Als die Griechen sich zum Esel machten
Vom schätzbaren und unschätzbaren Wert einer Antikensammlung im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg
Text: Elke Herbst | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Direkt am Eingang zur Antikensammlung des Martin von Wagner Museums in der Würzburger Residenz findet man einen Spendenaufruf, um 80 Ausstellungsstücke aus einer Privatsammlung für das Museum zu retten. Der Leihgeber ist vor etlichen Jahren verstorben und der Erbe spielt nun mit dem Gedanken, die Leihgaben zu veräußern. Dafür räumt er dem Museum nicht nur ein Vorkaufsrecht ein, sondern auch 10 Jahre Zeit, um die Kosten dafür aufzubringen.
Bisher sind ca. 20 000 € an Spenden eingegangen. Der geschätzte Gesamtwert der Sammlung liegt bei knapp einer Million Euro, wobei einzelne Stücke daraus kunsthistorisch von nahezu unschätzbarem Wert sind, da es sie auf der Welt tatsächlich nur noch einmal gibt und sie in der Fachliteratur mit Verweis auf ihren Ausstellungsort Würzburg bekannt sind. Bis nach Australien und USA gibt es Kenntnis über Objekte aus dieser Sammlung. Wie kommen derart hochwertige Stücke in das Universitätsmuseum einer doch eher kleineren Großstadt?
Das Bildungsbürgertum fehlt
Die Antwort liegt in der Freundschaft, die Erika Simon, die ehemalige Museumsleiterin, mit dem Sammlerehepaar pflegte. So kamen die Objekte in den 1980er Jahren als Dauerleihgaben ins Martin von Wagner Museum. Diese Praxis ist gar nicht selten in Museumskreisen und oft gingen solche Leihgaben nach dem Ableben der Sammler in den Museumsbesitz über. Aus Gründen der Freundschaft gab es auch keine Verträge. Nicht vertraglich geregelte Dauerleihgaben kann man vor dem Hintergrund, daß dem Universitätsmuseum kein Ankaufsetat zur Verfügung steht, besser verstehen. Ca. 200 von 10 000 Ausstellungsstücken hängen an privaten Gönnern.
Jochen Griesbach-Scriba, der heutige Leiter der Antikensammlung des Martin von Wagner Museums hat bereits die Zusage des Kanzlers der Julius-Maximilians-Universität, daß er ein Objekt der Sammlung für das Museum erwerben kann. Es handelt sich dabei um ein Gefäß, das ein Satyrspiel abbildet. Die Weisen von Theben sitzen der Sphinx gegenüber und sollen ihr Rätsel lösen – eine Verballhornung des Mythos. Die Forschung ist sich sicher, daß sich dieses Vasenbild auf das Theaterstück „Sphinx“ des Dichters Aischylos bezieht (Uraufführung 467 v. Chr.), was es somit einmalig macht. Solche Objekte veranschaulichen den Wert der Sammlung für das Martin von Wagner Museum.
Prof. Griesbach-Scriba ist sich sicher, daß dem Erben erst allmählich klar werden wird, wie schwierig es sein wird, die Sammlung zu veräußern. Der Kunsthandel mit Antiken ist problembehaftet. Es gibt Ausfuhrvorschriften bis hin zu -verboten, Herkunftsländer fordern ihre Artefakte zurück, die Provenienz der Waren muß geprüft werden, ist aber oft nicht zu ermitteln und vieles mehr. Griesbach-Scriba spricht auch von einer Zeitenwende in Museumskreisen, denn durch den Generationenwechsel gibt es oft zu den gesammelten Objekten keine emotionale Bindung mehr. Das Bildungsbürgertum fehlt, zu dem das Anlegen von Sammlungen und prestigeträchtigen Objekten gehörte. Die heutige Generation lebt nach anderen Maßstäben und oft fehlt es schlicht an Kenntnissen zu Sammlungen der Vorväter. Daher wird wohl in Zukunft oft der Wunsch nach Veräußerung gesammelter Objekte laut werden. Griesbach-Scriba sieht seine Aufgabe auch darin, hier Brücken zu bauen und aufzuklären.
Medusa mit Bart
So eine Brücke ließe sich z. B. mit der Trinkschale bauen, die gleich zu Beginn der Antikensammlung auffällt. Auf ihrem Grund schaut einen eine häßliche, die Zunge bleckende Fratze an. Während derartige Trinkschalen beim griechischen Symposion üblich waren, ist diese besonders, da sie eine frühe Darstellung der Medusa zeigt, nämlich einen weiblichen Kopf mit Bart. Erst später wurde Medusa als attraktive und so auch gefährliche Frau dargestellt. Die Schale dient wunderbar als Einstieg in eine Führung durch die Antikensammlung besonders bei Schulkindern. Anschaulich wird erklärt, wie die Schale beim griechischen Symposion von Mund zu Mund ging und dem letzten Trinker einen ordentlichen Schreck einflössen sollte, denn der böse Blick der Medusa konnte einen – laut Mythos – zu Stein erstarren lassen. Das Museum arbeitet eng mit den Würzburger Schulen zusammen, um eine frühe Begegnung mit der Antike zu ermöglichen und dafür ein Bewußtsein zu schaffen. Wenn der Grundstein nicht so früh gelegt wird, hat man das Interesse der Menschen für diese Zeit meist verloren, weiß Prof. Griesbach-Scriba.
Ein kunstvoll gefertigter und bemalter Trinkbecher in Form eines Hirschkopfs samt Geweih verweist ebenfalls auf das griechische Symposion, dem geselligen Trinkgelage der Antike, bei dem sich der Zecher, wenn er den Becher zum Mund führte, die Maske des Tiers aufsetzte und sich damit, wie in diesem Fall, „zum Hirsch“ machte. Andere, ähnliche Trinkgefäße der Antike zeigen einen Eselskopf und weisen so darauf hin, wie die Griechen ihr Symposion sahen: Man wollte Spaß haben, miteinander lachen und zeigen, daß man durchaus in der Lage war, sich humorvoll zu erniedrigen oder mal aus der Rolle zu fallen.
Warten auf die Reaktion des Erben
Ein weiteres Objekt mit Alleinstellungsmerkmal ist eine tönerne, schwangere Puppe. Dieses Objekt trägt für Prof. Griesbach-Scriba nicht nur den emotionalsten Wert, sondern ist ein bedeutendes Objekt seiner Forschung. Getöpferte Puppen waren in der Antike keine Seltenheit, aber diese zeichnet sich besonders dadurch aus, daß man ihr die Bauchdecke abnehmen kann und darin ein herausnehmbarer Fötus zum Vorschein kommt. Dennoch wurde die Puppe nicht mit einem dicken Bauch getöpfert, sondern mit einer flachen Bauchdecke. Sie trägt einen reich verzierten Kopfschmuck, der mit Goldblättchen ausgeschmückt war. Über die Brust wurde ein Kreuzband gearbeitet, das ebenfalls noch Goldreste aufzeigt. Es weist daraufhin, daß Mädchen die Puppe an- und auskleiden sollten. Die Arme fehlen, aber man sieht Löcher an den Schultern, in denen Scharniere angebracht waren, mit denen die Arme bewegt werden konnten. Die Mädchen der Antike sollten so spielerisch in ihre Rolle als Frau und das Schönheitsideal ihrer Zeit eingeführt werden. Die Frau ist zwar für den Nachwuchs zuständig, dabei bleibt sie aber elegant, schlank und würdevoll.
Der Verlust solcher Objekte wäre immens. 10 der 80 Artefakte sind dabei wegen ihrer Seltenheit und Anschaulichkeit für das Martin von Wagner Museum von besonderer Bedeutung. Anschaulichkeit ist ein hohes Gut für ein Museum. Die Spendenaktion führte bereits dazu, daß von Expertenseite Griesbach-Scribas Schätzwert der Sammlung bestätigt werden konnte. Alle warten nun gespannt auf eine Reaktion des Erben, in der er den Betrag festlegt, den er mit der Sammlung erwirtschaften will und Details zu den gewünschten Abläufen nennt.
Auf die Bevölkerung angewiesen
Der Spendenaufruf könnte ein neues Bewußtsein der Würzburger Bürger für die Schätze der Antikensammlung oder die Existenz des Museums als solches wecken. Oft denkt man als Bürger einer Stadt, daß man zu dem ein oder anderen Museum ja noch gehen könnte und schiebt es so lange hinaus, bis es irrelevant wird. Während der Pandemie gab es z. B. eine Ausstellung zur Archäologie der Musik, die laut Griesbach-Scriba eine der interessantesten Ausstellungen bundesweit war mit einer Berichterstattung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Das muß man als Universitätsmuseum erst einmal schaffen,“ so der Professor.
Es ist um so erstaunlicher, da das Museum nicht im Vorbeigehen oder automatisch durch einen Besuch des UNESCO-Weltkulturerbes Residenz gefunden werden kann. Der Eingang befindet sich im zweiten Innenhof des Südflügels im dritten Stock. Die Besucher verirren sich also nicht zufällig in diesen Teil der Residenz, sondern kommen gezielt und mit einer fachlichen oder privaten Neugierde. Gleichwohl gibt es eine Internetseite des Museums, auf der sich auch internationale Interessenten über vergangene und zukünftige Ausstellungen informieren sowie den Spendenaufruf für die Privatsammlung entdecken können. Das erklärt die bereits erfolgte internationale Resonanz zur Spendenaktion.
Prof. Griesbach-Scriba ist auf die Unterstützung durch die Bevölkerung angewiesen; ihm ist an einer zeitnahen Lösung gelegen, die allen Seiten zuträglich ist. Natürlich möchte er, daß das meiste vor Ort verbleibt. Unter Umständen spielt ihm die Tatsache in die Hände, daß die Stücke nur schwer auf dem Kunstmarkt veräußerbar sind. Vielleicht erkennt der Erbe, daß er nicht den Erlös für die Stücke erzielen kann, den er sich vorgestellt hat, und beläßt die Leihgaben im Museum. Eine weitere Lösung könnte von Privatleuten kommen, die ihr Interesse an der Sammlung bereits bekundeten. Mit ihnen könnte der Leihstatus der Objekte für das Museum verlängert werden.
Spendenkonto
Wer den Ankauf der Dauerleihgaben mit seiner Spende unterstützen möchte, kann dies mit einer Überweisung auf folgendes Konto tun:
Julius-Maximilians-Universität Würzburg,
IBAN DE09 7905 0000 0000 0988 22,
BIC: BYLADEM1SWU,
Kennwort „Antike“.
Kontakt
Prof. Dr. Jochen Griesbach-Scriba,
Martin von Wagner Museum –
Antikensammlung,
Telefon: +49 931 31-89453,
jochen.griesbach@uni-wuerzburg.de