Ausgabe März / April 2019 | Geschichte(n)

Sagen aus Oberfranken

Der Burgsteinbecher – nacherzählt von Sabine Raithel

Text: Sabine Raithel

Im Frankenwald, im Westen des Landkreises Hof, an der Grenze des Landkreises Kronach und nahe dem Bundesland Thüringen, liegt die Gemeinde Geroldsgrün. Der Hauptort sowie die Ortsteile Langenbach und Steinbach sind eingebettet in sanfte Talmulden, umgeben von weitläufigen Höhenzügen. Die Ortsteile Dürrenwaid und Silberstein liegen am tiefeingeschnittenen Tal der Ölsnitz, das geprägt ist durch markante Felsformationen und steile Berghänge. Im Geroldsgrüner Forst, ca. zwei Kilometer südwestlich der Kirche, liegt auf ca. 600 Metern Höhe ein Bergsporn. Auf dem Plateau des Diabasfelsens errichtete Albert von Waldinrode in der Mitte des 13. Jahrhunderts eine befestigte Anlage, bestehend aus zwei Vorburgen und einer Hauptburg: Burg Wallenrode. Sie wurde in den Fehden zwischen den Bischöfen von Bamberg und den Orlamündern vermutlich bereits 100 Jahre nach ihrer Entstehung zerstört. Geblieben sind der Burgstein und eine Sage.

Eine arme Frau aus Geroldsgrün sammelte an einem heißen Sommertag im Wald Reisig. Dabei kam sie zum Burgstein, wo in alter Zeit eine Burg stand. Als ihr Korb gut gefüllt war, setzte sie sich, um vor dem beschwerlichen Heimweg noch ein wenig zu verschnaufen. Die Arbeit hatte sie sehr durstig gemacht. Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als einen frischen Trunk. Aber wer sollte ihr diesen schon reichen? Nachdem sie ihr schweres Reisigbündel wieder umständlich auf den Rücken gehoben hatte und aufschaute, sah sie vor sich einen Kelch, gefüllt mit köstlichem Wein. Sie wagte es nicht, danach zu greifen. Plötzlich hörte sie eine Stimme, die sie freundlich ermunterte zu trinken. Die Frau faßte sich ein Herz. Der Durst war zu groß. Sie leerte den Becher und stellte ihn dann ganz vorsichtig auf seinen Platz zurück. Dann machte sie sich eilig auf den Heimweg. Kaum war sie einige Schritte gegangen, rief ihr die Stimme nach: „Vergiß das Beste nicht!“ Die Frau wußte nicht, was damit gemeint war.

Noch am selben Abend erzählte sie die Geschichte dem Pfarrer. Der meinte, sie solle am nächsten Tag wieder zum Burgstein gehen und abwarten, was passieren würde. Wenn sie das Glück hätte, den Becher noch einmal zu sehen, dann solle sie ihn in Gottes Namen austrinken und mit nach Hause nehmen, so der Rat des Geistlichen. Und tatsächlich: Am nächsten Tag, nach getaner Arbeit, fand die Frau den Kelch am gleichen Platz. Wiederum trank sie ihn leer; dann trug sie den kostbaren Schatz vorsichtig nach Geroldsgrün. Die fromme Frau vermachte den Kelch der Kirche. Dort steht er noch heute. Auf der Innenseite des Fußes trägt er die Inschrift „Nic. Martius, P.F.H. 1655“.

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