Cities of Memory – Erinnerung als Fundament für Europa
Oradour-sur-Glane und Hersbruck in Mittelfranken besiegeln Freundschaftspakt – Treffen mit den Staatspräsidenten beider Länder – 30 Jahre Partnerschaft mit dem Département Creuse.
Text: Wolfgang Heilig-Achneck | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Mittelfranken ist jetzt um eine Verbindung in die und mit der Partnerregion im französischen Südwesten reicher. Und um was für eine: Am 10. Juni, einem symbolträchtigen Termin, besiegelten die Bürgermeister von Oradour-sur-Glane im Département Haute-Vienne und von Hersbruck, Philippe Lacroix und Robert Ilg, im Beisein auch von Vertretern des mittelfränkischen Bezirkstags mit Präsident Peter Daniel Forster, einen Freundschaftspakt. Er ergänzt die bereits bestehenden 36 kommunalen Partnerschaften zwischen Gemeinden und Städten in Mittelfranken und der früheren Region Limousin, die inzwischen zur Großregion Nouvelle-Aquitaine gehört.
Die Unterzeichnung erfolgte nach ergreifenden Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag der Zerstörung von Oradour-sur-Glane, rund 20 Kilometer westlich von Limoges, und der Ermordung nahezu sämtlicher Einwohner durch eine deutsche SS-Einheit. Die Verbindung mit Hersbruck, wo 1944 eine der größten Außenstellen des KZ Flossenbürg eingerichtet wurde, verlangt deshalb besondere Sensibilität. Über das Netzwerk „Cities of Memory“ dürfte sie auch international Beachtung finden.
Erschütterndes Mahnmal
Zur Erinnerung: Eine Einheit der SS-Panzerdivision „Das Reich“ hatte am 10. Juni 1944 in Oradour sämtliche Einwohner zusammengetrieben. Gestützt auf eine Anweisung der Heeresleitung, mit äußerster Härte und Rücksichtslosigkeit auch gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen, erschossen und verbrannten die Soldaten insgesamt 643 Frauen, Männer und Kinder. Alle Häuser wurden geplündert und angezündet. Die SS-Männer, unter ihnen zwangsverpflichtete Elsässer, waren auf dem Weg in die Normandie, um die Verteidigungslinie gegen die wenige Tage zuvor gelandeten Alliierten zu verstärken; unterwegs sollten sie den inner-französischen Widerstand brechen.
So steht Oradour als Ort des größten Kriegsverbrechens deutscher Militärs auf französischem Boden auch sinnbildlich für deren Gräueltaten insgesamt und für alles Leid der Zivilbevölkerung im Nachbarland. Die Ruinen des „Märtyrerdorfs“, wie es in Frankreich genannt wird, blieben als erschütterndes Mahnmal und als Gedenkstätte erhalten, seit 25 Jahren ergänzt um eine neue Erinnerungs- und Dokumentationsstätte. „Hier scheint die Zeit angehalten, die Atmosphäre ist einfach bedrückend“, sagt Bezirksrätin Maria Scherrers, die als Beauftragte für die Regionalpartnerschaft bereits mehrfach an den Gedenkfeiern teilgenommen hat.
Ein echtes Zukunftsprojekt
So kommt der Annäherung im Rahmen der Regionalpartnerschaft ein besonderer Status zu – was sich nicht zuletzt an der Beteiligung einer französischen Regierungsvertreterin sowie des deutschen Botschafters in Frankreich, Stephan Steinlein, an der Freundschaftszeremonie in der Grundschule zeigte. Deren Kinder bereicherten die Feier mit sieben Mädchen und Jungs aus dem Hersbrucker Pfinzing-Gymnasium musikalisch und mit einem gemeinsam gestalteten Kunstwerk – und machten deutlich, daß es um ein echtes Zukunftsprojekt geht.
Den Weg geebnet und frei gemacht hatten auf französischer Seite vor allem die Hinterbliebenen der Opfer und ihre Verbände, allen voran die Nationale Vereinigung der Familien der Märtyrer von Oradour mit ihrem Präsidenten Benoit Sadry. Zu verdanken ist das zugleich und insbesondere dem im vergangenen Jahr verstorbenen Robert Hébras, der sich als einer der wenigen Überlebenden des Massakers seit vielen Jahren unermüdlich um Verständigung bemüht hatte. In seinem Sinn gab auch seine Enkelin Agathe Hébras der neuen Verbindung ihren Segen.
Ein Traum ging damit für Fritz Körber in Erfüllung: Geduldig und beharrlich hatte sich der frühere Bezirkstagsvizepräsident auf fränkischer Seite – gestützt auf eine enge persönliche Beziehung zu Hébras – um einen Neuanfang in den Beziehungen bemüht; und mit ihm brachte maßgeblich der Laufer Landrat und frühere Bezirkstagspräsident Armin Kroder die Stadt Hersbruck ins Spiel.
Stetes Bemühen um Verständigung
Mit dem Niederlegen von Blumengebinden hatten sich bei der großen Gedenkfeier am Rand der Ruinenstadt zuvor auch die Vertreter aus Mittelfranken vor den Opfern verneigt. Für Gänsehaut-momente sorgte die Teilnahme der Staatsspitzen: Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatte seinen deutschen Amtskollegen Walter Steinmeier zu den Zeremonien eingeladen – und beim Mittagsbuffet bot sich auch den Vertretern aus Mittelfranken eine kurze Gelegenheit zum direkten Kontakt mit beiden. Das große Los hatte indes der Hersbrucker Bürgermeister Robert Ilg gezogen. Er durfte im erlesenen Kreis der Begleiter mit den beiden Staatspräsidenten am offiziellen Rundgang durch die Gedenkstätte teilnehmen.
„An diesem Ort spricht zuerst die Stille. Wer hier spricht, muß dieser Stille gerecht werden“, sagte der deutsche Bundespräsident anschließend in seiner Ansprache, die er komplett in Französisch hielt und die auch deshalb große Beachtung fand. „Wer hier spricht, spürt die Autorität des Leids, der Opfer und der tiefen Trauer. Hier werden die großen Worte klein – sie müssen stand halten vor der Sprachlosigkeit, die mit großem Leid einhergeht. Es sind sehr mutige Menschen, die es zugelassen haben, daß wir als Deutsche hier sein können. Und es sind mutige Menschen, die ein besonderes Versöhnungswerk begonnen haben.“ Versöhnung finde hier zwischen Menschen in der alltäglichen Begegnung statt: „Das ist eine Versöhnung, die nicht vergißt. Aber sie richtet den Blick nicht nur auf die Vergangenheit. Sie wird gelebt in einer neuen Gegenwart und hofft auf eine bessere Zukunft. Für uns Deutsche und Franzosen ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft Wirklichkeit geworden: die Wirklichkeit der deutsch-französischen Freundschaft.“
Erinnerung an das Massaker von Corrèze
Bereits am Vortag hatten die Gäste aus Mittelfranken an einer weiteren Gedenkfeier teilgenommen: Am 9. Juni 1944 hatte die selbe SS-Einheit in Tulle gewütet, der Hauptstadt des Départements Corrèze. In einer schauerlichen Dramaturgie wurden dort 99 willkürlich ausgewählte Männer an Balkonen und Laternen aufgehängt und weit über 100 deportiert. Die Leichen der Ermordeten wurden auf höchst provozierende Weise auf der damaligen Mülldeponie entsorgt. Die dort angelegte Gedenkstätte ist alljährlich das Ziel eines bewegenden Schweigemarschs mit Veteranen und ihren Fahnen, aber auch Schülern, Mandatsträgern und schließlich Hunderten von Bürgern.
Gemeinsame Projekte
Der Besuch der Delegation aus dem Bezirk Mittelfranken stand aber nicht nur im Zeichen des Gedenkens und der Besiegelung einer neuen Freundschaft. Bei Begegnungen in Tulle und Guéret loteten die Gäste aus Franken mit Vertretern der beiden Départments Corrèze und Creuse auch Möglichkeiten und Ideen für neue Projekte und Aktivitäten aus. So wird sich die Corrèze erneut mit lokalen Produzenten und Kunsthandwerkern am Markt der Partnerstädte beim Nürnberger Christkindlesmarkt beteiligen. Zu den konkreten Vorschlägen und Vorhaben für das kommende Jahr gehört eine Begegnung junger Musiker aus der Creuse und aus Mittelfranken, um zum Beispiel in einer Projektwoche ein gemeinsames Konzert zu erarbeiten. Besonders gut passen könnte das zur Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs und an die Überwindung der NS-Diktatur vor dann 80 Jahren.
Dabei ist das Limousin nicht nur im Rahmen der Partnerschaften interessant, sondern auch touristisch attraktiv. Wie und warum – damit sollte sich die französische (Ex-)Region, so ein weiteres Projekt, im kommenden Jahr bei der Nürnberger Freizeit-Messe vorstellen. Naturschönheiten wie das schon bei den impressionistischen Malern beliebte Creuse-Tal und zahlreiche Badeseen machen einen Besuch ebenso schmackhaft wie die kulinarischen Spezialitäten und Kulturschätze wie das Zentrum der Teppichkunst in Aubusson.