Mit Benzin und Rhythmus im Blut

Es ist besser als jedes Glückshormon. Das sonore Brammeln eines Oldtimermotors macht definitiv glücklich. Und es entspannt. Wer jemals an einem Sommertag in einem blank polierten Alfa Romeo Spider (selbstverständlich Rundheck und Baujahr zwischen 1966 und 1970) durch Franken geglitten ist, weiß, wovon hier die Rede ist. Der baritone Sound und das sanfte Vibrieren des Rennmotors lassen das Herz höherschlagen. Es duftet nach antikem Leder und Benzin. Das Holzlenkrad erinnert an eine dieser fantastischen Riva-Yachten. Das ist „La Dolce Vita“ pur. Der Rundheckspider weckt Erinnerungen an den vier Jahre währenden „Summer of Love“. Und auch wenn es Zufall ist, dass die Produktionszeit so genau in diese kurze Epoche gefallen ist, so passt der Alfa doch so gut in die Zeit wie nur wenige andere Autos. Seine Form, entstanden unter der Ägide des Firmenseniors Battista Pininfarina, wirkt heute noch so frisch und unverbraucht wie ein Song des Albums „Déjà Vu“ von Crosby, Stills, Nash & Young“. Sie merken – wir geraten gerade ins Schwärmen …

Die Liebe zu historischen Automobilen – von der kleinen Isetta oder dem Goggomobil über die schicken Straßenkreuzer wie einem Chevrolet Bel Air oder einer Corvette, dem edlen Maserati Quattroporte oder einem Rolls-Royce Silver Shadow – ist Faszination für die Schönheit des Autodesigns und großartiger Ingenieurleistung. Sie ist aber auch immer mit einer Leidenschaft und Sehnsucht für ein ganz bestimmtes Lebensgefühl verbunden. Im pittoresken mittelfränkischen Wolframs-Eschenbach wird diese Leidenschaft seit einigen Jahren in besonderer Weise gefeiert. Bereits zum fünften Mal wird die rund 3 200 Einwohner zählende Stadt, die ihren Namen dem berühmten Parzival-Dichter und Verfasser epischer Werke, Wolfram von Eschenbach (ca. 1170 – 1220), verdankt, heuer wieder zur „Oldie­town“. Zur Metropole für heiße Schlitten, die entsprechenden Outfits und die passende Musik. Mehr als 15 000 Gäste zieht der größte Retro-Event Nordbayerns an. Am Sonntag röhrt vor dem Oberen Tor hinter den historischen Wehrmauern die Oldtimer-Parade durch die Richard-Wagner-Straße. Stilecht sieht man so manchen Fahrer mit Lederkappe und Rennfahrerbrille, das weibliche Pendant – wie einst Grace Kelly an der Côte d’Azur – mit Kopftuch und weißen Lederhandschuhen am Steuer eines Boliden durch die Gassen cruisen. Jedes Fahrzeug ist ein selten gewordenes Unikat. Ein Relikt aus einer Zeit, in der Fahrzeuge höchst individuell und Fahren ein lustvolles Vergnügen war; in der Begriffe wie „Zwischengas“ und „Doppelkuppeln“ oder Sätze wie „Ich muss mal schnell die Zündkerzen sauber bürsten“ ganz normal waren. Das „Oldietown“-Festival ist ein Fest für die Fahrer – und die begeisterten Gäste. Mitmachen darf hier übrigens jeder, dessen Fahrzeug nicht jünger als Baujahr 1975 ist. An Tag zwei wird der „Sieger“ der Oldtimer-Show prämiert. Weit über 400 Oldtimer pro Tag lassen Sie eintauchen in die Zeit der 50er-60er-Jahre.

Doch die fränkische Mille Miglia legt noch einiges drauf: Denn passend zu den historischen Fahrzeugen darf sich jeder, dem danach ist, stilecht in Schale werfen. Und wer kann da schon nein sagen. An zwei Tagen wird auf Pumps mit schicken Kleidern und wippenden Petticoats über das Wolframs-Eschenbacher Pflaster gestöckelt – und viel getanzt. Die Gastronomie sorgt für passende kulinarische Genüsse. Die Stadt gibt sich den Anstrich der vergangenen Wirtschaftswunderzeit. Neben den vielen Automobil-Begeisterten trifft sich hier inzwischen auch die „eingefleischte“ Fan-Szene für die verschiedensten Musik-Stile der 50er-60er Jahre, Rockabilly, Rock‘n‘Roll, Rhythm‘n Blues der späten 40er und frühen 50er-Jahre. Auf sieben Bühnen am Oberen Tor, Hauptstraße, Alter Vogtei, dem malerischen Marktplatz vor dem Renaissance-Rathaus, am Kirchhof und Heumarkt sowie am Festplatz vor dem Unteren Tor bringen mehr als 30 Bands, welche zur Creme de la Creme der Deutsch – Europäischen Vintage-Musiker-Szene gehören, das historische Pflaster zum Beben. Besonderes Highlight ist der Sänger „KING“ aus Irland, der in den 90er-Jahren seine Hits mit authentischer Elvis-Stimme u. a. über MTV zu internationaler Bekanntheit brachte.

Zahlreiche Tanzgruppen zeigen, wie man den Boogie-Woogie, Jive oder einen echten Überschlag hinbekommt. Es ist also durchaus ratsam, auch noch ein paar Turnschuhe (so hießen „Sneaker“ damals) im Handtäschchen dabei zu haben.

Man sieht Frisuren, die lockig und mit einer guten Portion Haarspray, nach Manier einer Gina Lollobrigida oder einer Sofia Loren in Form gehalten werden. Oder männliche Retrofreunde, die à la Elvis oder seinem deutschen Gegenstück, Peter Kraus, tief in den Pomadentopf gelangt haben. Es gibt aber natürlich auch die, die im Stil einer Janis Joplin oder eines Jimi Hendrix, alles so lassen, wie es wächst und gedeiht, vielleicht nur mit ein bisschen Flowerpower on top. Übrigens: Wer meint, den fluffigsten Petticoat weit und breit zum Wippen zu bringen, der kann sich beim Petticoat-Wettbewerb am Samstag sogar zur „Miss Oldie­town“ küren lassen.