. Er ist das einzig verbliebene Gründungsmitglied der Filminitiative, und hat seinen Anteil daran, daß es die 50. Ausgabe gab. In schwierigen Zeiten, allen voran den beiden Corona-Jahren, als im Verein über das Aussetzen diskutiert wurde, war er es, der mit freundlicher, aber bestimmter Eindringlichkeit dazu aufrief, weiterzumachen. „Wenn ihr aussetzt, verliert ihr die Kontinuität“, warnte er damals, und wahrscheinlich hatte er recht. Knapp 8 500 Tickets von 10 000 möglichen gingen an vier Tagen an Mann und Frau. Das sind deutlich mehr als im vergangenen Jahr. Was will man mehr! Der ehemalige Kinoleiter des Würzburger Corso-Kinos, in dem das Filmwochenende jahrzehntelang beheimatet war, genoß das Jubiläum dann auch verdientermaßen sehr – von der Eröffnung am Donnerstag bis zum Ausklang am Sonntagabend im Maschinenhaus. Es war sein Fest!