Ausgabe März / April 2024 | Essen & Trinken

Die mit dem Teig tanzen

Deutsches Brot – seit 2014 mit seinen rund 3200 Sorten immaterielles Weltkulturerbe! Es mag viele Gründe dafür geben, daß es gerade in Deutschland diese immense Brotvielfalt gibt. Einer davon sind sicher die vielen Kleinstaaten, die sich erst 1871 zu einem Nationalstaat zusammenraufen konnten. Geblieben ist eine außergewöhnliche Kulturlandschaft und dazu diese einzigartige Vielfalt des Brotes. Letzteres gerade ganz besonders in Franken! Bei all dem derzeitigen Deutschland-Bashing: Für Leib und Seele ist hier in jedem Fall bestens gesorgt.

Text: Gunda Krüdener-Ackermann | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Arnd Erbel in seiner Backstube
Arnd Erbel in seiner Backstube

Es gibt den wunderbaren Film „Der mit dem Wolf tanzt“ von und mit Kevin Costner aus dem Jahre 1990. Einen Nordstaaten-Leutnant zur Zeit der amerikanischen Sezessionskriege verschlägt es zu einem gottverlassenen Außenposten irgendwo im Indianerland. Sein einziger Gefährte wird ein einsamer Wolf, dessen Zutrauen er mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen ganz allmählich gewinnt.

Ähnlich mag es dem fränkischen Jungbäcker Daniel Bär gehen, einem der Initiatoren des Labels Bärenbrot, wenn er alle zwei Wochen neues Mehl bekommt, an dessen Besonderheit er sich langsam herantasten muß, dessen Eigenart es im Anrühren des Sauerteiges zu erspüren und schließlich sorgsam in guten Broten zu verarbeiten gilt. Die Nacht vor einer neuen Mehllieferung beschert ihm jedes Mal unruhigen Schlaf. Wie wird die Konsistenz des Teiges sein? Weicher? Fester? Welche Backtemperatur wird nötig sein? Was für die Beziehung mit dem Wolf wichtig ist, gilt auch für anderes aus der Natur.

Eine echte Erfolgsstory

Johannes Sarkoschitz
Johannes Sarkoschitz

Hier gibt es keine Gelinggarantie. Es braucht Intuition und Fingerspitzengefühl. Trotz manchem Trial and Error, was auch seine Mitstreiter Ehefrau Anja und Johannes Sarkoschitz, den Speziali­sten für alte und neue Brotrezepte, zwischendurch leicht nervös werden läßt… Am Ende liegen aber jeden Morgen wieder die wunderbar duftenden Laibe kaufbereit in den Regalen der mittlerweile fünf Filialen: Roggen-, Gewürz- und Vollkornbrote, Baguettes und etwas Kleingebäck. Man beschränkt sich auf nur wenige Sorten, weiß man doch nur allzu gut, daß das übliche Bäckerhandwerk in seinem Anspruch, Vollsortimenter zu sein, oft scheitern muß. Achtzig bis neunzig Produkte und das in guter Qualität. Tagtäglich. Das ist kaum machbar. Die drei haben da so ganz andere Vorstellungen, mit denen sie auch am Anfang ihres Projektes die um Kredite angefragten Banken gelinde gesagt erstaunten. 2017 eine Bäckerei eröffnen in einem verschlafenen Ort wie Fischbrunn bei Pommelsbrunn in der Hersbrucker Schweiz? Nüchtern kalkulierende Banker hatten da, gelinde gesagt, ihre Bedenken. Vielleicht hätten die drei eher in Art eines René Benko bei Investoren vorsprechen sollen?! Dennoch: Allen Unkenrufen zum Trotz – es folgte eine echte Erfolgs­story. Und das in Franken mit seiner traditionell hervorragenden Brotkultur. Etwa ein Gang zum beinahe schon legendären Brot Schwarz, seit 1923 in der Nürnberger Innenstadt ansässig, beweist das: Regale voller duftender knuspriger Köstlichkeiten: Wilhelmsdorfer Bierkruste, Zeegendorfer Steinofenbrot, Nuschelberger Landbrot, Bamberger Sappelbrot … um nur wenige der vielen fränkischen Originale aufzuzählen. Dennoch, in Franken scheint auch Platz für die drei Newcomer aus Pommelsbrunn zu sein. Und das, obwohl keiner der drei aus einer Bäckerei stammt.

Das Korn der Wahl: ­Waldstaudenroggen

… die, die das Brot teilt (Michaela Erbel).
… die, die das Brot teilt (Michaela Erbel).

Man kann es auch kitschig sagen: Vielleicht war es das viele Herzblut, die felsenfeste Überzeugung, daß die „irre Idee“ der drei zum Erfolg führte. Zwischenzeitlich mit rund fünfzig Mitarbeitern. Ein Geheimnis vielleicht auch, daß sie mit dem bisher Erreichten zufrieden sind. Was zumindest die Expansion betrifft (die Banker würden da sicher anderes empfehlen!). Woran die gelernten Bäckermei­ster und studierten Betriebswirte aber ständig tüfteln, sind Genuß und Qualität. Eindeutiges Indiz: Johannes Sarkoschitz hat sich ein Jahr lang zum Brotsommelier ausbilden lassen. Ein anderer Beweis: Man experimentiert mit alten Getreidesorten. In Zeiten, in denen immer mehr Menschen gesundheitliche Probleme mit Nahrungsmitteln haben, soll der Brotgenuß unbeschwert sein. Ziel ist die ganze Wertschöpfung von gesundem Brot in der Region. Seit kurzer Zeit gibt es eine Kooperation zwischen Bärenbrot und dem Diplom-Agrar­ingenieur Andreas Bauer. So hat man sich jüngst auf eine alte, jetzt eben „neue“ Getreidesorte geeinigt. Auf Bauers Feldern wurde als Korn der Wahl Waldstaudenroggen, eine Urform, ausgesät. Auf den ersten Blick ein Verlustgeschäft, tragen doch die Ähren gerade mal 30 % des üblichen Zuchtroggens. Die Vorteile aber konnten überzeugen: Zwei bis drei Meter Wuchshöhe der Halme halten Schädlinge und Schimmelpilze fern. Das spart Geld für alle möglichen chemischen Beigaben wie Pestizide und Fungizide. Und der absolute Clou: Das Korn muß nur alle zwei Jahre ausgebracht werden, denn die Ähren tragen zweimal. Ganz nebenbei wird hier die Bodenverdichtung durch schwere Landmaschinen minimiert (jeder wird sich an die Monster-Trecker der jüngsten Bauernproteste nur allzu gut erinnern). Auch für den Verbraucher hat das langstielige Getreide jede Menge zu bieten: 50 % mehr Mineralien und Ballaststoffe, ein Mehr an Aminosäuren, Proteinen, Spurenelementen, ­B-Vitaminen … Kurzum – hier findet sich die geballte Verträglichkeit eines reinen, voll ausgereiften Roggenvollkorns. Im Juli 2023 hat man die ersten 7,5 t geerntet und erfolgreich zu 10 t Brot verarbeitet. Die Zukunft sieht bei Bärenbrot bekömmlich und schmackhaft aus.

Schon mit der Bäckerschürze auf die Welt gekommen …

Von einem Sauerteigansatz zum nächsten.
Von einem Sauerteigansatz zum nächsten.

Einer, der schon lange erfolgreich mit dem Teig tanzt, genauer, ausschließlich mit Sauerteig, und mit ihm eine dauerhafte Freundschaft eingegangen ist, das ist Bäkkermeister Arnd Erbel aus dem fränkischen Dachsbach. In der Zwischenzeit zu einem wahren Medienstar avanciert als Brotrebell auf Arte, als Interviewpartner im Deutschlandfunk oder auf der „Blauen Couch“ des BR hat er dennoch die Bodenhaftung nicht verloren. Das wird ihm halt auch a weng leicht gemacht. In zwölfter Generation Bäckermeister, steht sein Haus dort, wo einer seiner Urgroßväter 1680 nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg wieder die Ärmel hochgekrempelt und Brote gebacken hat. Arnd Erbel ist quasi schon mit der Bäckerschürze auf die Welt gekommen. Und das in einem so idyllischen Ort wie Dachsbach im Aischtal an den südlichen Ausläufern des Steigerwaldes, wo es Karpfenteiche, Getreidefelder, Viehweiden und Fachwerkhäuser gibt. Franken halt. Da kann nicht viel schiefgehen. Daß man sich beim Erbel in einer urfränkischen Bäckerei befindet, merkt man spätestens, wenn einem die knusprigen Sauerteig-Köstlichkeiten in besondere Papiertüten verpackt werden. Helmut Haberkamm, fränkischer Mundartdichter, nutzte die leeren Papierflächen, um Unwissende so ganz nebenbei mit der fränkischen Sprache bekanntzumachen. Es sollte halt nicht vergessen oder eben neu gelernt werden, was a oodlichs Bobbala oder a zweggerda Hindern ist…

Arnd Erbel ist ein wahrer Bäkker-Philosoph. In Anlehnung an René Descartes sagt er über sich selbst: „Ich backe, also bin ich!“ Das könnte manieriert klingen. Wenn man Arnd Erbel jedoch erlebt, weiß man, daß dieser Satz Tiefe hat. Seine Dankbarkeit – jedes frische Brot mit Butter für ihn ein Erntedankfest! –, seine Backfreude im Hier und Jetzt und sein Verbundensein mit allem, was ihn umgibt. Das IST er. Er, der Freibäcker! Frei von Backtriebmitteln, zweifelhaften Rohstoffen, von Marketing-Strategien und auch von Banken. Allein schon die Herstellung seines Sauerteigs, mit dem er alle seine Backwaren von der Brezel bis zum Croissant, vom fränkischen Vollkornbrot bis zum italienischen Panettone bäckt, zeigt das. Ur-Mutter ist der Sauerteig: Mehl und Wasser, angerührt als Landebahn für die Bakterien in der Luft, die uns seit Urzeiten umgeben. Daraus entsteht sein Sauerteig. Seine Verbindung in die Ewigkeit.

Johannes Sarkoschitz, Daniel Bär und Michaela Gussner im Bärenbrot-Laden in Pommelsbrunn.
Johannes Sarkoschitz, Daniel Bär und Michaela Gussner im Bärenbrot-Laden in Pommelsbrunn.

Die ganze „Erbelei“ in Dachsbach: Arnd, Richard und Michaela Erbel.
Die ganze „Erbelei“ in Dachsbach: Arnd, Richard und Michaela Erbel.

… zum Brotrebellen gereift

Stopp! Damit kein falscher Eindruck entsteht! Meister Erbel ist alles andere als esoterisch. Wie die Jungunternehmer von Bärenbrot ist auch er ganz pragmatisch ständig auf der Suche nach dem besten Genußergebnis. Zwischenzeitlich kommt auch immer mehr seines Getreides aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Gerade mal fünfhundert Meter entfernt baut Bauer Charlie Brehm sein Getreide für Arnd Erbels Sauerteige an. Müller Litz, einer der letzten Betreiber einer Mühle an der Aisch, liefert das Auszugsmehl, das die Hälfte von Erbels Teig ausmacht. Die andere Hälfte mahlt der Bäckermeister selbst – und zwar wie die alten Römer. Dazu fährt er in die Eifel, sucht sich einen passenden Basaltstein aus, den Deutschlands derzeit einziger Mühlsteinmacher für ihn beschleift. Arnd Erbel – ein Brotrebell (Arte) oder fast schon ein Brot-Besessener? Wie auch immer: Des Verbrauchers Schaden ist das nicht. Bei den jungen Bären-Bäckern wie auch bei Altmeister Erbel spielt neben den guten Zutaten auch der Faktor Zeit eine unverzichtbare Rolle. Stundenlang läßt man die Teige ruhen, den Baguetteteigen in Pommelsbrunn zum Beispiel läßt man unvorstellbare fünfzig Stunden Zeit zum „Gehen“. Lange Fermentierung der Teige – unverzichtbar für die Bekömmlichkeit von Broten. Wissenschaftlich ausgedrückt sind bei dieser Länge der Zeit rund 90% der Fodmaps abgebaut. So nennt man die Gruppe von Kohlehydraten und Zuckeralkoholen, die schlecht für den Dünndarm sind. Sprich, das allabendlich im TV so intensiv beworbene Kijimea gegen das Reizdarmsyndrom könnte mit verträglichem Brot überflüssig werden.

Brot für ein gesundes, langes Leben

Gerda Windt-Köhler präsentiert einen „Gewürzfladen“, den Verkaufsschlager in ihrem kleinen Brotladen in Bamberg.
Gerda Windt-Köhler präsentiert einen „Gewürzfladen“, den Verkaufsschlager in ihrem kleinen Brotladen in Bamberg.

Vielleicht auch deshalb schickt mancher Gastroenterologe (Facharzt für Magen und Darm) seine Patienten zu Gerda Windt-Köhlers fränkischem Brotladen in Bamberg. Ihre Brote sind schon mal zuverlässig sortenrein, will heißen, in einem deklarierten Roggenbrot verstecken sich nicht irgendwie 20 % Weizen, die manchem Asthmatiker schier die Luft nehmen können. Denn, so Windt-Köhler, konventionellen neuen Weizenzüchtungen fehlt zwischenzeitlich ein Enzym. Das beschert immer mehr Brot-Konsumenten eklatante gesundheitliche Probleme.

Seit 1947 gibt es diesen Laden, der, bevor er sich zu einem fränkischen Spezialitäten-Geschäft mauserte, erst mal ganz konventionell Lebensmittel und Kolonialwaren vertrieb. Immer mehr traten jedoch im Laufe der Zeit fränkische Brotrezepte in den Vordergrund. Vom Vater, vom Großvater oder der Großmutter. Gerda Windt-Köhler ist auch immer wieder selbst kreativ und beauftragt Bäcker im Bamberger Umland, alles Betriebe minde­stens in der zweiten oder dritten Generation, ihre und in ihrer Familie überlieferte Brot-Ideen umzusetzen. Neben Sonnenblumenkern-, Walnuß-, Zwiebel-Schinken-Broten ist ihr absoluter Renner der Gewürzfladen, ein reines Roggenbrot, flach und mit viel, viel Kruste.

Summa summarum: Hat es Deutschland in Sachen Brot gut, so ist Franken mit seinen „Teig-Tänzern“ und Spezialgeschäften das wahre Paradies. Diesen verschiedenen Hütern unseres immateriellen Kulturschatzes werden wir es vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft verdanken, daß die meisten Hundertjährigen nicht mehr aus Japan oder Sardinien kommen. Nein, aus Franken, wenn wir ihnen den Rang abgelaufen haben. Also ermutigen wir als eifrige Konsumenten unsere fränkischen Bäcker, weiter mit dem Teig zu tanzen.

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Franken-Magazin - Ausgabe 03-04 2023

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