Liebe Leserin, lieber Leser,
Immerhin hat es wenigstens halbwegs vertretbare 300 Jahre gedauert, bis in den 1920er Jahren ein Bad Kissinger Landrat den literarisch ambitionierten Pfarrer Ludwig Nüdling (1874 – 1947) anwies, aus einem nur noch vage erinnerten Kriegsschrecken eine Touristenattraktion – wenn auch religiös verklärt – zu dichten. Das fränkische Heimatspiel „Die Schutzfrau von Münnerstadt“ (unser Titelbild) erzählte nun auch in diesem Jahr aus dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648). 1927 fand die Erstaufführung statt, damals wie heute mit lauter Laiendarstellern. Es sollte lokalgeschichtlichen Inhalts und von überörtlicher Bedeutung sein … und die zeitübergreifende Gültigkeit der christlichen Botschaft verkünden. Gut, etwas boshaft ausgedrückt, vor allem belegt es, daß die Menschheit (mit und ohne Christentum) über Jahrhunderte nichts dazugelernt hat. Im mittelalterlichen Münnerstadt rannten die Unschuldigen, Frauen und Kinder, eben vor der schwedischen Soldateska um ihr Leben, und ein gottesfürchtiger Pfarrer mußte ein Wunder erfinden, eine Schutzfrau, die die Kanonenkugeln auffing und Menschen und Stadt rettete, um der Geschichte annähernd Unterhaltungswert zu geben; heute sogar 400 Jahre später, in der Ukraine, in Palästina, im Libanon, in Myanmar, im Sudan, bald in Taiwan und/oder Korea (wo noch?), laufen die Menschen um ihr Leben, vor Bomben, Raketen und Panzern. Nur die Wunder bleiben aus! Aber vielleicht standen deshalb so manchem Zuschauer des Heimatspiels, man mag es kaum glauben, bei besonders ergreifenden Szenen, die Tränen in den Augen. Vielleicht ist vielen die Brisanz dieser Szenen in unserer Welt für einen kurzen Moment bewußt geworden – auch wenn es aberwitzig sein sollte, die Parallele über Jahrhunderte bis in unsere Tage zu dehnen. Wie war das: Parallelen treffen sich im Unendlichen? Vielleicht haben die großen und kleinen Laiendarsteller ja doch stellvertretend gelitten, sich so tief in ihre Rolle hineinversetzt und wirklich ein Wunder gegen den Krieg ersehnt. Vielleicht haben die Zuschauer gespürt, daß die Darsteller es ernst meinen. Besser kann Laientheater wohl nicht sein.
Wir wünschen viel Lesefreude mit unserer neuen Ausgabe, wieder einmal ein Wendeheft. Daß wir etwas später dran sind, hat gesundheitliche Gründe in unserem Team und ist zudem den Widrigkeiten der Presselandschaft geschuldet. Wir bitten um Verzeihung!