Franken endlich weißblau?
Der Bayerische Rundfunk bemüht sich um die fränkische Geschichte … und erreicht traumhafte Einschaltquoten.
Text: Gunda Krüdener-Ackermann
Ob die Franken letztlich unter der weißblauen bayerischen Fahne angekommen sind, ist noch immer nicht ganz geklärt. „Frank und frei“, das gehört quasi sprichwörtlich zusammen. Und da erdreistet sich doch dereinst der kleine Korse als kurzzeitig großer Napoleon in seiner Neuordnung der kläglichen Reste des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Franken den von nun an königlichen Bayern unterzuordnen! Damit war auch die jahrhundertealte reichsstädtische Autarkie der Stadt Nürnberg mit einem Streich perdu. Mit bombastischem Glockengeläut beginnt am 15. September 1806 die neue Ära. Die Bürger der Stadt in Schockstarre! Denn man hatte sie, die freien Nürnberger, mit einem Mal zu Fürstenknechten gemacht.
Das ist zweihundert Jahre her. Aber in der sonst so robusten Schale des Franken rumort es immer noch. Daher braucht es nur wenig von „denen da in München“, um den fränkischen Zorn auf den Siedepunkt zu bringen. Der Dürer im Pelzrock zum Beispiel. Das berühmte Selbstbildnis des Nürnberger Stars. Wo hängt es? In München in der Alten Pinakothek! Warum eigentlich? Nicht einmal ausleihen tun sie ihn! Nach Nermberch! So geschehen 2012 anläßlich einer Dürerausstellung im Germanischen Nationalmuseum. Städtische Müllautos, derzeit mit dem Bildnis des großen Sohns plakatiert als Mahner an unverbesserliche Dreckbären, ihre Plastikbecher gefälligst zu entsorgen – damit beharren die Nürnberger: „Der Dürer – das ist einer von uns! Basta!“ Südlich der Donau erstaunt dieser Trotz, ja stößt zuweilen auf völliges Unverständnis, aber auch Wurschtigkeit.
Wie aber nimmt man endlich den Sand aus dem bayerisch-fränkischen Getriebe? Die Idee dazu hatte ein Münchner (!), allerdings – nomen est omen – mit dem fast schon programmatisch-fränkischen Namen „Forchheimer“. Es war die Idee von Tassilo Forchheimer, seit zwei Jahren Leiter von BR Franken, Geschichte mal andersherum zu erzählen. 1806 – das ist nicht nur der Beginn des bayerischen Königstums, sondern auch die Degradierung Nürnbergs zur Provinzstadt, ja ganz Frankens zu einer Art Appendix des südlichen Bayerns.
Reformunwilligkeit des städtischen Patriziats
Nach nur drei Monaten Dreharbeiten – und das in Coronazeiten – war aus Forchheimers Idee das Filmopus Die Nürnberg Saga entstanden. Nicht mitgerechnet natürlich die zeitintensiven Vorarbeiten, etwa das Schreiben des Drehbuchs oder die Nachbearbeitungen mit Schnitt, Mischung etc. Ausgestrahlt zur besten Sendezeit zwischen den Jahren geriert der BR mit dem Dreiteiler Traumeinschaltquoten. Die Reaktion der Zuschauer ist überwältigend positiv. Vor allem für die fränkische Seele war die Serie Balsam! Historisch hieb und stichfest begleitet durch die profunden Kenner fränkisch-bayerischer Geschichte Prof. Günter Dippold und Prof. Georg Seiderer und die Drehbuchautoren Christian Lappe und Oliver Halmburger entstand ein Dokudrama im besten Sinne von prodesse et delectare, nützlich sein und unterhalten. Dem „delectare“ wurde manches historische Detail geopfert, das die Zuschauer ermüdet, den erzählerischen Schwung aus den lebendigen Spielszenen genommen hätte. Das „prodesse“, die Vermittlung von Wissen, wird aber auch in Zukunft noch voll und ganz ausgeschöpft werden, wenn im Nachgang zur Nürnberg Saga etwa Materialen für den Geschichtsunterricht erstellt werden.
Rund siebzig Jahre sind es, über die in dreimal 45 Minuten berichtet wird. Und wenn zu Beginn der ersten Folge „Vor dem Sturm“ Monsieur Blanchard am 12. November 1787 zum Plaisir vor allem zahlungskräftiger Nürnberger Noblesse seine Luftkugel in den Äther steigen läßt, mag das damals kurzzeitig ablenken, ja begeistern für moderne, bessere Zeiten. Der Mensch entledigt sich seiner Fesseln, erhebt sich in die Lüfte. Fakt aber ist, daß die ehemals ehrwürdige Welthandelsmetropole am Boden liegt, denn sie ist schlichtweg pleite. Vom Aderlaß an Menschen und Gütern durch den Dreißigjährigen Krieg (1618– 1648) sollte sich Nürnberg und sein Umland lange nicht erholen. Hinzu kam die Reformunwilligkeit des städtischen Patriziats. Wie kommentierte Ministerpräsident Markus Söder in der Pressekonferenz zur Serie diese damalige Starre so trefflich: „Wenn man sich nicht verändert, wird man verändert!“ Letztendlich passierte genau das. Denn innerhalb der Stadtmauern grummelte es schon beträchtlich vor dem Schicksalsjahr 1806. Infolge der Koalitionskriege gegen das revolutionäre Frankreich war es etwa zu besonderer Lebensmittelknappheit und Teuerung im Winter 1794/95 gekommen. Der Film thematisiert, wie sich die örtlichen Bäcker weigerten, ihre zu Ostern traditionell kostenlosen Eierweckla an die Bevölkerung zu verteilen. Daraufhin stürmten die aufgebrachten Nürnberger die Backstuben und verprügelten die Bäcker.
Identitätsstiftende Kultur
Zeitzeuge dieser und der folgenden Jahre war der Nürnberger Kaufmann Paul Wolfgang Merkel (1756 bis 1820). Ein Glücksfall, so Tassilo Forchheimer, war die gerade brandneue Herausgabe von Merkels 25 Jahre lang geführten Tagebüchern und seiner rund 2500 Briefe.
Ein unglaublicher Schatz an authentischem Material eines Zeitzeugen über jene dramatischen Jahre lag da vor. Christian Lappe und Oliver Halmburger, der auch Regie führte, konnten die Redeanteile der Filmfigur Merkel daraus beinahe wortwörtlich übernehmen. Gespielt wurde der honorige Kaufmann von Andreas Leopold Schadt, einem gebürtigen Hofer, der sonst eher als Verbrecherjäger im Franken-Tatort unterwegs ist. Überhaupt war man peinlich genau auf das rechte Maß an fränkischem Dialekt bedacht. Man hatte noch den totalen Verriß des ZDF-Dreiteilers Tannbach im Gedächtnis, der blankes Entsetzen ob des mißlungenen Versuchs „fränkisch“ zu reden, hervorgerufen hatte. Ein Glücksgriff war da die jugendlich-frische BR-Moderatorin Kadda Gehret, die in fränkischem Plauderton die Spielszenen begleitete oder mit einem Switch in die Jetztzeit immer wieder kommentierte. Ihre Besuche im Archiv der Stadt oder des Germanischen Nationalmuseums waren wohl dosierte Exkurse eines interessierten Laien (sicherlich die Mehrzahl der Zuschauer), um das komplexe historische Geschehen populär-wissenschaftlich zu begleiten.
In der zweiten Folge mit dem Titel „Unter dem Hammer“ geht es richtig zur Sache. Dramatisch untermalt wird das Geschehen durch die für die Filmtrilogie von Markus Lehmann-Horn komponierte und von den Nürnberger Symphonikern eingespielte Musik. Die neuen Herren der Stadt verramschten alles, was irgendwie zu Geld zu machen war – vom Merkel’schen Tafelaufsatz, Zeugnis der Weltklasse Nürnberger Goldschmiede, bis zu den Schutzgittern der städtischen Brunnen. Die Altbayern schienen keine Grenzen zu kennen. Der pietätlose Ausverkauf von in Jahrhunderten angesammelten Kunstschätzen der ehemals freien Reichsstadt traf die fränkische Seele im Kern. Tassilo Forchheimer bemerkt hierzu mit Blick auf die Gegenwart, wie wichtig und identitätsstiftend Kultur war und immer noch ist. Ein echtes Skandalon war auch der Umgang mit dem Engelsgruß in der Nürnberger Lorenzkirche, ein Schnitzwerk von Veit Stoß. Nach Gusto wurde der in der Stadt hin- und hergehängt. Bis er wieder an seinem angestammten Platz landete. Allein in der Zwischenzeit hatten die Bayern dessen goldene Halterung versilbert, sprich zu Geld gemacht. Ein einfaches Glockenseil ließ das kostbare Kunstwerk krachend am Boden in tausend Splitter zerschellen. Es bedurfte jahrelanger Restaurationsarbeit, um das Kleinod zu reparieren.
Im Ernst
Die dritte Folge „Aus der Asche“ zeigt deutlich: der „Nürnberger Witz“, der lokale Erfindungsreichtum, war selbst unter widrigen Umständen nicht unterzukriegen. Zinnteller, zwischenzeitlich aus der Mode gekommen, goß man nun zu Spielfiguren und forcierte damit den Aufstieg Nürnbergs zur Spielzeugstadt. Die Vermarktung dieser und anderer Waren besorgte z.B. Georg Bestelmeier mit seinem 300 Seiten dicken Katalog von 1809. Damit wurde er einer der Väter des modernen Versandhandels. Und der Blick Nürnbergs richtete sich nicht nach München, sondern über den Kanal nach England. Die Dampfkraft hatte dort eine neue Ära eingeläutet, deren Potential innovationsfreudige Nürnberger sehr schnell erkannten. Während König Ludwig I. seinen Donau-Main-Kanal weiter buddeln ließ, fuhr am 7. Dezember 1835 die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth. Auch der bald Fahrt aufnehmende Waggonbau wurde von der Nürnberger Eisengießerei Cramer-Klett, einer Vorläuferin des Weltunternehmens M.A.N., in die Hand genommen. Lokomotivführer und qualifizierte Facharbeiter kamen aus dem fernen England in die Stadt an der Pegnitz. Vor den Stadttoren – die engen Gassen und Hinterhöfe waren zu eng – erfand sich Nürnberg neu: als modernes bayerisches Industriezentrum und als Ort einer selbstbewußten Arbeiterklasse. Optimale Kulisse für die entsprechenden Filmszenen: das imposante Hammerwerk des Industriemuseums Lauf, das noch bis 1972 in Betrieb war. Daß Nürnberg wie Phönix aus der Asche stieg, war vielleicht auch einem gewissen bayerischen Laissez-faire dort im fernen München zu verdanken. Mag sein, daß Franken mit dem bayerischen König Ludwig I. letztlich besser gefahren ist, als wenn es sich 1806 – was kurzzeitig durchaus eine Option zu sein schien – unter preußische Fittiche begeben hätte. Jener bayerische Bonvivant Ludwig verbrachte 1835 den Winter lieber im milden Griechenland, als in einem zugigen Eisenbahnwaggon durch die fränkische Provinz zu zockeln. Er, der letztendlich sein Königreich den schönen Beinen der Tänzerin Lola Montez opferte, ließ die da in Nürnberg offensichtlich weitgehend machen. Auch politisch waren die Nürnberger bereits 1819 ein Stück weit im Königreich angekommen, als P. W. Merkel zum ersten fränkischen Abgeordneten in die bayerische Ständeversammlung, den späteren Landtag, berufen wurde.
Letztendlich ein großer Glücksfall für Nürnberg und ganz Franken ist es, daß der Bayerische Rundfunk mit seiner sog. Regionalisierungsoffensive ernst macht. Die Nürnberg Saga ist ein Schritt, dem die Aufbereitung vieler anderer spannender Themen aus den verschiedenen bayerischen Landesteilen, so Tassilo Forchheimer, folgen soll. Vielleicht fühlt sich mancher Nicht-Oberbayer so langsam etwas heimischer unter der weißblauen Fahne.