Ziemlich ursinoid
Text + Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Es verwundert schon irgendwie: Obwohl es schon ganz schön lange kleine Kinder gibt, kam erst vor hundertzwanzig Jahren Richard Steiff, ein Neffe der deutschen Spielzeugherstellerin Margarete Steiff auf die Idee, ihnen einen Plüschbären mit beweglichen Armen und Beinen (das Modell Pb55), der einige Jahre später, nach dem damaligen, amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt „Teddy“ benannt wurde, als „ziemlich besten Freund“ in den Arm zu geben. Das lag vielleicht daran, daß sie, die Kinder, lange nur mehr oder minder vernünftige, kleine Menschen waren, die oft genug mit für den Lebensunterhalt der Familie sorgen mußten. Als es den Teddybären aber erst einmal gab, machte er jedenfalls schnell Karriere – allerdings fast nur bei uns und in Amerika.
Und jetzt ist er bei uns sogar schon im Museum. Möglicherweise ist das aber kein gutes Zeichen. Wird der Teddy bald vom Smartphone oder von virtuellen Wesen im Metaversum verdrängt? Der Teddy dann nur mehr als Semiophor, als etwas, das seine Bedeutung erst im Museumskontext erhält, ansonsten ein Ding ohne Nutzen ist?
Jedenfalls stimmt die Ausstellung in Bad Mergentheim nachdenklich. Sicher wird es viele Besucher geben, die mit Tränen in den Augen die Museumsregel „noli me tangere“ (Nicht berühren!) befolgen, die in Erinnerungen schwelgen und unter den wunderbar vielen Exponaten gute alte
Bekannte entdecken, während ihre Kids partout nicht, nicht einmal vage an Puuh, den Bär, an Balu oder an Petzi und seine Freunde denken wollen oder können. Und wenn sie dann doch zwischen zwei Neurosen kurz vom Händi hochschauen, dann allerdings mit der Ahnung, daß diese haarigen Figuren ja gar nicht richtig sprechen oder sich frei bewegen können. Da mögen die Inszenierungen des Dresdner Museologen und Teddybären-Sammlers Lutz Reike und seiner Frau Claudia noch so liebevoll aufgebaut sein. An Tiktok kommen sie nicht heran. Noch nicht!
Es ist bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis Japan, China oder Südkorea einen ursinoiden (bärenartigen) Roboter auf den Markt bringt; eine hinterhältige Weiterentwicklung der bereits in der Krankenpflege oder im Haushalt eingesetzten Serviceroboter, nur eben in Gestalt eines Teddybären. Der Teddybärensammler Lutz Reike scheint selbst so etwas zu ahnen.
Eine der gelungensten Inszenierungen der Ausstellung zeigt eine Krankenhausszene (Bild), in der die Teddybären nicht nur die Patienten, sondern auch die Pfleger und Ärzte sind.
Unser Rat: Erwachsene sollten die überaus sehenswerte Ausstellung unbedingt besuchen. Aber lassen Sie Ihre Kinder zu Hause, die kommen sonst nur auf keine Gedanken und lassen denken von Zuckerberg, Musk und wie die superreichen Hohlbratzen alle heißen.
Das wollen Sie gar nicht wollen!
Die Ausstellung läuft bis 16. April 2023 im Residenzschloß Mergentheim.