Tacheles reden
Bildungsarbeit steht im Fokus des Jüdischen Museums Fürth
Text: Eva-Suzanne Bayer | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Wo immer man sich im Jüdischen Museum in Fürth befindet, immer spielt der Bau selbst, ein ehemaliges Wohnhaus aus dem 18. und 19. Jahrhundert, eine wichtige Rolle. Wie auch das Jüdische Museum in Schnaittach und Schwabach, mit denen zusammen Fürth seit 2018 das „Jüdische Museum Franken“ bildet, ist der Bau ein historisches Baudenkmal. Das Museum in Schnaittach, 1996 eröffnet, befindet sich in einer im 16. Jahrhundert erbauten Synagoge, die im 18. Jahrhundert erweitert wurde. Im Rabbinerhaus befindet sich ein Ritualbad. Drei getrennt liegende Friedhöfe kann der Besucher besichtigen. In Schwabach beherbergt das ehemalige Wohnhaus des Kaufmanns Moses Löw-Koppel aus dem 18. Jahrhundert das 2018 eröffnete Museum. Bei Renovierungsarbeiten im Jahr 2000 entdeckte man hier eine Laubhütte mit seltenen Wandmalereien. Fürth, einst das bedeutendste jüdische Zentrum in Süddeutschland, verfügte nahe dem Fürther Rathaus, über den „Schulhof“, auf dem sich seit 1600 vier Synagogen, eine renommierte Talmudschule, ein Ritualbad, die Gemeindekanzlei befanden. Der „Schulhof“ wurde im Novemberpogrom 1938 zerstört. Das stattliche Gebäude des Jüdischen Museums in Fürth ist ein ehemaliges jüdisches Wohnhaus, das im 18. und 19. Jahrhundert mehrfach erweitert wurde. Es wurde sorgfältig restauriert und 1999 als Museumsgebäude eingerichtet. Das historische Museumsgebäude wurde lange von der Familie Fromm bewohnt, die 1691 die erste hebräische Druckerei in Fürth betrieb. 2018 konnte ein mit dem Altbau verbundener Neubau errichtet werden. Der ockerfarbige Außenbau mit seinen großen Fenstern bildet bewußt einen Kontrast zum Museumsaltbau, der in seiner Abgeschlossenheit von außen an eine Genisa, erinnert – ein Ort, an dem alte und nicht mehr lesbare Torarollen aufbewahrt wurden, die, weil der Gottesname darin erscheint, nicht weggeworfen werden dürfen.
Spiraltreppe aus einem Eichenholzstamm
Drinnen im Neubau ermöglichen großzügige Fenster vielfache Blickachsen auf den Altbau und die Stadt, auf die wunderbar altmodischen Dächer der Umgebung, auf verwinkelte Architektur, auf den Innenhof und Garten. Die Dauerausstellung, zu einem großen Teil aus der Judaika-Sammlung von Werner und Suzanne Gundelfinger gestiftet, wird im Altbau präsentiert. Hier kann man noch deutlich den Geist der vergangenen Jahrhunderte spüren in den niedrigen, fast labyrinthischen Wohnräumen des 1. Stocks mit den Holzbalkendecken, den alten Türen und Schwellen und den noblen Repräsentationsräumen des 2. Stocks mit den hohen, opulent gestalteten Stuckdecken. Im Erdgeschoß steigt man über ausgetretene Sandsteinstufen hinab in eine Mikwe, ein Ritualbad mit zwei Räumen, zwei Treppenzugängen, die heute noch Wasser führt. Vom 2. Stock aus geht es über eine enge Holztreppe in eine Laubhütte mit sehr bescheidener Einrichtung und herausnehmbaren Dachplatten, damit man während des einwöchigen Laubhüttenfests im Gedenken an die 40jährige Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten, die Sterne sehen kann. Ein besonderes Juwel ist aber die Spiraltreppe aus einem Eichenholzstamm, die das ganze Haus durchzieht.
Der Neubau bietet nun nicht nur Raum für ein helles Museumscafé und den Museumsshop, sondern auch für die wunderbar konzentrierende Bibliothek in ruhigen Farben mit ihren ca. 15.000 Büchern. Standen bisher nur zwei Kabinette für temporär begrenzte Ausstellungen zu regionalen Themen zur Verfügung, so bietet der Neubau nun einen Saal für größere Wechselausstellungen. Vor kurzem wurde eine großangelegte Kunstausstellung des amerikanischen Künstlers Arnold Dreyblatt über den Schriftsteller Jakob Wassermann (1873 – 1934) eröffnet (bis 26.11. zu sehen), der vor 150 Jahren in Fürth geboren wurde. Sein einstiger Bestseller „Der Fall Mauritius“ über einen Sensationsprozeß in der Wilhelminischen Ära setzt sich kritisch und äußerst spannend mit Recht, Gerechtigkeit und dem Verhältnis zur Wahrheit in dieser Zeit auseinander. Noch wichtiger aber ist sein Buch „Mein Weg als Deutscher und Jude“ (1921). Obwohl als Autor im In- und Ausland äußerst erfolgreich, fühlte sich Wassermann stets auf sein Jüdischsein festgenagelt und nicht als deutscher Schriftsteller anerkannt. Er hatte im Gegensatz zu anderen Juden, in der Weimarer Republik keine Hoffnung auf die Wiedergeburt der aufklärerischen Ideale gehabt, sagt Daniela F. Eisenstein, seit 2003 Direktorin des Jüdischen Museums Franken, im Gespräch. „Am Ende hatte er den Eindruck, gescheitert zu sein.“ Auf diesen autobiographischen Text aufbauend richtete Arnold Dreyblatt, 1953 in New York geboren und seit 2009 an der Akademie der Künste Berlin lehrend, eine 55-minütige Dreikanal-Filminstallation ein. Bilder vom handgeschriebenen Manuskript, gedruckten Auszügen und den Händen Wassermanns überlagern sich mit einem Foto des Autors. Gleichzeitig lesen elf Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts aus diesem Essay vor.
Teams für Forschung und Bildungsarbeit
Doch der Altbau bietet nicht nur mehr Raum für Wechselausstellungen, er bietet auch Platz für ein ausgedehnteres Bildungs- und Vermittlungsteam, das seit einem Jahr vom Staatsministerium für Unterricht und Kultus institutionell gefördert wird. Drei Teams stehen nun zur Verfügung für Sammlung, Forschung und Ausstellungen, für Bildung und Vermittlung und für Verwaltung und Betrieb. War zuvor gerade eine museumspädagogische Stelle besetzt, so hat die Abteilung nun drei Angestellte und zwei Kooperationspartner in schulischen Projekten, darüber hinaus 20 freischaffende Guides. Führungen mit unterschiedlichster Thematik zu jüdischer Geschichte, jüdischer Religion und jüdischem Alltagsleben werden für alle Schulklassen und alle Schularten angeboten. In den Frühjahrs-, Pfingst- und Herbstferien gibt es ein gesondertes Ferienprogramm. Diese Angebote beschränken sich nicht nur aufs Museum. Sie gehen hinaus in die Stadt, zu Orten und Plätzen, die einst von jüdischem Leben erfüllt waren, sie erzählen Geschichten von den Juden und Jüdinnen, die hier wohnten, sie besuchen jüdische Friedhöfe. Alle Führungsangebote sind dialogisch oder interaktiv gestaltet. In den Führungen will man immer mehr von vortragsähnlichen Monologen zu Dialogen in einem interaktiven Prozess übergehen, bei dem Schüler aktiv mitarbeiten. Auch Workshops und Fortbildungen für Lehrer werden angeboten. Denn Lehrer sind immer die wichtigsten Verbindungen zu Schulen. Derzeit arbeiten zwei Lehrer der Kooperationspartner Katholisches Dekanat Fürth und des Museumspädagogischen Zentrums München für das Jüdische Museum Franken.
Unter Hilfestellung der Museumpädagogen, der Lehrer oder auch ganz selbständig findet pro Jahr eine Schülerausstellung statt. Für die zweite Hälfte 2023 beschäftigt sich eine Schulkasse des Hans-Sachs-Gymnasium Nürnberg mit dem Thema „Jüdisches Leben heute in Nürnberg“. Dabei interviewen die Schüler bekannte und unbekannte Juden und Jüdinnen in ihrer Heimatstadt. Eine andere Schülerausstellung befaßte sich mit Kopfbedeckungen in der jüdischen und muslimischen Region. Bei der Themenauswahl für Führungen sind, so Direktorin Daniela F. Eisenstein, „biographische Zugänge wichtig“. Weitere interaktive Angebote bietet auch die Dauerausstellung oder Workshopangebote, beispielsweise in der Museumsküche. So ist es zum Beispiel möglich, im Garten des Museums Feigen, Mandeln, Granatäpfel, Weintrauben und verschiedene, in der Bibel erwähnte Kräuter für Koch- oder Backkurse über die jüdische Küche kennenzulernen und einzusetzen. Oder man kann erfahren, wie der Sabbat riecht. Und wie riecht er? Nach Zimt und Nelken, die in sogenannten Besamimbüchsen, die in Blüten-, Turm- oder Windmühlenform existieren konnten oder in ein kleines Stoffsäckchen gefüllt wurden.
Unterschiede erkennen und akzeptieren
Mit der Zeit möchte die Direktorin eine neue Themenstruktur auch in der ständigen Ausstellung einrichten, die sehr stark durch Neuerwerbungen, vor allem aber durch Schenkungen wächst. Sie möchte weg von chronologischen Hängungen und Abwicklungen, möchte vor allem weg von der Trennung vor Religion und Geschichte, denn das eine bedingt das andere. Wissen zu vermitteln sei zwar notwendig. Aber „noch wichtiger ist es, Empathie zu vermitteln, zum Nachdenken anzuregen und vor allem die Besucher und Besucherinnen dazu zu ermutigen, andere Perspektiven kennenzulernen und sich selbst gesellschaftlich einzubringen“. Das Jüdische Museum sei ein Ort, Jüdisches aus der jüdischen Perspektive zu erfahren. „Man muß von den Unterschieden ausgehen, einen Kulturvergleich machen und die Unterschiede akzeptieren. Empathie reicht nicht. Toleranz ist zu wenig. Was wir brauchen ist Akzeptanz!“ Zudem betont sie, es sei wichtig, Juden nicht immer als passive Akteure in der Geschichte darzustellen. Im Obergeschoß des Altbaus wird das in einer Kabinettausstellung über den Fürther Rechtsanwalt Alfred Nathan (1870 – 1922) deutlich. Der Bankierssohn setzte die Tradition seiner Familie als Mäzen und Stifter fort und gründete und finanzierte ein Säuglings- und Wöchnerinnenheim in seiner Heimatstadt. Was in den letzten Jahren aber leider wieder notwendig geworden ist, sind Bildungsangebote gegen Antisemitismus. Dazu bietet das Jüdische Museum Franken einen an Schüler ab der 8. Klasse, an Studierende und Erwachsene gerichteten Workshop mit dem auf Verschwörungstheorien anspielenden Titel „An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld“ an und eine Fortbildung für Lehrkräfte, pädagogisches Fachpersonal und weitere Multiplikatoren – „Tacheles reden!“