Ausgabe Oktober / November 2023 | Kunst & Gesellschaft

Brückenbauerin zwischen Ost und West

Völkerverständigung mit den Mitteln der Kunst? Ist das möglich? Ja, ist es. Seit gut 30 Jahren tritt Stefanie Barbara Schreiner den Beweis dafür an. Mit ihrem Graphikmuseum in Bad Steben schafft sie interkulturelle Verbindungen zwischen Deutschland und ­verschiedenen Ländern in Osteuropa. Wir begleiteten die engagierte Kunstsammlerin auf eine Reise ins polnische Danzig.

Text: Sabine Raithel | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Sie ist überzeugt, dass Kunst ein kraftvolles Mittel der Völkerverständigung ist: Stefanie Barbara Schreiner.
Sie ist überzeugt, dass Kunst ein kraftvolles Mittel der Völkerverständigung ist: Stefanie Barbara Schreiner.

Bad Steben – Danzig. Manche Dinge ändern sich scheinbar nie – andere hingegen so grundlegend, daß man sich erstmal die Augen reiben muß, um sie als real annehmen zu können. Seit Stunden sind wir nun unterwegs. Nachdem in Deutschland – im Grunde nicht unerwartet – Züge ausgefallen sind und sich Anschlußverbindungen um einige Stunden verzögert haben, sitzen wir nun glücklich in einem überfüllten polnischen Zug, der uns von Berlin nach Danzig bringen soll. Nettes Zugpersonal lächelt mitfühlend, reicht ko­stenlos Kekse und Mineralwasser. „Hier herrscht Aufbruchstimmung. Das Land blüht auf – in vielerlei Hinsicht“, sagt Stefanie Barbara Schreiner in die Stille des Abteils, während der Zug durch die weite sommerliche Landschaft Polens rauscht. „Schauen Sie sich hier die Häuser und Gärten an. Das sah vor Jahren alles noch anders aus. Heute ist hier in weiten Teilen alles liebevoll instand gesetzt. Man sieht hübsche Gebäude und schön angelegte Gärten. Und genauso wie die Menschen und das Land endlich aufblühen, so tut es auch die Kunst in Polen.“

Die Frau muß es wissen. Seit Jahrzehnten beschäftigt sie sich intensiv mit der Kunst und der Kunstszene Osteuropas. Zunächst beruflich als Galeristin in Berlin; später trifft sie mit Dr. Wolfgang Schreiner nicht nur ihren Ehemann, sondern auch einen kongenialen Partner, mit dem sie auch privat die große Leidenschaft für die Kunst – und hier insbesondere für die Druckgraphik Ostdeutschlands und Osteuropas teilt. Wolfgang Schreiner ist enger Mitarbeiter von Professor Dr. Peter Ludwig, Inhaber eines führenden deutschen Schokoladenunternehmens, begei­sterter Kunstmäzen und u. a. Gründer der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig in Aachen und des renommierten Museums Ludwig in Köln.

Stefanie Barbara Schreiner vor Arbeiten des Künstlers Wojciech Seczawa in der Lounge der Danziger Universität.
Stefanie Barbara Schreiner vor Arbeiten des Künstlers Wojciech Seczawa in der Lounge der Danziger Universität.

Die Geburtsstunde des ­Graphikmuseums

Schreiner und Ludwig reisen rund um den Globus – mal geschäftlich, mal um das Netzwerk im Bereich Kunst weiter auszubauen und auch, um Kunst zu kaufen. Als sich Wolfgang Schreiner gemeinsam mit seiner Frau aus dem aktiven Berufsleben zurückzieht, haben sie privat ein so großes Konvolut an Druckgraphik zusammengetragen, daß sie – zunächst vage – darüber nachdenken, ein eigenes kleines Museum zu gründen. „Der Entschluß, es tatsächlich zu tun, ist eigentlich aus einer Art Weinlaune heraus entstanden“, berichtet Stefanie Barbara Schreiner augenzwinkernd. „Wir hatten ein kleines Ferienhaus in Oberfranken und waren hier ganz gut vernetzt. Eines Abends saßen wir in Hof mit einem Zeitungsverleger und einem Minister aus Oberfranken zusammen und fabulierten gemeinsam, was die Zukunft bringen könne. Und schließlich redeten uns beide Herren mit großer Begeisterung zu, unsere Idee von einem kleinen Graphikmuseum umzusetzen. Und zwar im Landkreis Hof, genauer in Bad Steben. Das war dann die Geburtsstunde des Grafikmuseums Stiftung Schreiner.“ Stefanie Barbara Schreiner macht eine kleine Pause.

„Wissen Sie, meinem Mann und mir ging es immer um Völkerverständigung. Unser Traum oder unser Wunsch war es, Brücken zu bauen zwischen Ost und West. Die Idee eines vereinigten und fried-lichen Europas hat uns immer angetrieben. Sie war von jeher Leitgedanke für unsere Sammlung. Und wo, wenn nicht hier, im früheren ‚Grenzland‘, direkt am ehemaligen Eisernen Vorhang und in unmittelbarer Nachbarschaft zu Tschechien gelegen, hätten wir unser Museum besser plazieren können?“ 1994 wird das Museum in Bad Steben im ehemaligen, 1911 errichteten Kurhaus sowie im Foyer des aus dem Jahr 1837 stammenden Klenzebaus stilvoll untergebracht.

Wolfgang Schreiner verstirbt im Jahr 2015. Stefanie Barbara Schreiner führt das gemeinsame Lebenswerk seither weiter. Unterstützt wird sie von dem Kunsthistoriker Dr. Tobias Ertel. Die Sammlung umfaßt heute rund 5 200 Arbeiten von etwa 400 Künstlerinnen und Künstlern des 20. und 21. Jahrhundert aus 25 Ländern. Einen erheblichen Anteil des Sammlungsschwerpunkts „Osteuropa“ nimmt dabei die bulgarische Druckgraphik ein. Mit etwa 500 bis 600 Blättern gilt das Konvolut als das umfangreich­ste und wohl auch qualitativ hochwertigste dieser Art in Deutschland.

Eine Arbeit der polnischen Künstlerin Barbara Kasperczyk-Gorlak aus der Serie „Paradise Lost“. 40 x 56 cm, UV-Druck, Mischtechnik, 2022.
Eine Arbeit der polnischen Künstlerin Barbara Kasperczyk-Gorlak aus der Serie „Paradise Lost“. 40 x 56 cm, UV-Druck, Mischtechnik, 2022.

Polnische Plakatkunst

Wir erreichen Danzig irgendwann, kurz vor Mitternacht. Zu spät, um noch irgendetwas anzuschauen. Am nächsten Tag werden wir von Dr. Barbara Kasperczyk-Gorlak abgeholt. Die akademische Künstlerin ist Dozentin an der Akademie der Bildenden Künste in Danzig und strebt mit dem Gra-fikmuseum Stiftung Schreiner eine Projektpartnerschaft rund um eine Graphikausstellung im nahegelegenen Elbing (pol. Elbląg) an.

Die pittoreske Danziger Innenstadt besticht mit hübschen Fassaden und einer lebendigen Gastro-Szene.
Die pittoreske Danziger Innenstadt besticht mit hübschen Fassaden und einer lebendigen Gastro-Szene.

Unser Tag beginnt mit einem Rundgang durch den Bereich Graphik der Akademie der Bildenden Künste in Danzig. Seit mehr als 70 Jahren werden hier junge Menschen in den Bereichen Architektur, Graphik, Malerei und Bildhauerei ausgebildet. Anders als in Deutschland, wo die Graphik als Kunstgattung eher in den Hintergrund gerückt ist, hat sie in Polen nach wie vor Gewicht. Das mag an ihrer Geschichte liegen. Denn denkt man an polnische Druckgraphik, dann ist dies unweigerlich mit dem Genre Plakatkunst verbunden. In der Nachkriegszeit galt polnische Plakatkunst als weltweit führend. Lange bevor Bonn und Warschau 1970 offizielle Beziehungen aufnahmen, war sie wesentlicher Bestandteil reger polnisch-westdeutscher Kulturkontakte und einer in den 1950er Jahren beginnenden „Polen-Welle“ oder wie man heute neudeutsch sagen würde: eines wahren Polen-Hypes.

Seit jeher galt die polnische Plakatkunst als Medium politischer Aussage und Botschaft. Die aktuelle polnische Kunstszene wird einerseits durch eine offene Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen, sozialen und politischen Wirklichkeit des Landes und andererseits mit der internationalen Kunst geprägt. Diese beiden Schwerpunkte in der zeitgenössischen künstlerischen Entwicklung entstanden in den 1970er und 1980er Jahren, als die Aktivitäten der Solidarność – ausgehend von Danzig – der Kunst ungeahnte Freiräume eröffneten.

Kein Kitsch, kein Pathos. Erzählerische Kraft!

Moderne Architektur und Weitläufigkeit prägen den Campus der Danziger Universität.
Moderne Architektur und Weitläufigkeit prägen den Campus der Danziger Universität.

Daß die Druckgraphik in Polen generell nichts von ihrer Bedeutung verloren hat, sieht man auch an den großzügigen Räumlichkeiten, die die Danziger Akademie hierfür zur Verfügung stellt. Dr. Dominik Wlodarek führt uns durch die Bereiche, in denen die Studierenden sämtliche Formen und Gestaltungsmöglichkeiten der Graphik zwischen Handwerk und KI erlernen. „Neben den renommierten Hochschulen in Kattowitz und Krakau hat sich Danzig insbesondere durch farbige Graphik einen Namen gemacht. Das hängt vielleicht auch mit der Nähe zur Malerei zusammen, die wir hier an der Akademie lehren. Für manche Studierenden ist die Graphik der Einstieg zur Malerei“, erklärt Wlodarek. Dann führt er durch weitläufige Gänge, die mit aktuellen Arbeiten von Studierenden aber auch Professoren und Dozenten bestückt sind. Wir sehen u. a. farbenprächtige Graphiken, die an mexikanische Webkunst erinnern, daneben Aquatinta-Arbeiten mit floralen Motiven, die durch feinste Grauabstufungen bestechen. Kein Kitsch, kein Pathos. Aber jede Menge erzählerische Kraft.

Wie viele seiner Kollegen ist Dominik Wlodarek auch freischaffender Künstler. „Vielleicht eine Besonderheit, hier in Polen. Von der freien Kunst alleine können wir kaum leben. Wer über die Runden kommen will, der verdient als Dozent an der Hochschule das Geld für die Miete und lebt seine Leidenschaft für die Graphik nebenbei als Freischaffender aus. Ganz nebenbei führt dies natürlich zu einer nicht zu unterschätzenden Qualität auf dem Kunstmarkt.“ Die Akademie liegt inmitten der pittoresken Altstadt Danzigs. Eine leichte Meeresbrise erinnert daran, daß die Hansestadt in der polnischen Woiwodschaft Pommern, westlich der Weichselmündung, an der Ostsee liegt.Tragische wie großartige Momente prägen die wechselvolle Geschichte der Stadt. Doch heute – trotz der Schatten, die die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) über das Land wirft – überwiegt der Charme einer weltoffenen, liberalen, freien, jungen Stadt, die sich längst der demokratischen Idee geöffnet hat. Die schmucke Altstadt, die wie eine gelungene Mischung aus Amsterdam, Brüssel und Lübeck wirkt, hat sich herausgeputzt. Hübsche Geschäfte (gefühlt verkaufen hier fast alle Bernstein) reihen sich in eine lebendige Café-, Kneipen- und Restaurantszene. Die einst typische „Ostblock“-Tristesse ist verschwunden.

Projekt „Refleksy“ ­(Reflektionen)

Kosmopolitischer Zeitgeist herrscht auch auf dem Campus der Danziger Hochschule. Architektonisch und auch von Weitläufigkeit her müßte man etwas Vergleichbares in Deutschland wohl suchen. Der Hochschulprofessor und Künstler Wojciech Seczawa präsentiert hier in einer großzügigen Lounge seine Arbeiten. Druckgraphik und Bildhauerei aus Holz und Stein. Seine Themen sind politisch bzw. gesellschaftspolitisch: die Flüchtlingsströme aus der Ukraine, von denen Polen doch recht klaglos in Europa das Gros abpuffert, oder auch das gegenwärtige Medienverhalten. Stefanie Barbara Schreiner wird schnell fündig. Eine Art steinerner Steg aus Granit und Holz hat es ihr angetan. Das Sinnbild für eine Brücke zwischen Ost und West könnte künftig den Skulpturenpark in Bad Steben bereichern.

Die Nacht dürfen wir – als deutsche Ehrengäste – im Rathaus von Elbing verbringen. Am Rande bemerkt: Die sprichwörtliche polnische Gastfreundschaft ist umwerfend, das polnische Essen hervorragend und polnische Kunstprofessoren lieben es zu feiern. Vorzugsweise lange. Am nächsten Tag zeigen Künstler aus Krakau, Kattowitz, Danzig, aber auch aus den USA und Deutschland, im Rahmen des Projektes „Refleksy“ (Reflektionen) wie Druckgraphik heute funktioniert: als munteres Experimentierfeld unterschiedlichster Techniken. Das Projekt ist eine gemeinsame Initiative des Bad Stebener Grafikmuseums mit dem Museum für Archäologie und Geschichte. Kuratiert wird es von der Graphikkünstlerin Dr. Barbara Kasperczyk-Gorlak. Der Künstler Lech Polcyn hat ein 3D-Projekt mitgebracht. Mit Hilfe einer „VR“– (virtual reality) Brille wird seine Druckgraphik geradezu lebendig und greifbar. „Die Ausstellung ist ein Beleg dafür, daß die Druckgraphik nie aus der Mode und nie ans Ende ihrer Möglichkeiten kommen wird“, sagt Stefanie Barbara Schreiner am Ende eines langen Tages. Dann tritt sie die Rückreise an. Danzig – Bad Steben. Im Gepäck hat sie jede Menge neue Kontakte in eine aufblühende, polnische Kunstszene, von denen einige Vertreter wohl demnächst ihre Arbeiten in Bad Steben zeigen werden. Und Zuversicht.

Stefanie Barbara Schreiner hat mit ihrem Museum in Bad Steben eine Plattform für internationale Kunst geschaffen.
Stefanie Barbara Schreiner hat mit ihrem Museum in Bad Steben eine Plattform für internationale Kunst geschaffen.

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