Ein offenes Haus
Sanierung und Neubau des Mainfrankentheaters in Würzburg sind auf der Zielgeraden.
Text: Eva-Suzanne Bayer | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Noch verstellen unzählige Kisten, Leitern und Sichtblenden den Durchblick. Noch braucht man ein bißchen Phantasie, um sich vorzustellen, wie sich in wenigen Wochen der endlich fertiggestellte Neubau des Mainfränkischen Theaters Würzburg den Premierengästen präsentieren wird. Doch an vielen Stellen sieht man, worin der Reiz der neuen Theaterarchitektur bestehen wird: Das Theater ist ein offenes Haus sowohl in baulichem wie in inhaltlichem Sinne, das Passanten auf dem Kardinal-Faulhaber-Platz und der Theaterstraße Einblick ins Hausinnere gewährt und den Theaterbesuchern des Kleinen Hauses und später auch des Großen Hauses Durchblicke nicht nur zu den gesamten Foyerräumen bietet, sondern auch den Ausblick auf die Stadt. Vom Balkon, der sich vom 2. OG der Theaterfront auf den Faulhaber-Platz öffnet, kann man die Residenz und die Domtürme sehen, die Festung erahnen. Dreht man sich um, schweift der Blick frei über den hellen Naturstein der Innenwände, den hellen Holzboden, die Sitzbänke und die Theke der Pausengastronomie bis zur großzügigen Wendeltreppe, die den zweiten mit dem ersten Stock, die Parkett- und die Rangeingänge schwungvoll verbindet. Das helle und luftige Material leitet den Blick leicht durch den Raum. Die Treppe aber ist Eyecatcher und Bewegungsmotivation, ein dynamisches Raumzeichen voll Festlichkeit. Natürlich sind alle Ebenen auch mit dem Aufzug zu erreichen; das gesamte Haus ist barrierefrei. Das Drinnen wird mit dem Draußen auch durch zwei große LED-Wände im Eingangsbereich verbunden. Hier informiert das Theater über den Spielplan und Neuinszenierungen, Programmänderungen und allerlei Wissenswertes.
Sanierung und Neubau
Nach Jahren voller Pech und Pleiten wird nun der Neubau des Kleinen Hauses am 2. Dezember eröffnet. Vor fünf Jahren schon begannen die Bauarbeiten zum Neuen Haus, das eine Spielstätte, Ballettsaal, zwei Probebühnen, Foyerflächen, Kassenbereich und eine eigenständige Gastronomie enthält. 2020 wurde der Spielbetrieb in die Blaue Halle im Dürrbachtal verlegt. Doch die Zusammenarbeit mit dem Hamburger Architekturbüro erwies sich als schwierig, mehrfach mußte ein angepeilter Eröffnungstermin verschoben werden. Die Baukosten stiegen von 72 Millionen Euro auf heute 103 Millionen. Nachdem der ehemalige Partner Insolvenz angemeldet hatte, übernahm im Januar 2023 das Schweinfurter Architekturbüro FMP design engineering GmbH das Bauprojekt. Jetzt ist der ganze Neubau betriebsbereit. Die Sanierung des Altbaus wird wahrscheinlich noch bis 2026 dauern; inzwischen steht aber zumindest der Rohbau. „Wir haben hier die einmalige Chance, mit der Sanierung der alten Spielstätte auch einen Neubau zu bekommen und beide werden natürlich auch von der Technik her auf dem neuesten Stand sein,“ sagt der Geschäftsführende Direktor Dirk Terwey, der zusammen mit Intendant Markus Trabusch durchs Gebäude führt. Beiden ist die Freude an dem neuen Haus anzumerken, das, wenn es einmal ganz fertig ist, alles von den Werkstätten bis zum Orchesterprobenraum, von den Probebühnen bis zur Verwaltung alles unter einem Dach vereinigen wird.
Perfekter Überblick über die Spielfläche
Die Probenarbeit ist schon ganz ins neue Haus eingezogen. In der Maske, dem „Raum der Ruhe und Sammlung vor der Vorstellung“ (Terwey) ist alles eingerichtet, funktioniert und sieht aus, als sei es schon länger benutzt. Im Kleinen Haus mit seinen 330 Plätzen finden die Beleuchtungsproben zu Roland Schimmelpfennigs Einakter „Der Riss durch die Welt“ statt. Drei Schauspieler stehen vor einer felsenartigen Rückwand, in der Mitte des Bühnenraums von elf Metern Tiefe und 14,5 Metern Breite liegt eine größere quadratische Struktur, die an einen Sandkasten erinnert. In der Oberbühne hängen drei, wie große Surfbretter aussehende Objekte. Mit ihnen will Regisseur Trabusch zeigen, was die Obermaschinerie leisten kann und rote Luftballons auf die völlig neugestaltete „Bühne“ regnen lassen. Aber natürlich kann sie noch viel mehr – man darf auf den Premierenabend gespannt sein. Vor allem: die langbewährte Guckkastenbühne mit Vorhang und Rampe gibt es im Kleinen Haus nicht mehr. Zuschauer- und Bühnenraum sind nur durch eine Lichtschranke getrennt. Schauspieler und Publikum begegnen sich wahrhaft auf Augenhöhe. Die Sitzreihen mit den dunkelfarbigen und sehr bequemen Sesseln steigen steil an, so daß man von jedem Platz einen perfekten Überblick über die Spielfläche bekommt. Für eine ebenfalls perfekte Akustik sorgen Akustikpaneelen, mit denen die Sichtbetonmauern verkleidet sind. Dieser so viele Gestaltungsmöglichkeiten ja geradezu fordernde Raum wird die Spielfläche für das Schauspiel, kleinere Operninszenierungen und einige Ballettabende sein.
Große Besetzung
Besonders das Kinder- und Jugendtheater wird mit breiterem Angebot aufwarten als bisher. Insgesamt sind 12 Schauspiele geplant. Opern, größere Ballettchoreographien werden weiterhin in der Blauen Halle zu sehen sein. Orchesterkonzerte finden in der Musikhochschule statt und Kammerkonzerte wie seit einiger Zeit im Toscanasaal der Residenz. Zum Auftakt aber zwei Einakter von Roland Schimmelpfennig (Jahrgang 1967). Er gehört zu den meistgespielten Autoren der Gegenwart und wird bei der Premiere am 2. Dezember anwesend sein. In Würzburg aber wurde noch nie ein Stück von ihm gezeigt. Sein Fünf-Personen-Stück „Der Riss durch die Welt“ von 2019 spielt in der völlig abgeschieden gelegenen Luxusvilla eines schwerreichen Kunstsammler-Ehepaars. Zu Besuch ist eine junge Künstlerin mit ihrem etwas undurchsichtigen Freund. Die Künstlerin möchte die beiden zu einem Mäzenatentum für eine reichlich apokalyptische Installation gewinnen – und natürlich geht es um Macht und Geld, den Kapitalismus und seine Sklaven. Der Einakter „Der Kreis um die Sonne“, 2021 in München uraufgeführt, ist ein personenreiches Pandemiestück, das düstere Schatten in eine scheinbar ausgelassene Partystimmung wirft. Es verlangt eine große Besetzung, so daß alle 16 Ensemblemitglieder des Theaters vorgestellt werden können. Am Nachmittag des 3. Dezember können dann Kinder und Jugendliche bei Michael Endes „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ das neue Haus kennenlernen. Eine der beiden Probebühnen wird als zweite Spielstätte mit 130 Plätzen genutzt werden. Hier findet am 3. Dezember die Premiere zu dem Tanzabend „Hautnah“ statt.
Vorspiel im Ballettsaal
Im Ballettsaal, dem momentan lebendigsten und transparentesten Raum des Gebäudes pulsiert schon so richtig der Theateralltag. Die gesamte Companie probt für die Premiere der „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi (Recomposed Max Richter) in der Choreographie von Dominique Dumais Anfang November in der Blauen Halle. Allen ist anzumerken, wie sehr sie sich über den Umzug aus einer Versbacher Turnhalle ins Neue Haus freuen. Und dieser Raum mit seinen 12 auf 14 Metern kann sich sehen lassen! Neben der Spiegelwand ist er auf zwei Seiten verglast. Die eine Front blickt hinaus auf den Faulhaber-Platz, so daß Passanten einen Blick aufs tägliche Training erhaschen können und dadurch vielleicht zu einem Theaterbesuch animiert werden. Die andere wird ins Haus führen und vom Foyer aus Einsicht gewähren. Damit die Tänzer, sollten ausnahmsweise nach 18 Uhr noch Proben stattfinden, sich nicht zu sehr wie auf dem Präsentierteller fühlen, trennt ein Vorhang den Ballettsaal vom Foyerbereich. Im Erdgeschoß verbindet die Gastronomie neben der Theaterkasse und dem großzügigen Eingangsbereich das Draußen mit dem Drinnen. Die ganzjährige und vom Spielbetrieb unabhängige Gastronomie besitzt im Sommer auch Außenplätze, lädt vom reichhaltigen Frühstücksangebot bis zum Schmankerl nach der Vorstellung zu längerem Verweilen ein und eignet sich hervorragend für Begegnungen mit den Theaterschaffenden. Ein Würzburger Gastronom hat sich bereits gefunden.