Widerstand statt Ruhestand
Seit November 2017 gibt es sie in Deutschland. Zwischenzeitlich repräsentieren sie mit rund dreihundert Ortsgruppen und zigtausenden von Mitgliedern die größte Frauengruppe hierzulande: die OMAS GEGEN RECHTS. Auch in Franken gründen sich in immer mehr Städten und Kommunen Ableger dieser parteiunabhängigen Initiative. In Nürnberg, Würzburg, aber auch in Bamberg, Coburg, Hof …
Text: Gunda Krüdener-Ackermann | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Ursprünglich ausgehend von Österreich sind die protestierenden Omas über ihren Siegeszug im gesamten deutschsprachigen Raum mittlerweile zu einem weltweiten Phänomen geworden. Ob in Polen oder Italien oder auch in den USA als Raging Grannies.
Daß ältere Frauen aufstehen, sichtbar und laut werden, anstatt nach Verlust von Gebärfähigkeit und Attraktivität wie gewohnt verhuscht den Rückzug ins Private, Unsichtbare anzutreten, das erstaunt, ja verunsichert manche. Es paßt einfach nicht ins bislang bediente und erwartete Rollenklischee.
Aber was wollen diese streitbaren älteren Damen, die da mit Transparenten und Teppichklopfern demonstrierend auf die Straße ziehen? Für Randale just for fun sind sie dann doch zu alt – und vor allem zu weise. Was treibt sie also an? Der tiefere Grund ist eine gewisse Dankbarkeit, daß sie selbst ihre gesamte Lebenszeit in Frieden und Freiheit zubringen durften. Sie gehören zu einer deutschen Generation, die ein Leben lang in Sicherheit und ohne Krieg leben durfte. Dann aber kommt ihre Angst ins Spiel. Allerdings eine Angst, die nicht lähmt, sondern aktiv werden läßt: Denn das, was in unserer Gesellschaft so lange zuverlässig Geltung hatte, gerät gerade immer mehr ins Wanken, könnte für unsere Kinder und Enkel schon bald nicht mehr selbstverständlich sein. Es gibt so viele, die zwischenzeitlich an den Grundpfeilern unserer Demokratie sägen. Aus unterschiedlichsten Gründen – oft mit den wildesten Verschwörungstheorien, die in den Blasen der sozialen Medien pausenlos gestreut werden, die sich vom Gossip, dem bloßen Gerücht, allmählich zu monströsen unumstößlichen Glaubenswahrheiten auswachsen. Dagegen ist kein Kraut gewachsen und leider versagt da auch die bislang zumindest grundsätzlich vorhandene Diskursfähigkeit weiter Teile der Bevölkerung. Antisemitismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Company feiern ungeniert wieder fröhliche Urstände, so als hätte es die Katastrophe des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges in diesem Lande nie gegeben. Alles scheint wieder sagbar und salonfähig zu werden.
Für eine tolerante, weltoffene Gesellschaft
Soll das wirklich die Welt sein, die wir unseren Kindern und Enkeln zuzüglich der auf sie zukommende Klimakatastrophe wirklich hinterlassen wollen? Der Trend zu immer totalitäreren Strukturen, von denen wir nicht wissen, wo sie enden werden? Einen Staat, in dem Haß und Hetze einen festen Platz haben, in dem der Stärkere dem Schwächeren mal kurz eins „aufs Maul“ gibt, wenn ihm seine Meinung, seine Hautfarbe, sein Jüdischsein, seine sexuelle Ausrichtung … nicht paßt?
Nein! Die Omas wollen eine tolerante, weltoffene Gesellschaft. Sie stehen für die freiheitlich demokratische Grundordnung, die dem einzelnen durchaus etwas abverlangen kann, u. a. das Aushalten von Durststrecken, das Ringen um Kompromisse, auf deren Basis ein gedeihliches Miteinander möglich ist. Das ist oft mühsam, ja manchmal auch frustrierend. Aber bisher hatte sich das bewährt. Denn immerhin können wir alle mittlerweile auf fast achtzig Jahre Frieden zurückblicken. Diese Erfolgsgeschichte fortzusetzen, dafür lohnt es einzutreten, meinen zumindest die Omas. Es darf nicht sein, daß das Kalkül wie das eines Chef-Strategen der AfD, wirkmächtig wird, wenn er für seine Partei sagt: „Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform.“
Keine naiven älteren Damen
Mit Demos und Mahnwachen werden die Seniorinnen in ihren Städten und Kommunen unermüdlich sichtbar, überlassen den Rechten nicht die Straßen und Plätze für deren Agitationen. Doch dadurch Verschwörungstheoretiker oder Nazis zurückzugewinnen? Nein, das wird nicht gelingen. So naiv sind auch ältere Damen nicht. Aber es gilt, die vielen Unentschlossenen, Indifferenten nicht wegdriften zu lassen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Denn in erschreckendem Maße zeigt die sog. Bielefelder „Mitte-Studie“ die wachsende Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen und Ideologien, wenn man sie quasi neutral und lange genug zur Disposition stellt. Ein strammes Nazi-Statement kann da durchaus wohlwollende Zustimmung erlangen – und das in der sog. Mitte der Gesellschaft. Das war’s dann wohl mit der „Brandmauer“, die manche Partei so munter in der Öffentlichkeit beschwört. Es ist also unermüdliche Aufklärung angesagt, in Schulklassen, auf Nachbarschaftsfesten, aber auch bei Freunden und Bekannten. Im Vorfeld heißt das: Arbeit. Für die Omas bedeutet das das Tainieren von Argumentations- und Kommunikationstechniken, um gegnerische Statements entkräften zu können, aber auch die verstärkte Präsenz in den sozialen Medien.
Eine ernstzunehmende gesellschaftliche Kraft
Auch die bessere Vernetzung der Ortsgruppen untereinander wurde bereits in die Wege geleitet. Unter dem Motto „Demokratie gemeinsam schützen. Jetzt!“ fand vom 2. bis zum 4. August diesen Jahres der erste gemeinsame Bundeskongreß der Omas in Erfurt statt. Ein viel beachtetes Ereignis, auch als sichtbares Zeichen der Solidarität für die Omas vor Ort; gleich gar nach den jüngsten Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Weitere Treffen sind geplant und notwendig. Ein Höhepunkt 2024 war sicherlich die Verleihung des Aachener Friedenspreises, mit dem die Omas für ihr unermüdliches Eintreten für Demokratie und gegen rechte und demokratiefeindliche Bewegungen geehrt wurden. Eines ist unübersehbar: Man nimmt die streitbaren Seniorinnen in zunehmendem Maße als gesellschaftliche Kraft wahr – und zwar mit der Zuschreibung von Vertrauenswürdigkeit, Uneigennützigkeit und Uneitelkeit älterer Frauen. Das bringt viel Zustimmung, aber – wie könnte es in diesen Zeiten anders sein – auch viel Haß, so daß einzelne von ihnen mit Morddrohungen – ein neuerdings für manche probates politisches Mittel – „geadelt“ werden. So zeigt sich die Fratze der offenen Gewalt.
Subversiver geht es mit gezieltem Sprachmißbrauch. Man denke nur an die Verwässerung des Begriffs „Diktatur“, der stakkatomäßig vor allem als „Corona-Diktatur“ noch immer in die Köpfe gehämmert wird. Diktatur? Wer je in die Mühlen eines Unrechtssystems geriet, Folter und Straflager erlebt hat … Für diese verbale Geschmacklosigkeit bedarf es keiner weiteren Worte. Der diabolische Mißbrauch der Sprache ist System (man bedenke, daß das griechische diabolein „durcheinander werfen“ bedeutet). So diffamiert man die OMAS GEGEN RECHTS neuerdings als „Nazi-Omas“ oder eignet sich ihren Namen in einer irreführenden Parallel-Gruppe an, den „Omas für Demokratie“. Auch hinter dem so soften Begriff des „Teams Menschenrechte“ vermutet kaum einer eine rechte Gruppierung.
Langer Atem ist garantiert
Mit dem Schwenken von Friedensfahnen verfängt diese Mimikry bei unbedarften Passanten und Flaneuren durchaus immer wieder. Und man geht noch weiter. Nach dem Motto, etwas bleibt immer hängen, behauptet neuerdings die AfD Thüringen aus „sicherer Quelle“ zu wissen (der Beleg fehlt natürlich), daß die Omas für 60 Euro pro Person und Aktion „ihre Kinder und ihr Vaterland verraten“. Bezahlt werden sie – so die AfD – von der links-grünen Regierung. Besonders pikant, daß diese Behauptung von einer Partei gestreut wird, die nicht wenige in ihren Reihen hat, die nachweislich auf russischen und chinesischen Gehaltslisten stehen.
Die OMAS GEGEN RECHTS müssen das aushalten. Leider! Immerhin können sie sich nach dem Motto trösten: Viel Feind, viel Ehr‘! An ihnen kommt keiner mehr vorbei – und es werden immer mehr Omas. Eines brauchen die streitbaren Seniorinnen in Zukunft allerdings schon: einen langen Atem. Aber bei ihrer derzeit prognostizierten Lebenserwartung von durchschnittlich gut 83 Jahren, dürfte das kein Problem sein.