Alles Programm …
Für den Meininger Intendanten Jens Neundorff von Enzberg ist es die zweite Spielzeit in diesem Amt. Zeit, einmal Fragen an ihn zu stellen. Wir besuchten ihn am Tag einer ganz wichtigen Premiere.
Text: Renate Freyeisen | Fotos: Christina Iberl
Heute Abend ist Premiere von „Ivan IV“, dem Schrecklichen, der deutschen Erstaufführung der fünfaktigen Fassung der Oper von Georges Bizet; die „Wiederentdeckung“ auf der Bühne ist ein Ereignis, das Aufmerksamkeit erregt. Auch zu Beginn Ihrer Ägide haben Sie ja mit der Wiederbelebung der Händel-Oper „Amadigi di Gaula“, mit Regisseur Hinrich Horstkotte einen Erfolg feiern können, der fährt eine klare, ästhetische Linie. Sie haben so Tradition mit Zukunft verknüpft. Worin zeigt sich dies auf dem Theater?
Neundorff von Enzberg: Es bedeutet immer einen Spagat, solche „alten“ Stücke mit der Gegenwart zu verknüpfen. Da bin ich immer etwas skeptisch. Aber die Oper gibt es seit 600 Jahren. Dafür muß man etwas tun, sie in die Gegenwart zu führen, wenn auch Hör- und Sehgewohnheiten bedient werden wollen. Ich unternehme den Versuch, damit Interesse zu wecken, im Idealfall mit einer Uraufführung. Das Rezept heißt: Die Mischung macht’s. Die Oper muß im positiven Sinn „jung“ gehalten werden.
Auch „große Namen“ bieten einen Anreiz, Publikum ins Theater zu locken. Mit Markus Lüpertz holten Sie ja einen prominenten Maler-Fürsten, allerdings einen Opern-Dilettanten nach Meiningen zur Realisierung von „La Bohème“. Wie sind die Reaktionen darauf ausgefallen? Und beabsichtigen Sie für die Zukunft ähnliches?
Neundorff von Enzberg: Lüpertz ist beileibe kein Opern-Dilettant, auch wenn er mit 80 Jahren ein Novize im Regiefach ist. Ich habe schon in Bonn mit ihm zusammengearbeitet. Das erstmalige Regiedebut dieses bildenden Künstlers aber zeigt eben eine andere Form des Herangehens an das in sich geschlossene System Oper. Der Erfolg bestätigt ihn; bis jetzt war seine Inszenierung achtzehnmal auf dem Spielplan; er hat sich einen Traum erfüllt und ein Gesamtkunstwerk abgeliefert. Ich verfolge auch in Zukunft die Linie, mit bildenden Künstlern zusammenzuarbeiten, etwa in der übernächsten Spielzeit, und erinnere damit an die Brüder Brückner, die maßgeblich waren für den Ruhm der „Meininger“ im 19. Jahrhundert.
Eine andere prominente Person ist die frühere Operndiva Brigitte Fassbaender; sie inszenierte für Sie den beliebten „Barbier von Sevilla“; muß man für diese Oper eigentlich noch werben?
Neundorff von Enzberg: Mit Brigitte Fassbaender bin ich befreundet und freue mich immer auf die gemeinsame Arbeit, denn es ist ein Fest für das ganze Ensemble, mit ihr zusammenzuarbeiten; aus diesem Grund beabsichtige ich auch weitere Opernaufführungen mit ihr. Schon 1994 wirkte ich als Dramaturg in Meiningen mit bei ihrer „Ariadne auf Naxos“. Und: Der „Barbier von Sevilla“, eigentlich schwer zu realisieren, gefiel sehr in ihrer witzigen Inszenierung.
Dagegen wählten Sie zum Auftakt der diesjährigen Spielzeit Erich Wolfgang Korngolds spannendes Werk „Die tote Stadt“, in Meiningen erstmals zu erleben. Warum diese Wahl?
Neundorff von Enzberg: Für mich ist Korngold einer der herausragenden „Klassiker“ des 20. Jahrhunderts, der mit 21 Jahren schon ein Lebenswerk geschaffen hat, eines der packendsten Operndramen zu einem schwierigen Thema, dem Umgang mit dem Tod eines geliebten Partners; hier kommen Vergangenheit und Moderne bestens zusammen.
Um die Osterzeit herum steht Händels Oratorium „Der Messias“ auf dem Programm; in Meinigen wird es szenisch auf der Bühne aufgeführt. Was ist der Grund für diese Darbietung?
Neundorff von Enzberg: Zur Zeit Händels gab es keine solche Trennung wie heute in Oratorium und Oper; Oratorien wurden damals oft auf Opernbühnen aufgeführt. Sie sind ideal für die Bühne, und ein solches barockes Werk paßt auch gut in unser Haus.
Die Oper „Salome“ von Richard Strauss scheint derzeit auf deutschen Bühnen geradezu „in“ zu sein. Sie kommt ab Juni nach Meiningen. Was erwarten Sie?
Neundorff von Enzberg: Die „Salome“ bedeutet eine große Herausforderung für das Orchester, aber unsere Meininger Hofkapelle ist darin versiert und renommiert gerade für die Musik von Wagner und Strauss. Wichtig ist mir aber, daß diese Oper von einer Regisseurin erzählt wird, also aus weiblicher Sicht heraus!
Das Stück „Ladies Football Club“ paßte irgend-
wie zur WM in Katar und zur Diskussion um die Wertschätzung des Frauenfußballs in Deutschland. Wie wurde es aufgenommen in Meiningen?
Neundorff von Enzberg: Eigentlich ist der „Ladies Football Club“ in Meiningen gegen meine Erwartungen nicht so gut gelaufen. Vielleicht führte auch das frühe Ausscheiden der deutschen Männer-Nationalmannschaft zu einer gewissen Müdigkeit, was den Fußball betrifft. Dagegen war für mich die deutsche Frauen-Mannschaft super; sie spielte attraktiver und schneller, verlor aber leider unglücklich ihr Endspiel.
In der Karnevalszeit wurde Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ oft aufgeführt in rein männlicher Besetzung! Auch die Umkehrung der Geschlechterrollen ist derzeit „in“. Im Programmbuch wurde ein solcher Kunstgriff als „lustvoller Beitrag zur Genderdebatte“ angepriesen. Wurde dies vom Publikum wahrgenommen?
Neundorff von Enzberg: Das Stück ist ein Renner! Die männliche Besetzung entspricht eigentlich der zu Shakespeares Zeit. Und ich will mit der Wahl der Shakespeare-Komödie an die Verbindung von Meiningen zum englischen Königshaus erinnern.
Mitten in die Thematik Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und diffuse Zukunftsängste gerade in einer Kleinstadt trifft die Dramatisierung des Romans „Guldenberg“ von Christoph Hein. Wie hat der Autor diese Realisierung aufgenommen?
Neundorff von Enzberg: Zur Uraufführung seines Stücks war der Autor da, und er fand es gut, daß es in einer Stadt der Größe Meiningens und noch dazu in der ehemaligen DDR herauskam, denn Hein befaßt sich in seinen Werken immer wieder mit der Thematik und der grundsätzlichen Haltung dazu. Übrigens haben Regisseur Max Claessen und unser Dramaturg Cornelius B. Edlefsen die gelungene Realisierung bewerkstelligt.
In Schillers Trauerspiel „Maria Stuart“ geht es um Macht versus Menschlichkeit?
Neundorff von Enzberg: In der Tat! Diese „Maria Stuart“ wird von zwei ganz starken Frauen gespielt. In der Presse (Main-Post) hieß es: „die Darstellung der Feinheiten der Charaktere ist bewundernswert: Anja Lenßens als von Ängsten bedrückte, ins Korsett gezwungene Elisabeth. Larissa Aimee Breidbach als schöne Kämpferin, die zwischen Freiheitswillen, Gerechtigkeitssinn, Machtanspruch, Reue und Liebessehnsucht oszilliert“
Mit einer weiteren Uraufführung, dem Stück „Alte Sorgen“ der Autorin Maria Milisavljevic machen Sie auf ein weiteres Problem unserer Gesellschaft aufmerksam, die Pflege alter Menschen. Wie war die Reaktion auf die Premiere?
Neundorff von Enzberg: Das sehr berührende, aktuelle und realistische Stück ist eines der Highlights unserer Spielzeit; es ist nicht sentimental, aber liebevoll. Wir hatten viele Kontakte zu hiesigen Pflege-Institutionen. Im zeitlichen Umfeld des „Tags der Pflege“ am 21. Mai haben wir alle derartigen Einrichtungen eingeladen. Nach den Aufführungen bieten wir immer regelmäßige Publikumsgespräche an.
Brechts „Dreigroschenoper“ ist kein reines Unterhaltungsstück, sondern wendet sich gegen brutalen Kapitalismus und das tradierte Männlichkeitsbild. Als Regisseur haben Sie Georg Schmiedleitner gewonnen. Welche Akzente wird er setzen?
Neundorff von Enzberg: Der Österreicher Schmiedleitner wird das Stück glaubhaft und unterhaltend zugleich auf die Bühne bringen, doch an bestimmten Punkten wie der Ausstattung wird er wohl etwas überzeichnen, auch um eine gewisse kritische Distanz zu erreichen. Unser spielwütiges Ensemble ist schon ganz versessen auf die Aufführung!
Kleists Trauerspiel „Penthesilea“ fasziniert nicht nur durch die Sprache – Herausforderung für Schauspieler! – , sondern auch durch die tödlichen Mißverständnisse zwischen Mann und Frau im Hinblick auf die Liebe. Welchen Bezug hat dies zur Gegenwart?
Neundorff von Enzberg: Die „Penthesilea“ wird als Zweipersonenstück zusammen mit einem Musiker herauskommen, als ein herausfordernder Kampf zwischen Mann und Frau wie in einem Ringkampf; den Bezug zur Gegenwart muß sich das Publikum selbst herstellen.
Molières wunderbare Komödie „Der Menschenfeind“ ist nicht nur Unterhaltung, sondern birgt viel Menschlich-Allzumenschliches. Haben Sie es deshalb gewählt?
Neundorff von Enzberg: Dieses Stück haben wir aus genau diesen Gründen gewählt. Und die Frage nach der Wahrheit ist ja heute sehr aktuell.
Auch die herrliche Komödie „Extrawurst“ in den Kammerspielen zeigt pointiert und temporeich mit vielen Überraschungen auf, wie Selbstgewißheiten und Vorurteile ad absurdum geführt werden. Nach welchen Kriterien wählen Sie unterhaltende Stücke aus?
Neundorff von Enzberg: Es ist extrem schwierig, mit Themen und Problemen der Zeit am Theater witzig zu unterhalten. Wir setzen eins drauf, dadurch daß ein Türke inszeniert, denn es geht ja um Vorurteile gegen „andere“ und Vereinsmeierei. Vielleicht können wir das Stück auch einmal auf Tennisplätzen spielen.
Soll also durch das Musical „Der Graf von Monte Christo“ oder die Ballettabende von Andris Plucis vom Landestheater Eisenach ein verstärkter Kulturtourismus nach Meiningen initiiert werden?
Neundorff von Enzberg: Tanz wie auch Musical sind in Meiningen sehr beliebt, bringen zusätzliche Farbe in den Spielplan. Eigentlich aber hatten wir gerade durch „Die tote Stadt“ wirklich mehr Kulturtourismus.
Das nördliche Unterfranken fährt ja gerne nach Meiningen ins Theater, um im schönen Haus an der Bernhardstraße gute Aufführungen zu genießen. Macht sich in Meiningen bemerkbar, daß in Schweinfurt zur Zeit das Theater umgebaut wird? Wissen Sie etwas über Publikumszuwachs von dort?
Neundorff von Enzberg: In Corona-Zeiten flachte der Bus-Tourismus ziemlich ab; trotzdem hatten wir keinen Publikumsschwund, sondern mehr Individualtourismus. Natürlich wirkt sich die Renovierung des Schweinfurter Theaters auch für uns aus: So bietet Schweinfurt drei verschiedene Abos bei uns an, vor allem für die Sonntagsvorstellungen; die meisten Abonnenten reisen individuell an; außerdem gibt es zusätzliche Angebote per Bus.
Auch die Sinfonie-, Kammerkonzerte und die weiteren musikalischen Darbietungen werden immer wieder gelobt. Haben Sie auch deshalb den Gedanken eines sommerlichen Festivals ins Spiel gebracht?
Neundorff von Enzberg: Ein Open-Air-Festival lockt ein anderes Publikum an, baut auch Hemmschwellen gegenüber dem Theaterbesuch ab, aber auch das Theater geht gern raus. Doch solch ein Unternehmen braucht längere Vorplanung. Am 15.7. wollen wir heuer ein riesiges Sommerfest rund um den Teich im Englischen Garten veranstalten.
Haben Sie in Ihrer jetzigen Tätigkeit als Intendant eine Veränderung am Publikumsverhalten bemerkt? Sie sind ja nicht zum ersten Mal in Meiningen tätig.
Neundorff von Enzberg: Eine Veränderung des Publikumsverhaltens in Meiningen habe ich seit meinem damaligen Weggang 1996 als Dramaturg und in meiner ersten Spielzeit als Intendant ab 2021 nicht bemerkt. Denn es gibt eine Konstante: Meiningen liebt sein Theater! Auch überregionales Publikum kommt gerne. Nirgendwo auf der Welt aber kann man Theater gegen das Publikum machen. Mein Ausblick auf die Zukunft: 2024 jährt sich im Mai zum 150. Mal die Reisetätigkeit der international berühmten „Meininger“, und 2026 feiern wir den 200. Geburtstag unseres Theaterherzogs Georg II. mit einem Themenjahr „Theater“. An diese unsere Geschichte wollen wir zusammen mit dem heutigen Publikum gebührend erinnern.