An die Hand genommen
Heimat-Filmfestival 2024. Vom 18. bis 21. Januar fand im Filmhaus Nürnberg unter der Ägide des Bezirks Mittelfranken und des Bayerischen Landesverbandes für Heimatpflege erneut das Heimat-Filmfestival statt. Bereits zum elften Mal – und in diesem Jahr mit dem Thema „Starke Frauen und Kino“. Im Fokus also der vielleicht ganz andere, der weibliche Blick auf dieses durchaus diffizile Sujet – und zwar vor und hinter der Kamera.
Text: Gunda Krüdener-Ackermann | Fotos: Matthias Fetzer
Als ich nach Hause kam, war nichts mehr da. Was würdest du tun, wenn dir das geschieht?“ Eine Frage, die die Geisha Satomi der jungen Marie in dem Film „Grüße aus Fukushima“ von Doris Dörrie stellt. Einer der Beiträge im Programm des diesjährigen Heimat-Filmfestivals im Filmhaus Nürnberg. Marie ist gerade in einer Sinnkrise und verläßt Deutschland auf der Suche nach Menschen, denen es schlechter geht als ihr, denen sie helfen kann. Ihr Ziel ist Fukushima. Es ist die Gegend rund um das japanische Atomkraftwerk, das am 11. März 2011 durch ein gewaltiges Seebeben havarierte. Die Folge: Tausende von Toten, bis heute Wüsteneien und über 400 000 Entwurzelte. Viele haben alles hinter sich lassen müssen, konnten nichts zurückholen in ihr neues Leben danach. Sie haben ihre Heimat verloren, ihre Erinnerungen, ihre Freunde … vertraute Gerüche, das Gemüse in ihrem Garten, das Vogelgezwitscher am Morgen vor dem Fenster …
Verlust von Heimat – eine humanitäre Katastrophe, die tagtäglich über unsere Bildschirme flimmert, uns über die sozialen Netzwerke erreicht. In der Ukraine, im Gazastreifen, in Bergkarabach, in Syrien … Derzeit sind laut UNHCR rund 90 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht und damit heimatlos. Es sind die Frauen, denen es oft gelingt, trotz aller Hindernisse in der Fremde, trotz all des Chaos um sie herum eine Enklave des Vertrauten zu schaffen. Es braucht mitunter nur wenig für ein kleines bißchen Gefühl von Heimat. Oft ist es ein winziger Raum umgeben von Ruinen, in dem man gemeinsam ißt. Ein altersschwacher Gaskocher, ein paar Teller, eine Decke, Kinder und Alte gemeinsam in der Runde sitzend.
In Dörries Film zelebriert die Geisha Satomi, umgeben von Trümmern, zerrissenen Vorhängen, durch die der vielleicht tödliche Wind weht, dem Chaos, dem Verderben zum Trotz ihre Teezeremonie. Sie holt das Vertraute zurück, schafft so etwas wie Heimat.
Just the moment, nothing else
Nur das Hier und Jetzt zählt. „Just the moment, nothing else. Where is the pain?“ sagt sie zu Marie, die ungeschickt die Teeschale umklammert (Satomi: „You are an elephant!“) Ja, wo ist der Schmerz, wenn zwei Hände nur die Wärme der Tasse spüren, wenn der Tee die Lippen berührt … Only the cup … Nothing else. Heimat? Vielleicht nur ganz bei sich sein?
„Grüße aus Fukushima“ ist einer der Filme, die vier Tage lang das Thema Frauen und Heimat in vielen verschiedenen Facetten beleuchten. Von Kurzfilmen wie die der jungen und erfolgreichen Filmemacherin Sophie Linnenbaum bis hin zu Beiträgen in voller Spielfilmlänge. Mag sein, daß man sich zunächst verwundert fragt: Starke Frauen und Kino? Dafür ein ganzes Heimat-Filmfestival? Noch eine der vielen gender-liken Zumutungen, die Mann zwischenzeitlich zu schlucken hat? Aber recht schnell erkennt man die Berechtigung dieses besonderen weiblichen Blickwinkels. So weist die als Ehrengast geladene Filmemacherin Dörrie im Gespräch mit Christiane Schleindl (Leiterin Filmhaus Nürnberg) zu Beginn der Veranstaltungsreihe auf einen interessanten „kleinen Unterschied“ hin: Für Männer ist Heimat ganz oft Nation, während Frauen diesen Begriff häufig mit Geburts- und Wohnort, mit Familie, also mit sozialen Bindungen in Verbindung bringen. Über den Umweg des Fremdseins spürt die Filmregisseurin und Buchautorin dem Gefühl von Heimat nach: Wann fühle ich mich fremd, heimatlos?
Berührend schildert sie ihre persönlichen Erfahrungen auf ihren Reisen nach Japan. Völlig ohne Sprache in einer fremden Welt, eigentlich mutterseelenallein kommt sie dort an. Aber ständig geht da quasi aus dem Nichts jemand auf sie zu, nimmt sie an der Hand, führt sie zum Bus, zeigt ihr den Weg zum Hotel … Das an der Hand genommen werden, auch im übertragenen Sinne, schafft Vertrauen, kann ein erster Schritt sein, sich in der Fremde wohlzufühlen, daß dort so etwas wie Heimat entsteht. Diese Erfahrung läßt sie auch Rudi (Elmar Wepper) in ihrem Film „Kirschblüten Hanami“, dem Eröffnungsfilm des Festivals, machen. Der – völlig entwurzelt nach dem Tod seiner Frau (Hannelore Elsner) – bereist Trudis Traumziel Japan. Dort in der Fremde, an der Hand der jungen Japanerin Yu tanzt er Butoh, den Tanz der Finsternis. Er, der Verlassene, läßt sich in Erinnerung an Trudi auf das ganz Fremde ein und erfährt dort unverhofft Geborgenheit, ein Stück Heimat.
Dennoch: Zurück zum Wort Heimat. Im Deutschen – ein schwieriger Begriff, dem bis heute oft etwas Unechtes anhaftet, abgesehen davon, daß der durch die Blut- und Bodenmythologie lange Zeit gänzlich verbrannt war. Heimat – ein Wort, das es übrigens so in anderen Sprachen nicht gibt: weder „home“ noch „patria“ sind damit deckungsgleich. Und der deutsche Heimatfilm? Wie Prof. Dr. Günter Dippold (Stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege) ausführt, arbeitet dessen „klassische“ Version, also die der NS – wie auch der frühen Nachkriegszeit, vor allem mit Klischees. Heimat ist hier nie die Großstadt, ist immer imposante Landschaft im ländlichen Raum. Und Frauen? Die sieht Mann als fesche Mädchen, die mit rosigen Wangen und adretten Dirndln, nichts anderes im Sinn haben, als den kernigen Oberförster oder den Hoferben zu erobern. Nach berechenbaren Turbulenzen ist die soziale Ordnung und die Geschlechter-Welt am Ende wieder im Gleichgewicht.
Das Thema verträgt auch Witz und Ironie
Frauen und Heimat – bei aller Ernsthaftigkeit – darauf kann man im Film auch einen ganz anderen Blick haben. Das Thema verträgt auch jede Menge Klamauk, Witz und Ironie. Mit ihrer Komödie „Freibad“ läßt Dörrie Frauen in Bikini, Badeanzug und Burkini oder gar oben ohne gegeneinander antreten. Verschiedene Kulturen treffen „in Deutschlands einzigem Frauenfreibad“ ungefiltert aufeinander. Wunderbar die Figuren in ihren Dialogen und Aktionen. Letztendlich steht die ungelöste Frage im Raum: Wem gehört das Schwimmbad? Wer ist hier zu Hause? In die Jahre gekommene Liegewiesen-Schönheiten, die sich unter der dortigen Sonne seit Jahrzehnten ihre Haut streifenfrei grillen oder eine türkische Frauengruppe, die das mit ihren Fleischspießen tut?
Einen komischen, zuweilen geradezu grotesken Blick auf Heimat gibt es, wenn Frauen wie die Schauspielerin Gisela Schneeberger vor der Kamera stehen. Mit ihr als weiteren Ehrengast findet das Filmfestival 2024 am Sonntag seinen Abschluß. Im Veranstaltungsprogramm gibt es mit ihr zwei Folgen der Serie „Im Schleudergang“ des Bayerischen Rundfunks. Ihre Rolle als Wäschereibesitzerin Christa Bachmeier, die ihren Schwabinger Mikrokosmos unter Kontrolle zu halten versucht, brachte der Schneeberger den Bayerischen Fernsehpreis ein.
Unvergessen auch ihre Rolle als Irmgard Löffler, die zusammen mit ihrem grantelnden Ehemann Erwin (Gerhard Polt) und Sohnemann Heinz-Rüdiger „die schönsten Wochen“ des Jahres an einem Strand südlich von Rom verbringt. Heimat, die hat das bayerische Paar Hunderte von Kilometern im Kofferraum ihres Kombis mit nach Bella Italia geschleppt. Am Strand tagtäglich frisch vom Kiosk die aktuelle „Bild-Zeitung“. Im Lokal, wo man zum Glück deutsch spricht, trinkt man Filterkaffee und bayerisches Bier. Nur so fühlt man sich wohl. In die echte Fremde wagt sich Erwin nur in seinen erotischen Tagträumen von verführerischen Schönheiten. Und Irmgards Ausbruch aus dem deutschen Hausfrauenalltag ist die Wunschvorstellung von einem glutäugigen italienischen Verehrer. Die Fremde, das ist aber auch das ständige Ausgeliefertsein an die eigenen Ängste und Vorurteile. In Italien wird geklaut. Das steht für Erwin und Irmgard fest. Also wird es rein gar nichts mit der Entspannung am Strand. Denn immer muß einer ein Auge auf das Auto haben. Und letztlich wird klar, das Gewohnte loszulassen, das schaffen die beiden nicht. Die Fremde, das ist nur eine andere Kulisse, vollgepackt mit „Zuhause“. Dahoam, das ist und bleibt eben dahoam!
Um es mit Dr. Andrea Kluxen (bis vor kurzem Kulturreferentin und Heimatpflegerin des Bezirks Mittelfranken) zu sagen: „Heimat, das ist ein Ort der stabilen Verortung eines Individuums.“ Das Ehepaar Löffler in „Man spricht deutsch“ kann davon nicht lassen. Die oft skurrilen nostalgischen Konnotationen von zu Hause und Heimat entstehen aus Ängsten vor dem Fremden. Die Filmwirklichkeit dieses Festivals mahnt an: Höchste Zeit, daß Männer wie Frauen in einer mobilen und globalisierten Gesellschaft wie der unseren den Begriff Heimat neu besetzen, ihn transformieren. Frauen hinter und vor der Kamera leisten dazu einen unverzichtbaren Beitrag, wie das Filmfestival beweist.