Ausgabe März / April 2023 | Natur & Umwelt

Sisyphos an Pop-up-Laichplätzen

Gelbbauchunke, Kammmolch und Kreuzkröte, drei faszinierende ­Amphibien, deren Bestand stark gefährdet ist. Nachdem ihre ursprünglichen Habitate, natürliche Auenlandschaften, fast verschwunden sind, haben sie in den Steinbrüchen Mainfrankens Ersatzlebens­räume gefunden. Dort kämpfen Amphibienschützer wie Lothar Deppisch, Christiane Brandt und Ulrike Geise um deren Überleben.

Text: Sabine Haubner
Kammmolch auf Brautschau, © Jan Ebert, Bund Naturschutz/Lichtenfels
Kammmolch auf Brautschau, © Jan Ebert, Bund Naturschutz/Lichtenfels

Endlich kann ich in einem Steinbruch oberhalb von Eibelstadt (Lkr. Würzburg) den Balzgesang der Gelbbauchunken hören. Ein Ausnahmeerlebnis! Nach zwei Jahren Vorlauf auf den Spuren der Trias sehr seltener heimischer Amphibien, die in mainfränkischen Steinbrüchen leben: Gelbbauchunke, Kammmolch und Kreuzkröte. Visiten an kleinen Tümpeln und Betonbecken brachten durchweg Begegnungen mit Hüpferlingen: kleinen, frisch umgewandelten Froschlurchen, die noch nicht über die typischen Merkmale wie etwa den gelbgesprenkelten Bauch oder warzigen Rücken verfügen. Vergeblich suchten wir nach erwachsenen Amphibien. Kein Foto war möglich, das ihre Schönheit festhielte.An diesem Abend bekommt Lothar Deppisch ein Exemplar vors Objektiv. Nach dem offiziellen Termin im Botanischen Garten in Würzburg, bei dem wir den Kammmolch im Visier hatten, der aber vor jeglicher Shooting-Option abtauchte, begleite ich den ehrenamtlichen Lurchschützer noch auf seinen Kontrollgang zum Eibelstädter Amphibienstandort mit zwei tieferen Gewässern.

Pupille in Herzform

Gelbbauchunke in „Kahnstellung“. So präsentiert sie ihren signalgelben Bauch zur Warnung: Achtung giftig! © Herwig Winter/Wikimedia
Gelbbauchunke in „Kahnstellung“. So präsentiert sie ihren signalgelben Bauch zur Warnung: Achtung giftig! © Herwig Winter/Wikimedia

Deppisch zeigt auf seinem Kameradisplay das Bild einer erwachsenen Unke, die er am Ufer entdeckt hat, zoomt das kugelige Auge heran und kommentiert eine ihrer faszinierenden Facetten: „Sie hat eine herzförmige Pupille.“

Dieses Sehloch halten die Unken periskopisch über Wasser, wenn sie an warmen Tagen in ihrem Teich mit ausgestreckten Hinterbeinen abhängen. Das sieht sehr entspannt aus. Gemütlich in der Rückenlage treibend und den gelbschwarz marmorierten Bauch der wärmenden Sonne entgegenreckend. Kahnstellung heißt diese Haltung, ist von Deppisch zu erfahren. Sie wird an Land eingenommen, allerdings keineswegs zum relaxten Dösen, sondern im Falle größter Not. Die krampfartige Haltung mit Hohlkreuz dient zur Abschreckung von Freßfeinden. Dadurch präsentiert die Unke ihren Bauch in grellem Gelb und warnt vor ihrem giftigen Hautsekret. Für Menschen ist es nicht gefährlich, führt allerdings zum sogenannten Unkenschnupfen. Zusammen mit der perfekten Tarnung durch den lehmbraunen Rücken ein ausgeklügelter Schutz, trotzdem wird die kleine Amphibie, sie wird nur vier bis fünf Zentimeter groß, bisweilen zur Beute von größeren Tieren wie Weißstorch oder Ringelnatter.

Doch nicht nur ihre Freßfeinde machen der in Mitteleuropa heimischen Amphibienart zu schaffen. Es steht so schlecht um sie, daß sie auf der Roten Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten weit oben geführt wird. Und sie ist nicht nur hierzulande stark gefährdet: Ihr Schutzstatus gilt für ganz Europa.

Überlebensstrategie?

„Die Primärstandorte der Unken sind Flußauen“, ist von Christiane Brandt zu erfahren. Die Gebietsbetreuerin Muschelkalk in Würzburg und Main-Spessart engagiert sich seit drei Jahren für den Schutz der drei seltenen Amphibienarten in ihrem Gebiet. Solange die Gewässer frei fließen konnten, bildeten sie durch verschiedene Pegelstände temporäre seichte Nebengewässer, ideale Brunft- und Laichplätze der Gelbbauchunken. Doch diese Lebensräume wurden vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Flußbegradigungen zerstört. Den Amphibien gelang es, auf Ersatzstandorte wie aktive Steinbrüche und Truppenübungsplätze auszuweichen. „An den Verdichtungsstellen halten sie sich“, weiß Christiane Brandt. Dort entstehen immer wieder neue Kleingewässer, einige vegetationsarme Tümpel nutzen die Gelbbauchunken als Aufenthaltsgewässer, andere, noch kleinere wie Fahrspuren oder Pfützen, dienen ihnen als Pop-up Laichplätze. Diese sind idealerweise besonnt, mit schlammigem Grund und sollten zwischendurch austrocknen, damit sich keine Freßfeinde ansiedeln. Denn für Rabenvögel, Reiher, Libellen- und Käferlarven ist der Unkennachwuchs vom Laich bis zum Hüpferling leichte Beute. Doch auch ohne diese Feinde sind die Verluste enorm.

Wenn die Lurche im April aus der Winterstarre erwachen und die Witterung paßt, stürzen sie sich sofort in die Fortpflanzungsarbeit. Der gesamte Zyklus vom Laich bis zur Jungunke dauert circa acht Wochen, ist von Christiane Brandt zu erfahren. Sobald der Sprung an Land geschafft ist, brauchen die Tiere nicht mehr zwingend eine ständige Wasserstelle. Sie können bis zu 30 Jahre alt werden; ein langes Leben als Überlebensstrategie. Denn mit Laich und Larven klappt es nicht in jeder Saison. Doch die Fehljahre häufen sich, Mensch und Klimawandel sind die Treiber. Wie der Kampf gegen die Angriffe auf die Art aussieht, zeigt der Termin mit Deppisch. Eigentlich zermürbend und desillusionierend. Dem Unkenschützer ist ein entsprechender Gemütszustand aber nicht anzumerken, obwohl er schon seit 2010 an den Pfützen und Gräben wie Sisyphos ackert. Wenn er von seinen stundenlangen Einsätzen an jedem Wochenende der Unkensaison erzählt, strahlt er gleichwohl eine gelassene Zufriedenheit aus.

Im Eibelstädter Steinbruch suchen wir eine bestimmte Pfütze auf. „Die war neulich schon ausgetrocknet“, also prüft Deppisch das fast versiegte Kleinstgewässer – und entdeckt die typischen runden Pakete des Unkenlaichs: „Den sicher ich jetzt.“ Er zieht aus seinem lilafarbenen, gut eingetragenen Rucksack einen Suppenlöffel und ein Teesieb heraus. Damit fischt er die Eier ab und setzt sie anschließend in ein aussichtsreicheres Gewässer um. „Ich hatte schon befürchtet, daß ich hier tätig werden müßte.“ Es hat lange nicht geregnet. Wie so oft in den vergangenen Dürrejahren. Und dann muß Deppisch auch noch die Abraumarbeiten im Blick behalten. „Neulich stand plötzlich der Bagger da an der Pfütze, da dachte ich mir, aha, jetzt muß ich sie alle rausholen.“

Wasserdrache auf Tauchkurs

Wie gehen rüber zum Regenrückhaltebecken für das Baustofflager. Dem entnimmt Deppisch Wasser für eine austrocknende Pfütze mit Kaulquappen. Ohne sein Eingreifen wären diese am nächsten Tag tot. „Hier ist ein dicker Kammmolch“, macht er auf ein längliches dunkles Etwas aufmerksam, das gerade zur Wasseroberfläche aufsteigt. „Sie tauchen nur kurz auf, schnappen Luft – und schon sind sie wieder weg.“ Verschwunden in den Tiefen. Schade, denn der größte heimische Molch, 18 Zentimeter kann er lang werden, ist in seiner Hochzeitstracht imposant: Wie ein kleiner Wasserdrache sieht er aus mit seinem hohen, wild gezackten Rückenkamm. In Landkreis und Stadt Würzburg gibt es nur drei Vorkommen der stark gefährdeten Art. Am Eibelstädter Standort hatte Deppisch am Wochenende zuvor 60 auftauchende Exemplare gezählt. Und wenn wir schon bei den Zahlen sind: 2021 hat er in acht Stunden 1 086 Molch-Kaulquappen gesichtet und zwei Jahre zuvor 95 erwachsene Gelbbauchunken gezählt. „In ganz Hessen gab es zu der Zeit 600 Stück.“ Er ist stolz auf diese Bestände.

Christiane Brandt
Christiane Brandt
Ulrike Geise
Ulrike Geise
Lothar Deppisch
Lothar Deppisch

Gewimmel im Lurchpool

Drei Tage später sind wir mit Christiane Brandt wenige Kilometer entfernt in einem Steinbruch in Goßmannsdorf unterwegs. Hier wurden im Winter auf Gelbbauchunken zugeschnittene Betonbecken mit Hilfe von Harald Biedermann, Naturschuztwächter im Landkreis Würzburg, eingesetzt, im Rahmen eines Artenhilfsprogramms der Unteren Naturschutzbehörde. „Das hat gut geklappt“, freut sich Christiane Brandt. „Hier wimmelt es nur so: Kaulquappen, Hüpferlinge und erwachsene Unken.“ Die Gebietsbetreuerin erklärt, daß die Becken das Wasser besser halten als der Kalkboden. Ein Ausweichquartier für Durst­strecken, wenn die Pfützen austrocknen. Es muß sich halt ­ständig jemand kümmern und bei Bedarf das Wasser der Lurchpools nachfüllen. Erfreuliche Zahlen – eine mögliche Schlußfolgerung ist: Es geht aufwärts mit den Beständen der gefährdetsten Lurche. „Wir haben noch alle Arten da, aber ihre Zahlen sind dramatisch eingebrochen“, ist jedoch von der Amphibienexpertin Ulrike Geise zu erfahren. Die Inhaberin von PLÖG, einem Büro für Landschafts­ökologie und Naturschutzprojekte im Landkreis Würzburg, ist mit den Standorten Eibelstadt und Lindelbach bestens vertraut. Sie hat 2021 deren Bestände für die Untere Naturschutzbehörde im Rahmen eines Artenhilfsprojekts kartiert und Vorschläge ausgearbeitet, wie diese langfristig bis in den Landkreis Kitzingen hinein vernetzt werden könnten. „Es ist extrem schwierig, die Entwicklung zurückzudrehen, die durch die Intensivierung der Landschaft auf allen Ebenen vollzogen wurde.“

Die Maßnahmen an den Einzelstandorten mit Betonbecken oder Ausputzen verlandender Gewässer hält sie für aufwendig. Außerdem greife man damit in ein Ökosystem ein, und das reagiere oft anders, als erwartet. So würde etwa die Bewässerung der Betonbecken auch wieder den Räubern Vorschub geben. „Ich bin eigentlich dafür, daß man das hernimmt, was die Natur bietet.“ Ulrike Geise denkt da an Unkenbestände im Wald, denen man durch Anlage wegbegleitender künstlicher Kleinstgewässer entsprechend auf die Sprünge helfen könnte.

Und die tollen Zahlen von Lothar Deppisch? „Beachtlich. Doch ohne seine bewundernswerte Lei­stung hätten wir in dem Bereich wohl keine Gelbbauchunken und Kammmolche mehr. Und so was geht nur, wenn man es mit Herzblut macht.“ Der Artenschutz ist ein extrem schwieriges Unterfangen. Doch der letzte Satz soll Hoffnung bringen und Lothar Deppisch gehören: „Mit total einfachen Mitteln kann man viel erreichen.“

Vom Aussterben bedroht: Zwei Kreuzkröten im Naturschutzgebiet Ammerfeld bei Eußenheim/Unterfranken. © Christiane Brandt
Vom Aussterben bedroht: Zwei Kreuzkröten im Naturschutzgebiet Ammerfeld bei Eußenheim/Unterfranken. © Christiane Brandt

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