Ausgabe September / Oktober 2020 | Geschichte(n)

100 Jahre Coburg bei Bayern

Text: Michael Selzer | Fotos: Staatsarchiv Coburg

Man mag es sich aus heutiger Sicht gar nicht vorstellen, was in der Vergangenheit alles anders gewesen wäre, hätten sich die Coburger*innen in der ersten freien und demokratischen Volksbefragung am 30. November 1919 anders entschieden und für einen Beitritt des damaligen Freistaats Coburg zu Thüringen gestimmt. Muß man auch nicht, denn bei einer Wahlbeteiligung von 75 %, sprachen sich am Ende genau 88,11 % der rund 40 000 Wahlberechtigten dagegen aus.

Die Gründe für dieses Wahlergebnis sind vielfältig und die Geschichten hinter der Geschichte erzählen spannende Begebenheiten voller Intrigen, Propaganda, Geheimnissen und sehr berechnenden Politikern.

Nach dem Ersten Weltkrieg war aufgrund der politischen Großwetterlage schnell klar, daß der erst vor kurzem gegründete Freistaat Coburg keinen langen Bestand haben würde. Zu klein war das Gebiet, zu schlecht die Versorgungslage und zu unsicher die Gesamtsituation in einem Deutschland, das versuchte, sich und seinen Platz in der Welt neu zu finden.

Auf der Bildpostkarte aus dem Jahr 1919 übergibt ein als Sozialist gekleideter Coburger dem Münchner Kindl einen Coburger Grenzpfahl. Für Aufregung und Unverständnis in den bürgerlichen Kreisen sorgte zum damaligen Zeitpunkt vor allem, dass sich die SPD nicht für den Beitritt zu Bayern ausgesprochen hatte.

Historisch bedingt war die Region des ehemaligen Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha eher in Thüringen verwurzelt, man arbeitete in den Bereichen der Verwaltung und Justiz eng zusammen und auch konfessionelle Gründe sprachen eher für das protestantische Thüringen als für das katholische Bayern. So verwunderte es wohl keinen, daß die Coburger Unterhändler zuerst mit dem zur damaligen Zeit noch mehr oder weniger losen, aus acht Fürstentümern bestehenden Verbund Kontakt aufnahmen, um über eine mögliche Verschmelzung zu verhandeln. Außer vagen Absichtserklärungen und Appellen war allerdings der Weimarer Seite nichts zu entlocken – konkrete Zusagen erhoffte man sich vergebens.

Anders war die Situation bei den, hinter verschlossenen Türen geführten Sondierungsgesprächen mit der bayerischen Seite in Bamberg. Nahezu ohne Abstriche stellte die bayerische Regierung, die wegen der unsicheren Situation in München nach Oberfranken ausgewichen war, in Aussicht, daß man die Forderungsliste der Coburger Delegation akzeptieren würde, käme es zu einer Fusion der beiden Gebiete. Das Angebot war verlockend – der Weg dahin aber noch unklar.

In Weimar hatten sich indes die Verhandlungspartner der ehemaligen Fürstentümer auf einen unterschriftsreifen Gemeinschaftsvertrag geeinigt, in dem auch der Freistaat Coburg berücksichtigt wurde – allerdings ohne größere Zugeständnisse. Im Coburger Rechts- und Staatsausschuß sollten dessen Mitglieder nun darüber entscheiden, ob man dem Coburger Landtag anraten solle, den wenig vielversprechenden Vertrag zu unterschreiben. Wahrscheinlich nicht zuletzt, um Zeit zu gewinnen, um das noch inoffizielle Angebot aus Bayern publik zu machen, sprachen sich die Abgeordneten aber weder dafür, noch dagegen aus, sondern empfahlen, daß man eine solch weitreichende Entscheidung doch den Einwohnern überlassen und eine Volksabstimmung abhalten solle. Der Landtag entschied sich, dieser Empfehlung zu folgen und legte den Abstimmungstermin auf den 30. November 1919 fest.

Was folgte, war ein Kampf zwischen Bayern und Thüringen mit ungleichen Waffen. Während die Bayern sofort vom Coburger Staatsministerium gebeten wurden, Propagandamaterial nach Coburg zu senden, um dem Beitritt zu Bayern Nachdruck zu verleihen, verbot man der thüringischen Seite eine solche Einmischung explizit. Neben den großzügigen Zugeständnissen, die den Coburgern in Bamberg gemacht wurden, setzte sich auch mehr und mehr die so genannte „Magenfrage“ durch und wurde zu dem ausschlaggebenden Kriterium bei der Entscheidung, wohin die Bevölkerung tendierte. Nach den Hungerjahren im Anschluß an den Ersten Weltkrieg glaubten viele Coburger*innen fest daran, daß Bayern mit seiner traditionell sehr starken Landwirtschaft die Versorgung deutlich besser gewährleisten konnte als das eher industriell geprägte Thüringen.

26 102 von 29 624 Coburger­*innen, die ihr Kreuz auf dem Wahlzettel machten, entschieden sich dann auch gegen den Beitritt zu Thüringen. Obwohl man noch vor der Abstimmung erklärte, daß ein „Nein“ zu Thüringen nicht automatisch ein „Ja“ zu Bayern sei, interpretierte die Coburger Staatsregierung danach das Wahlergebnis genau so. Nun wurden auch die Ergebnisse der bis dato geheimen Verhandlungen zwischen Coburg und Bayern, die man in der Hoffnung auf eben diesen Wahlausgang bereits getroffen hatte, offen präsentiert.

Dafür, daß der Freistaat Coburg vollständig in Bayern aufgehen sollte, erhielt man eine ganze Reihe an Zugeständnissen, die bis heute Gültigkeit haben. Neben einem eigenen Landgericht, dem Erhalt der Handels- und Handwerkskammern, der vier Gymnasien und der Coburger Landesstiftung, garantierte der Staatsvertrag auch den Fortbestand des Landestheaters, des Krankenhauses und eine deutliche Verbesserung der verkehrstechnischen Anbindung.

Am 14. Februar 1920 schließlich setzten Franz Klingler und Dr. Ernst Fritsch für die Coburger Seite ihre Unterschriften unter den Staatsvertrag. Anfang März passierte das Vertragswerk die Landtage in München und Coburg und so wurde endgültig am 23. April von der deutschen Nationalversammlung das „Gesetz betreffend die Vereinigung Coburgs mit Bayern“ beschlossen. Reichspräsident Ebert legte daraufhin am 21. Juni 1920 den Zeitpunkt der Fusion auf den 1. Juli 1920 fest.

Nachdem bereits am 24. April ein Telegramm des bayerischen Ministerpräsidenten Gustav von Kahr eingegangen war, in dem er seine neuen bayerischen Landsleute mit den Worten begrüßte: „Vernehme soeben mit großer Freude, daß Vereinigung Coburgs mit Bayern durch Nationalversammlung heute beschlossen wurde. Namens der bayerischen Regierung allen Coburger Mitbürgern herzlichen Willkommensgruß.“, repräsentierte die letzte Sitzung der Coburger Landesversammlung am 30. Juni 1920 das offizielle Ende des Freistaats Coburg. Landtagspräsident Ehrhardt Kirchner beschloß seine damalige Rede vor dem Parlament mit den feierlichen Worten:

„Der Freistaat Coburg hat zu existieren aufgehört – es lebe Bayern!“

 


Die Ausstellung 1920 - 2020 – 100 Jahre Coburg bei Bayern ist zu sehen vom 20.07. bis 30.12.2020 in den Ausstellungsräumen „Rückert 3 – Kunst, Kultur, Geschichte“, Rückertstrasse 3 (Eingang über Puppenmuseum) // Eintritt: Erwachsene: 4,– €, ermäßigt: 2,– € // Öffnungszeiten: Juli – Okt.: tägl. 11.00 – 16.00 Uhr // Nov. – Dez.: Di. – So. 11.00 – 16.00 Uhr // Geschlossen am 24. Dezember 2020.

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