Brieschdi – Entdeckungstour in altfränkischer Idylle
Die Prichsenstadt Classics als Leitfaden touristischer Akzente
Text: Antje Roscoe | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Die Fahne mit dem Turm und dem markgräflich ansbachischen Löwen ist gehißt. Die Cafés auf Luitpold- und Schulinstraße haben bestuhlt. Und sie haben Gäste, die die goldglänzende Sonne genießen, kaum daß der April noch einmal ganz wie in alten Zeiten eisige Schauer durchgejagt hat.
Frühlingsgezwitscher in den Stadtmauergärten, wo schon überbordend alles blüht, was Maiengrün Farbe verleiht. Das Kopfsteinpflaster glänzt. Es ist bereit, Kulisse für die aufpolierten blechernen Lieblinge zu sein, die sich erfolgreich Jahrzehnte in Garagen versteckt haben, um an Tagen wie diesen, Lächeln und Erstaunen in die Gesichter der Schaulustigen zu zaubern.
Wenn die Altstadt für die Prichsenstadt Classics öffnet, beginnt die Saison, und es kommt Leben in die Gassen. Immer die ersten zu sein unter den Oldtimer-Treffen landauf landab heißt, die Gunst der Stunde zu nutzen und die ganze Vorfreude auf die Freiluftsaison ins Städtchen zu holen. Das ist nicht einfach irgendein Treffen, denn es hat das Flair des Offenen, der Lässigkeit, mehr noch des Genießens, als das Sehen und Gesehen werden. Dandy und Rockabilly ziehen gleichauf. Der Manta-Schrauber und die Isetta-Fahrerin haben keine Berührungsängste. Gospelchor und Rock’n’ Roll – das kleine alte Städtchen hat alles schon gesehen und macht alles mit. Qualität muß es haben.
200 Oldtimer und junge Klassiker haben zuletzt bei den Prichsenstadt Classics Aufstellung genommen. So viele wie nie in all den Jahren seit 2007. Es mußte auch die vielversprechende Kulisse vor dem Westtor in Kauf genommen werden. Ist das grenzwertig? Wer kommt, will die altfränkische Heimeligkeit des Städtchens mit dem Fachwerk, mit Treppengiebeln, schmiedeeisernen Auslegern, klassisch fränkischen Hofeinfahrten und geheimnisvollen Kellerabgängen genießen, eingefangen von der Stadtmauer und ihren Türmchen. Was soll man tun, wenn man mit nur 1000 Leuten eines der kleinsten Städtchen überhaupt ist? Lächeln hilft. Es ist die Atmosphäre einer mittelalterlich geprägten Kleinstadt, die zählt. Die ist einzigartig und nicht beliebig erweiterbar. Auch mit zehn Ortsteilen aufzutrumpfen, verschafft der Kommune nur gut 3 000 Einwohner.
Alte Reben und Zukunftsweine
Für die samstägliche Ausfahrt bei den Prichsenstadt Classics gilt ein Limit von 30 Fahrzeugen, damit es überschaubar und gemütlich bleibt. Es geht darum, die Landschaft und ihre kulturellen Schätze zu genießen. Kein Wettbewerb, keine Rallye – purer Genuß! Natürlich gehört eine besondere Kulinarik dazu und ausgesuchte Weine. Da ist Prichsenstadt nicht verlegen, auch wenn es keinen abenteuerlichen Steilhang im Maintal hat. Der Wein-Tourismus ist eine feste Größe wie das Lächeln der Weinprinzessin, die gerade Merle I. heißt.
Er reicht von den umfunktionierten Faßdauben, die den Strandkorb ersetzen über den Spazierweg „Prichsenstädter RebenSlauf“ bis zu überregional bekannten Weingütern. So bewirtschaftet beispielsweise auch das Weingut Stich im Löwen aus Bürgstadt zwei Hektar Prichsenstädter Weinberge. Verbunden sind auch das Schloßgut Bimbach mit seinen Weinlagen mit dem Sitz des Weinguts Dieter Laufer auf Burg Lisberg. Alte Reben und Zukunftsweine gehören zum Repertoire der sehr außergewöhnlichen Anziehungspunkte vor Ort, die für die Innovationskraft des traditionellen Weinbaus stehen. Der Diplom-Önologe Harald Wörner arbeitet beispielsweise „bioenergetisch und kosmobiologisch“ und hat mit dem Schloß-Hotel in Neuses am Sand auch eine der besonderen Unterkünfte zu bieten. Ina Keßler wiederum ist zum fünften Mal in Folge unter den zehn besten Winzerinnen international. Und ihr Weingut gilt auch beim Silvaner als eines der besten deutschlandweit. Sie sprechen noch einmal ganz spezielle Zielgruppen an, freut sich Bürgermeister René Schlehr. „Der Publikumsmagnet ist aber natürlich das Prichsenstädter Weinfest.“
Das Besondere zu finden und Akzente setzen, ist auch die Strategie von Tourismus-Leiterin Katharina Pachtner, die die vorhandenen Akteure bündelt, damit sie als touristische Destination voneinander profitieren. Wenn man genau zwischen Main und Steigerwald liegt, wenn die Bundesstraßen B22 und B286 nördlich und östlich vorbeiziehen. Da kann es in weitem Umkreis noch so viele Schilder „Spargel aus Prichsenstadt“ geben – der Bürgermeister bedauert trotzdem, daß es keine Ausfahrt „Brieschdi“ gibt, wie das ursprünglich „Brisendorf“ genannte Örtchen heißt, wenn man dort zu Hause ist. Es wäre vielleicht mehr an Entwicklung möglich gewesen, wenn die Erreichbarkeit besser wäre. Da sei seiner Meinung nach eine historische Chance verpaßt worden. Historisch hatten die Straßen allerdings immer wieder für große Unbill gesorgt, wenn marodierende Heere durchzogen. Zumal sich das Städtchen als ansbachisch-lutherische Enklave zwischen dem Erzbistum Bamberg und dem Hochstift Würzburg behaupten sollte. Die evangelisch-lutherische Stadtkirche ist ein hellstrahlendes Beispiel des Markgrafenstils mit Doppelemporen und der Orgel ebendort auf der Empore hinter dem Hochaltar aufragend.
Gebackene Nachtwächterle
Wer weiß, wofür es gut ist, nicht ganz in der ersten Reihe zu stehen, wenn man auf Tourismus setzt? Nicht einmal das Rathaus steht in Prichsenstadt in der ersten Reihe. Vom Karlsplatz die Schulinstraße entlangblickend, sucht man vergeblich etwas deutlich Repräsentatives, was nach Rathaus aussieht. Eher bodenständig, funktional, wie ein Geschäftshaus anmutend, steht das Rathaus zurückgesetzt und offenbart eine eher pragmatische Geschichte, wo nämlich das Dachgeschoß noch vor 160 Jahren vermietet wurde, zum Hopfen und Wäsche trocknen. Feuerlöschspritzen und das erste Elektrizitätswerk waren hier im freundlich ockergelben, reich gegliederten Fachwerk untergebracht. Selbst der Nachtwächter hatte schon 1682 eine Wachstube beziehen dürfen. Seit 35 Jahren fasziniert jetzt Helmut Schloßnagel in dieser Tradition mit Laterne, Hellebarde und der alten Weise „Hört ihr Leute, …“ Vielleicht liegt sein Geheimnis auch darin, daß sich ein Nachtwächter die Leute nicht mehr auf der Straße zusammensucht. Heute nimmt er sie mit auf die Tour, sucht sie in den Gasthäusern auf und gilt als Original – unverzichtbar, um touristisch im Gespräch zu bleiben. Es gibt ihn bei der Bäckerei auch gebacken als „Nachtwächterle“ – ein Medaillon wie eine Auszeichnung. Bürgermeister dagegen müssen den Leuten oft noch hinterherlaufen, mühen sich in alle Richtungen um das Städtchen mit seiner fränkischen Kleinteiligkeit und klammen Kassen in seiner Idylle, die Chance und Herausforderung zugleich ist.
Das Pendant zum Rathaus zeigt deutlich mehr Luxus im verzierten Fachwerk mit geschnitzten Löwenköpfchen und Rosetten. Nach dem Freihof von 1592 ist die ganze Gasse benannt. Seine Eigentümer reichten von den Castellern bis zum Freistaat Bayern. Ein 4-Sterne Boutique-Hotel ist er heute und gerne auch Zufluchtsstätte für Hochzeitspaare und ihre Festgesellschaft. Von Agenturen bundesweit beworben, buchen Paare gerne das Gesamtpaket: Prichsenstadt in Weiß. Um die 40 Trauungen nimmt der Bürgermeister im Jahr vor. Drei Viertel, so Schlehrs Schätzung, entfallen auf Hochzeits-Touristen. Klar, daß da auch am Wochenende im Standesamt gearbeitete wird: Trausamstage als aktive Tourismus-Förderung. Foto-Motive jedenfalls muß man nicht lange suchen. Da bietet sich die Altstadt wie ein natürliches, nur behutsam erneuertes Atelier mit Weinstöcken und üppig blühenden Rosenbüschen an den Fassaden für romantische Szenen an. Die Wassergräben vor den Toren und die schützenden Seelein blieben erhalten – ein perfekter Übergang in die Natur.
Kleinster Hochschulstandort Bayerns
Wie eine rollende Gästeführung ist die Ausfahrt der Prichsenstadt Classics am Samstag organisiert. „Sie ist strikt persönlich gehalten. Wir wollen den Leuten zeigen, wie schön die Gegend ist“, so Pachtners Prämisse. Das leichte Auf und Ab der Landschaft, kleine Museen wie die Aagland‘sche Sammlung von Kutschen, die Kirchen mit ihren berührenden Kunstwerken, zahlreiche Schlösser liegen ringsum an der Strecke. „Dorfschätze“ heißt die Allianz der umliegenden Kommunen vielversprechend und René Schlehr ist zugleich ihr Vorsitzender. Die touristische Infrastruktur weiterzuentwickeln, steht auf der Agenda. Errungenschaften wie der Dorfschätze-Express und der Fahrdienst „call heinz“ erweitern den öffentlichen Nahverkehr – nicht nur auf die touristisch interessanten Punkte. Rad- und Wanderwege wurden neu konzipiert. Die Kunst ist, sie so zu führen, daß eine gastronomische Versorgung eingebunden ist. Sie ist Schlehrs Sorgenkind, weil der allseits beklagte Personalmangel die vorhandenen Kapazitäten der Gasthäuser erheblich mindert. Ein klassisch fränkisches Mittagessen sei nicht mehr ständig überall zu bekommen. Das enttäuscht, und die Gäste müssen flexibel sein und eben auch mal einen Schlenker in einen anderen Ort machen. Eine Hoffnung liegt für ihn auf der Neueröffnung des Goldenen Adler, der jahrelang geschlossen war und nun mit Biergarten wiedereröffnet.
Prichsenstadt gilt immerhin auch als kleinster Hochschulstandort Bayerns. Gertrud Leisten kennt als Managerin der Natura-Akademie für Gesundheit und Soziales mit dem Diploma-Hochschul-Standort im Ortsteil Laub die knappen Kapazitäten nur zu gut. Während der Studienzeiten kommen wöchentlich durchschnittlich 30 Studierende und namhafte Dozentinnen und Dozenten aus ganz Deutschland nach Laub. Die jeweiligen, in Präsenz stattfindenden Studienmodule bedingen hier einen gewissen Bildungstourismus. Unterkunft und Verpflegung sind gefragt und teilweise nur im weiteren Umkreis zu finden. Gertrud Leisten sieht hier Entwicklungspotential. Während sie sich auf den Ausbau der Akademie konzentriert, ist diese inzwischen auch zu einer beliebten Pausenstation für Radtouristen geworden. Direkt an der Schwarzach gelegen, haben Seminargebäude und Kräutergarten zwar vor zwei Jahren durch das verheerende Hochwasser massive Schäden erlitten. Die Idylle ist aber beinahe wiederhergestellt und Leisten plant, einen noch aktiveren Part für den Radtourismus zu übernehmen. Das neue Seminargebäude ist auf Stelzen gebaut und hat damit einen überdachten Bereich für eine Outdoor-Küche, Freizeitaktivitäten und eine Automaten-Versorgung. Bei den Prichsenstadt Classics ist man inzwischen zu fränkischen Leibspeisen und einem Gläschen Wein übergegangen. Die Tourismus-Saison ist erfolgreich gestartet. Ein Tänzchen auf dem Kopfsteinpflaster? Auf den Kreisheimattag 2024 in Prichsenstadt wird man sich als nächstes vorbereiten, zusammen mit Prixi. Das kleine Phantasiewesen mit dem bunten Büschelschwanz – eine Farbe für jedes Ortsteil – bahnt gerade spielerisch eine gemeinsame Identität an. Diese sei von jeher überall stark ausgeprägt, sagt Bürgermeister Schlehr, dem es nun gelingen will, mit der Marke „Prixi“ die vorhandenen tollen Potentiale stärker zu bündeln und zu nutzen. So kurios es klingt: Prichsenstadt ist gerade auf Selbstentdeckungstour und entdeckt dabei jede Menge neue „Dorfschätze“. Mit dabei sind: Altenschönbach mit 392 Einwohnern, Bimbach 128, Brünnau 153, Järkendorf 114, Kirchschönbach 413, Laub 317, Neudorf 138, Neuses am Sand 94, Stadelschwarzach 455, Ilmbach 5 und das alte Städtchen Prichsenstadt, 1007 Einwohner.