Ausgabe Mai / Juni 2023 | Theater

Theater ist Kommunikation

Ein Gespräch mit der Intendantin Katja Ott über das Erlanger Theater

Text: Eva-Suzanne Bayer | Fotos: Jochen Quast
„Bartholomäusnacht – Ein Requiem“ von Thomas Krupa, Uraufführung, Spielzeit 2020/21
„Bartholomäusnacht – Ein Requiem“ von Thomas Krupa, Uraufführung, Spielzeit 2020/21

Seit 14 Jahren ist Katja Ott die Intendantin des Erlanger Stadttheaters. Nun hat sie ihren Vertrag über die Spielzeit 2023/24 nicht verlängert. „Es ist der richtige Moment zum Gehen“, sagt sie. „15 Jahre waren eine gute Zeit. Wir haben vieles begonnen und jetzt braucht es neue Leute für neue Impulse zwischen Stadt und Theater“. 2009 kam Ott aus Braunschweig an das damals 290 Jahre alte ein­stige „Hochfürstliche Opern- und Komödienhaus“ in erlesenem Rokoko-Stil. Als freie Regisseurin hatte sie schon lange an bedeutenden Bühnen gearbeitet, fünf Jahre lang war sie Schauspieldirektorin in Braunschweig. Sie hat das Erlanger Theater in schwierigen Zeiten – nicht nur durch Corona – mit vielen zukunftsträchtigen Ideen und Initiativen zu einem bundesweit beachteten Theater gemacht. Bei den Bayerischen Theatertagen, in Mühlheim und beim Stückemarkt ist es regelmäßig vertreten. 2021 erhielt es den Theaterpreis des Bundes. Die 75 000 € Preisgeld inve­stierte Ott in einen Theaterbus, mit dem sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: Zum einen brach sie aus den beschränkten Räumlichkeiten des alten Hauses aus. Zum anderen kann sie mit Aufführungen im Bus etliche neugierig machen, die von sich aus den Weg ins Theater nicht so ohne weiteres fänden. „Wenn ihr nicht kommt, kommen wir“, sagt Ott. Der Bus klappert nicht nur etliche Standorte in der Stadt ab, er fährt auch ins Umland bis Forchheim und Herzogenaurach. Für Kinder und Jugendliche, denen schon seit der Braunschweiger Zeit ein Hauptinteresse gilt, richtete Ott das „Theater im Klassenzimmer“ ein. Weil der bayerische Lehrplan, im Gegensatz zu dem anderer Bundesländer, Theaterbesuche während der Unterrichtszeit nicht vorsieht, bietet das Theater Erlangen an, mit bestimmten Einstudierungen die Schulen direkt zu besuchen und mit den Schauspielern im Klassenzimmer zu spielen. Und natürlich mit denselben, die in den Abendvorstellungen im „Nathan“ oder dem „Zerbrochenen Krug“ auftreten. „Nur wenn der künstlerische Level für Kinder und Jugendlichen derselbe ist wie für Erwachsene, können sie ein Gefühl für Qualität entwickeln“, sagt sie. „Theater ist auch eine Schule des Sehens. Der Besuch des Weihnachtsmärchens ist viel zu wenig! Wer heute Kinder und Jugendliche in seinem Angebot vernachlässigt, hat morgen kein Publikum mehr.“ Stücke für Kinder und Jugendliche machen deshalb mit drei bis vier Inszenierungen im Jahr ein Drittel des Spielplans aus. Schülerkarten verdrängen die Jugend zudem nicht auf Plätze mit schlechter Sicht, sondern sind mitten im Parkett. „Sonst kommen die nicht noch einmal.“

Intendantin Katja Ott während der Probenarbeit
Intendantin Katja Ott während der Probenarbeit zu „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“ von Martin Heckmanns, Spielzeit 2022/23

Künstlerkollektive und Bürgerbühne

Katja Ott, die sich als „Bekennerin des Repertoire-Theaters und des festen Ensembles“ bezeichnet, hat den in Erlangen lange üblichen Gastspielbetrieb von früher 18 Gastspielen auf nunmehr drei bis sechs im Jahr umgestellt. Ihr Haus hat jetzt 70 festangestellte Mitarbeiter und ein Ensemble von neun bis zehn SchauspielerInnen. Außerdem verfügt das von Budget und circa 370 Sitzplätzen eher „kleine Stadttheater“ über eine moderne Licht- und eine der bundesweit besten Tonanlagen. Nicht nur in die Technik wurde viel investiert, sondern auch in neue Bereiche. Man arbeitete mit Künstlerkollektiven zusammen und richtete eine „Bürgerbühne“ ein. Im Gegensatz zu den ebenfalls vorhandenen „Spielclubs“ für Jugendliche mit der für ein kleines Stadttheater beachtlichen Anzahl von drei Theaterpädagogen, die in einem kreativen und spielerischen Prozeß Wege zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit erkunden, wird die „Bürgerbühne“ von einem professionellen Team geleitet und ist ergebnis­orientiert. In acht bis zehn Monaten erarbeiten Bürger und Theaterprofis zuerst ein für beide relevantes Thema, dann das Stück dazu, danach die Aufführung. „Das ist ein Gewinn für beide Seiten“, sagt Ott. „Die Profis erfahren hier vieles über die Lebenswirklichkeit der Bürger, und Bürger lernen professionelle Theaterarbeit kennen.“ In diesem Jahr wird das Thema „Pflege“ sein, das ja nun alle in irgendeiner Weise angeht.

Weihnachtsmärchen „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler, Spielzeit 2011/12
Weihnachtsmärchen „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler, Spielzeit 2011/12

In einer Zeit, in der viel über den Wandel des Bildungsbürgertums und der Bildung generell diskutiert und über Wege nachgedacht wird, die Kulturmüden an die traditionellen Kulturinstitute zu binden, reagiert Kaja Ott mit „Einfach etwas machen!“ und vielen Ini­tiativen zu Gesprächen zwischen Theaterschaffenden und Publikum. Deshalb richtete sie neben den üblichen Einführungen vor den Vorstellungen Gespräche nach dem Theaterbesuch ein, sowie Foyergespräche. „Theater ist Kommunikation“, sagt sie, „ganz gleich, ob es wie in einem klassischen Stück von der Bühne in den Zuschauerraum geht oder ob man mit Bürgern gemeinsam etwas entwickelt.“ Und sie fügt hinzu: „Städte gleichen sich in ihren Zentren und Einkaufsmeilen immer mehr, Kirchen und Vereine verlieren gleichzeitig ihren früheren Stellenwert. Da ist das Theater die größte Kulturinstitution in der Stadt, der einzige Ort, wo sich fast täglich Menschen aus den verschiedensten Bereichen treffen, um gemeinsam an etwas teilzunehmen und es miteinander zu erleben.“

Der Theaterbus „on the road“ zur Einweihungsfeier im Treffpunkt Röthelheimpark Erlangen, Mai 2022
Der Theaterbus „on the road“ zur Einweihungsfeier im Treffpunkt Röthelheimpark Erlangen, Mai 2022

Es gibt nicht mehr EIN ­Publikum

Und: „Das klassische Bildungsbürgertum auf das die Kulturinstitutionen setzten, gibt es nicht mehr, ebenso schrumpft das klassische Abonnentenpublikum. Es gibt nicht mehr EIN Publikum. Das heutige ist wechselnd und spontan. Man muß es dazu bringen, daß es mit ebenso großer Selbstverständlichkeit sich für einen Theaterbesuch entscheidet wie für einen Abend in einem Restaurant.“ Mit all den vielen Angeboten, mit denen in Erlangen Theater in die Stadt getragen wird, Gespräche zwischen Theatermachern und Publikum angeboten und gerade Kinder und Jugendliche zum Theaterbesuch animiert werden, scheint man jedenfalls auf einem richtigen Weg zu sein, denn das Theater kann sich kontinuierlich zunehmender Resonanz in der Öffentlichkeit erfreuen.

Intendantin Katja Ott im Gespräch mit Schauspieler Hermann Große-Berg
Intendantin Katja Ott im Gespräch mit Schauspieler Hermann Große-Berg während der Probenarbeit zu „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“ von Martin Heckmanns, Spielzeit 2022/23

Außer natürlich in den schlimmen „Corona“-Jahren. Doch auch da griff man sofort zur Selbsthilfe. Wenn das Theater schon geschlossen war, so drehte man als ganz neue Erfahrung einen Theaterfilm und stellte ihn ins Netz. „Das ist ein Vorteil für kleine Häuser“, sagt Katja Ott. „Sie sind zwar klein, aber flexibel und sportlich und können viel schneller reagieren als die gewichtigen großen Häuser.“ Ott inszenierte als erste „Corona“-Produktion der neugegründeten Digitalen Bühne „Let Them Eat Money“ von Autor Andres Veiel , das in der nahen Zukunft spielt und den Prozeß zeigt, den AktivistInnen gegen Banker führen, die gerade mit pseudosozialen Ideen das europäische Finanzsystem an die Wand gefahren haben. Ein höchst aktuelles Stück, so komplex und vielschichtig, daß man es auch ein paarmal sehen kann.

„Golden House“ nach dem Roman von Salman Rushdie, Uraufführung, Spielzeit 2018/19
„Golden House“ nach dem Roman von Salman Rushdie, Uraufführung, Spielzeit 2018/19

Neben Klassikern stehen in Erlangen zahlreiche heutige Stücke (Ott: „Es gibt so viele tolle zeitgenössische Theaterautoren!“), aber auch adaptierte oder selbstent­wickelte Romanfassungen für die Bühne auf dem Spielplan, wie Josef Bierbichlers „Mittelreich“ oder zwei Romanbearbeitungen nach Hans Fallada. „Das hat große Vorteile“, sagt Ott „besonders für ein kleines Haus mit maximal zehn SchauspielerInnen. Man braucht nicht alle Personen des Romans und kann so große Themen, große Stoffe ganz anders erzählen. Zwar gleicht der Roman nicht der Bühnenfassung, aber Theater ist ohnehin eine interpretierende Form und eine Roman­adaption (die sich auf ein kleines, aber adäquat besetztes Personal konzentriert) ist lohnenswerter als sich auf Fünf-Personen-Stücke zu konzentrieren.“

„Let Them Eat Money. Welche Zukunft?!“ von Andres Veiel, digitale Produktion, Spielzeit 2019/20
„Let Them Eat Money. Welche Zukunft?!“ von Andres Veiel, digitale Produktion, Spielzeit 2019/20

Wie die Zukunft für sie aussieht, weiß Katja Ott noch nicht. Sicher wird Regiearbeit im Zentrum stehen, die sie ja in den Beruf geführt hat. Künstlerisch wie administrativ hat sie in Erlangen viel erreicht, neue Denk- und Arbeitsanstöße gegeben. Welcher Zukunftswunsch ist für das Erlanger Theater noch offen? „Mehr Räume!“ kommt von Katja Ott ganz schnell. „Eine Studiobühne!“ Wenn der Erfolg konstant bleibt, ist das sicherlich nicht unwahrscheinlich.

„Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes“ von Finn-Ole Heinrich
„Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes“ von Finn-Ole Heinrich, ein Kinderstück im Theaterbus, Spielzeit 2021/22

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