Ausgabe März / April 2019 | Natur & Umwelt

Knackelbeere – Fragaria viridis

Verführung in Rot – aromatisch und gesund. Unsere Serie: Heilpflanzen vom Magerrasen

Text + Fotos: Sabine Haubner
Knackelbeere – Fragaria viridis

Diese Frucht ist eine ausgesprochene Verführerin. Doch anders als eine verderbliche Sirene hält sie, was sie verspricht. Die Erdbeere sendet verheißungsvolle Signale und liefert ihre Erfüllung beglückend und verläßlich gleich dazu. Rot und prall ver­locken ihre Früchte, sie abzupflücken. Und dann beim Hineinbeißen versetzt die erste Beere des Jahres, die in Wahrheit eine Sammelnußfrucht ist, ab Mai kann man mit ihr rechnen, in Genußekstase: Rund 360 Substanzen umfaßt ihre Aromapalette, darunter Vanille-, Pfirsich- und Ananasnoten.
Das Ergebnis ist überaus lecker, süß und lieblich, vor allem, wenn man sich den vier heimischen Wildformen widmet, zu denen auch die Hügelerdbeere, botanisch Fragaria viridis, zählt. Diese bildet auf den besonnten Kalkmagerrasen Mainfrankens ganze Teppiche aus. Der Volksmund nennt sie auch Knackelbeere, weil sich ihre reifen Früchte beim Pflücken mit einem hörbaren Knacken ablösen. Zusammen mit ihrer nahen Verwandten, der Walderdbeere, standen die Knackelbeeren schon auf dem Speiseplan der Steinzeitmenschen, wie archäologische Funde belegen. Die fanden das Geschmackswunder  offenbar so beeindruckend, daß sie die Früchte bald zum Beiwerk ihrer Götter bestimmten. Die Germanen weihten sie später ihrer Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin Freya. So belegt, wurden Erdbeeren im Mittelalter zum Sinnbild der Verführung und Sinnenlust: Ihre Überreichung galt als eindeutige sexuelle Anfrage. Das Christentum ersetzte die Zügellosigkeit durch Züchtigkeit und deutete die Pflanze in seinem Sinne als Mariensymbol und Zeichen der Reinheit und Demut um.

Die weißen Blüten symbolisierten die Unschuld der Jungfrau Maria, die roten Früchte ihre Liebe. Da die Pflanze Blüte und Früchte gleichzeitig tragen kann, stand sie für die jungfräuliche Mutterschaft Mariens. Ihren bodennahen Wuchs deuteten die Gläubigen des Mittelalters als Demut und Bescheidenheit, Tugenden, die sie gerne Maria zusprachen.

Gerade diese bodennahe Haltung aber legte ihr die kräuterkundige Äbtissin Hildegard von Bingen (1098 – 1179) negativ aus. In ihrem Werk „Physica“ schreibt sie: „Die Erdbeeren verursachen einen Schleim im Menschen und sie taugen weder für Gesunde noch für Kranke zum Essen, weil sie nahe an der Erde und in fauliger Luft wachsen.“    

Doch damit lag sie daneben, denn Erdbeeren kitzeln nicht nur den Gaumen, sondern sind auch gesundheitlich ein Gewinn. Sie enthalten eine heilsame Kombination aus viel Vitamin C, einem Vitamin-B-Komplex, Folsäure, antioxidativen Flavonoiden wie Catechin und Quercetin sowie den Mineralstoffen Eisen, Magnesium, Mangan, Zink und Kalium. Die Blätter punkten durch einen hohen Gerbstoffgehalt von bis zu 10 Prozent und Salicylsäure.

Daß sich diese Inhaltsstoffe positiv auf viele Beschwerden auswirken, wußten andere Ärzte des Mittelalters und das Volk sehr wohl. Der sogenannte Pseudo-Apuleus, eine Medizinschrift des 13. Jahrhunderts, empfahl die Frucht bei Milzschmerzen und Atembeschwerden. 300 Jahre später war an dem guten Ruf als Heilpflanze nicht mehr zu rütteln. 1588 verfaßte der pfälzische Leibarzt Tabernaemontanus in seinem Kräuterbuch ein ausführliches Erdbeer-Kapitel, in dem er die Frucht und ihr Kraut für viele Einsatzgebiete am Menschen empfiehlt: Blutarmut, Herzbeschwerden, Wurmbefall, Energiemangel, Gicht, Rheuma, Nervenschwäche und chronische Verstopfung,  Krankheiten der Leber, Milz und Nieren, aber auch Wunden. Die meisten dieser Anwendungen erscheinen heute plausibel. Die moderne Forschung konnte beispielsweise  den gerbstoffreichen Blättern eine beachtliche herzstärkende und antikanzerogene Wirkung nachweisen. Tabernaemontanus verrät am Schluß seines Kapitels noch ein Rezept für eingemachte Erdbeeren als aufbauende Krankenspeise. Dabei beklagt er, daß dieses köstliche Kompott eher „zu Banketten, Schlaftrüncken und der Wollust mehr gebraucht werden“, als daß damit den Kranken geholfen werde.

Da kommt einem direkt Hieronymus Boschs Triptychon „Garten der Lüste“ in den Sinn.  Auf dem mittleren Tafelbild locken überall die Früchte des flüchtigen Genusses. Im Zentrum steht eine überdimensionale Erdbeere, umringt von nackten Menschen, die von ihr ko­sten. Eine Szene wie eine Massenorgie und der erotische Einstieg ins Verderben. Die Hölle erwartet die lüsternen Liebenden auf dem rechten Flügel. Sie ist halt gar zu verführerisch, die Königin der Früchte!

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