Ausgabe September / Oktober 2020 | Landleben

Goodbye Mais – Hello ­Veitshöchheimer Hanfmix!

Jetzt blüht uns was! Die Energiewende wird wild, bunt und stark! Zumindest sagen das die neuesten Forschungsergebnisse der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim (LWG). Die hat einen neuen Goldstandard in Sachen Energiepflanzen entwickelt. Der Veitshöchheimer Hanfmix leistet einen Beitrag zur Biodiversität, ist mit seinem Blütenreichtum ein ideales Refugium für Bienen, bietet Lebensraum für Wildtiere und kann zudem energieeffizient und wirtschaftlich in der Biogasanlage verwertet werden.

Text: Sabine Raithel | Fotos: Weissbach / N-ERGIE (Michael Enderlein)

Es summt, brummt und surrt auf dem Gelände der Landwirtschaftlichen Lehranstalten des Bezirks Oberfranken in Bayreuth. Unter dem fachkundigen Blick vom Leiter der landwirtschaft­lichen Betriebe und Gutsverwalter, Martin Höpfel, gedeiht hier der „Veitshöchheimer Hanfmix“.

Die Wildpflanzenmischung, die seit 2017 auf den Bayreuther Versuchsfeldern erprobt wird, steht im Mittelpunkt eines Forschungsprojektes der ­Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim (LWG). Die Wildpflanzenmischung besteht aus 30 ausgewählten ein-, zwei- und mehrjährigen Pflanzenarten, darunter massewüchsige Stauden, blütenreiche Begleitpflanzen sowie heimische und fremdländische Wild- und Kulturpflanzen wie ­Faserhanf, Mohrenhirse, Große Klette und Fenchel. Die hochwachsende, ca. zweieinhalb Meter hohe Blütenpracht sieht nicht nur wunderschön aus und würde jedem Liebhaber eines naturnahen Gartens zur Freude gereichen – sie hat es auch in sich. Sie ist ein hervorragendes Refugium für Bienen und andere Insekten und ein schützender Lebensraum für Reh, Hase, Igel & Co. Obendrein wirken die Pflanzen als natürlicher Filter für den im Erdreich enthaltenen Stickstoff. Doch das ist längst nicht alles: Die Blühmischung baut eine innovative, ökologische und ökonomische Brücke zwischen A und B, will heißen: zwischen Artenvielfalt und Biogas.

Lückenfüller im Stromsystem

Für Wind und Sonne muß niemand bezahlen, und es gibt sie praktisch unbegrenzt. Windräder und Solaranlagen werden deshalb künftig die „Lasttiere“ des Stromsystems sein. Doch sie haben einen Nachteil: Sie stehen nicht immer zur Verfügung – und vor allem nicht immer dann, wenn die Nach-frage nach Strom vorhanden ist. Im zukünftigen Stromsystem muß es deshalb Technologien geben, die einspringen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Hier kommt Biogas ins Spiel: Biogas kann zuverlässig und ständig erzeugt und gespeichert werden. Biogasanlagen eignen sich deshalb perfekt als Lückenfüller in der regenerativen Energiewende. Dabei geht es nicht nur um die Stromversorgung, sondern in gleichem Maße um die regenerative Wärmeerzeugung. Mehr als die Hälfte unseres jährlichen Energieverbrauchs verwenden wir zum Heizen. In Biogasanlagen entsteht Wärme quasi als Nebenprodukt der Stromerzeugung. Neben Strom und Wärme kann Biogas zudem auch Kraftstoff liefern. Dafür wird das Gas nicht direkt vor Ort in einem Blockheiz-kraftwerk verstromt, sondern aufbereitet und dann ins Gasnetz eingespeist.

Um Biogas zu erzeugen, wird „Substrat“ benötigt. Neben Gülle und biogenen Abfällen sind es v. a. Energiepflanzen, die in den Anlagen vergoren werden. Auf insgesamt 1,55 Mio. Hektar werden in Deutschland aktuell Energiepflanzen für den Einsatz in Biogasanlagen angebaut. Das sind knapp 13 Prozent der Ackerfläche. Etwa 33,4 Terawattstunden klimafreundlichen Strom produzieren die gut 9 500 Anlagen und decken damit den Bedarf von rund 9,5 Mio. Haushalten. Neben Mais haben sich vor allem Getreide-Ganzpflanzen-Silagen, Grünroggen und Hirse einen Platz unter den pflanzlichen Biogassubstraten erkämpft. Auch Zuckerrüben werden in den letzten Jahren vermehrt für die Biogasproduktion genutzt.

Pflanzenvielfalt statt ­Monokultur

Parallel dazu werden zunehmend alternative Energiepflanzen für Biogasanlagen angebaut – mit Vor- und Nachteilen für die Betreiber, für die Bevölkerung sowie für die Wildtiere und Insekten. Einer der Nachteile: Für den Betreiber einer Biogasanlage bedeutet der Anbau von Blühflächen statt Mais Einnahmeverluste aufgrund der geringeren Gasausbeute pro Hektar. Die Vorteile: u.a. ein Plus an Biodiversität, Artenerhalt, Insektenschutz und ein deutliches Minus beim CO2-Ausstoß.

Mit der Durchwachsenen Silphie hat die Branche für manche Regionen eine auch ökonomisch passable Alternative gefunden. Die mehrjährige Becherpflanze blüht von Juni bis September und kann ähnliche Gaserträge pro Hektar erreichen wie Mais. In bundesweiten Projekten wird außerdem der Anbau einer Mischung verschiedener mehrjähriger Blühpflanzen für Biogasanlagen getestet. Untersuchungen zeigen dort ein deutlich höheres Aufkommen an Insekten, Vögeln und Wildtieren als in klassischen Anbausystemen. Der „Veitshöchheimer Hanfmix“ gehört dazu und könnte hier zum Goldstandard avancieren. Biodiversität und Produktivität stehen hier im Vordergrund.

Martin Höpfel

Die Mischung ist auf fünf Jahre ausgelegt und an den Klimawandel angepaßt, so daß auch in niederschlagsarmen Zeiten gute Trockenmasseerträge möglich sind. Und auch sonst punktet die Mischung im Vergleich zum Silomais. Der Veitshöchheimer Hanfmix produziert Blüten von Ende Mai bis zur Ernte Ende Juli. Die Nachblüte beginnt ca. drei bis vier Wochen nach der Ernte und liefert somit eine wichtige Nahrungsquelle für Blütenbesucher vor allem von August bis September, einer Zeit, in der das Nahrungsangebot für Bienen und andere Insekten – verschärft durch den Klimawandel – sehr begrenzt ist. Außerdem liefern die Pflanzen Nahrung und Schutz für Wildtiere im Winter. Untersuchungen zeigen, daß der Veitshöchheimer Hanfmix in der Ertragsleistung hinter Mais liegt. Allerdings benötigt er außer bei Düngung und Ernte keinen weiteren Arbeitseinsatz, so daß jedes weitere Standjahr seine Rentabilität erhöht. Zudem trägt die Blühmischung nachhaltig dazu bei, die Nitratwerte im Boden zu verringern.

Der Veitshöchheimer Hanfmix steht für Pflanzenvielfalt statt ­Monokultur. Und er ist eine zukunftsweisende Antwort auf die strittige „Teller-Tank“-Diskussion: Biogasanlagen „verdauen“ schließlich alle Arten von Pflanzen und nicht nur die, die für die menschliche oder tierische Ernährung gezüchtet wurden. Mit Blühpflanzen auf dem Acker wird Artenschutz gleich doppelt befördert: Mit neuen Lebensräumen für viele Arten und zur Bekämpfung des Klimawandels mit CO2-neutraler Energie-Erzeugung.

 


 

Erneuerbare Energien ­blühen auch in ­Mittelfranken

Auf den Veitshöchheimer Hanfmix setzen auch die Nürnberger N-ERGIE AG, die Mittelfränkische Gesellschaft zur Förderung erneuerbarer Energien und nachwachsender Rohstoffe e. V. (MER) sowie die Lehranstalten in Triesdorf, eine Einrichtung des Bezirks Mittelfranken. Gemeinsam haben die Unternehmen unter dem Titel „Blühpflanzen führen Biogas und Artenvielfalt zusammen“ ein Projekt für mehr Biodiversität beim Betrieb von Biogas-Anlagen ins Leben gerufen. „Biogas-Anlagen sind ein wichtiger Teil der regionalen Energiewende und können durchaus für bunte Tupfer in der Landschaft und eine lebendige Tierwelt sorgen“, erklärt Josef Hasler, Vorstandsvorsitzender der ­N-ERGIE. „Wir bringen mit diesem Projekt erneuerbare Energien und Ökologie zusammen – und zwar aus dem Bewusstsein heraus, dass wir bei unserem Engagement für Klimaschutz nie den Schutz unserer Natur aus den Augen lassen dürfen.“ Über drei Jahre hinweg fördert ­N-ERGIE den Anbau von alternativen Energiepflanzen in der Region.

(v.li.): Armin Kroder (Bezirkstagspräsident von Mittelfranken), Norbert Bleisteiner (Leiter des Fachzentrums für Energie und Landtechnik in Triesdorf), Markus Sandmann mit seinem Sohn (Landwirt und Projekt-Teilnehmer), Josef Hasler (Vorstandsvorsitzender der N-ERGIE), Reinhard Streng (stellvertretender Landrat für den Landkreis Neustadt a.d. Aisch-Bad Windsheim) und Manuel Westphal ­(Vorsitzender des MER und Landrat für den Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen)

Auf insgesamt 20 Hektar säen neun Landwirte den durch die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau entwickelten Veitshöchheimer Hanfmix aus, der für eine mehrjährige Blühfläche mit üppigem Nahrungsangebot für Insekten sorgt. Untersucht werden dabei zwei Aspekte: einerseits, wie sich die Blühpflanzen unter verschiedenen regionalen Bedingungen idealerweise für die Biogas-Anlagen einsetzen lassen, andererseits, welchen Effekt sie auf die Population von Insekten, Vögeln und Kleintieren sowie die Boden- und Grundwasserqualität haben. Armin Kroder, Bezirkstagspräsident von Mittelfranken, resümmiert: „Regio­nalität, Klimaschutz und Biodiversität miteinander zu verbinden, ist nicht nur ein gesellschaftlicher Wunsch, sondern gleichzeitig ein neuer Denkansatz für die zukünftige Ausrichtung der Biogasbranche. Mit dem Projektvorhaben ‚Blühpflanzen führen Biogas und Artenvielfalt zusammen‘ werden neue Akzente gesetzt, um die regionale Bedeutung von Biogasanlagen zu stärken und gleichzeitig den Nutzen für die Allgemeinheit herauszustellen.“

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